Die Lage des Rechts

Mag sein, dass es irgendwann die Idee gab, das Recht könne schwache Menschen vor der Willkür der Reichen und Mächtigen schützen. Dann hat man aber sehr schnell gelernt, dass das Recht sich noch viel besser dazu eignet, die Interessen der Reichen und Mächtigen durchzusetzen – indem man sie einfach zum Recht erklärt.

Wenn der Bürger in seinem Garten einen einzigen gesunden Baum fällt, kriegt er jede Menge Ärger. So ist die Rechtslage.

Wenn RWE das letzte Viertel eines ehemals 400 Hektar großen Waldstückes vom Hambacher Forst rodet, kriegen die jede Menge Ärger, die versuchen, die Bäume zu retten. So ist die Rechtslage nämlich auch.

Man kann es sich kaum vorstellen: Im Hitzesommer 2018 soll ein Wald gerodet werden, um Braunkohle (!) abzubauen. Eine Idee, die im 19. Jahrhundert vielleicht noch als legitim angesehen werden konnte – heute ist sie nur noch legal, der Rechtslage entsprechend eben.

Gleichzeitig tagt die sogenannte Braunkohlekommission, die sich, so war aus gut informierten Kreisen zu hören, für den gänzlichen Verzicht auf Braunkohle aussprechen werde. Was gar nicht sein kann, empören sich wirtschafts- und braunkohlefreundliche Politiker, weil die Kommission doch ergebnisoffen beraten sollte, sonst wäre sie ja völlig sinnlos. Dass der Wald geräumt und gerodet werden muss, ist allerdings nicht mehr offen. Das müsse sein, sagt RWE, weil sie schließlich ja schon mit dem Roden und Abbauen angefangen hätten, und wenn sie jetzt aufhörten, gerieten ihre schweren Maschinen einander ins Gehege. Vermutlich entstünde dabei eine übel komplexe Braunkohleabbaumaschinengemengenlage, gegen die die Rechtslage geradezu absurd einfach ist.

Fast. Für den derzeitigen massiven Räumungseinsatz braucht es nämlich auch eine Begründung – selbst wenn sie ähnlich tolldreist an der Haaren herbeigezogen ist, wie man das eigentlich in Deutschland so nur in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gekannt hat – und neuerdings von der AfD wieder kennt: In den Baumhäusern fehle ein Brandschutz. Ja dann.

Die Ausführung dieses „Arguments“ könnte so lauten:

Es ist arg heiß und trocken geworden im Wald.

Durch zündelnde Baumhausbewohner herrscht deshalb höchste Waldbrandgefahr.

Wir wollen aber nicht, dass der Wald brennt, sondern die Braunkohle, die unter dem Wald liegt.

Deswegen müssen wir den Wald roden, dann kann der nicht mehr brennen und wir können die Braunkohle verschüren.

Wer sich dieser Argumentation nicht anschließen mag und – Rechtslage hin oder her – trotzdem den Wald schützen möchte, ist aber, so weiß der nordrheinwestfälische Innenminister Reul, gar kein Baumschützer, sondern jemand, der „unseren Staat abschaffen“ wolle.

Komisch. Im Artikel 14 unserer Verfassung steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Dadurch, dass man im 21. Jahrhundert Wälder rodet, um Braunkohle zu verfeuern? Das glaubt ja nicht mal RWE. Eher verlässt man sich einfach darauf, dass man (Politik, Wirtschaft und leider auch viele Gerichte) sich stillschweigend darauf geeinigt hat, dass im zweiten Satz „der Allgemeinheit“ faktisch längst durch „der Großaktionäre“ ersetzt wurde.

Manchmal liegt die Rechtslage verdammt schief. Man könnte sie auch zurechtrücken.

Abschied vom Sommerloch oder …

Die schönsten Staus entstehen durch die Ankündigung ihrer selbst.

Urlaub ist als strukturelle Umweltsauerei ziemlich verpönt neuerdings. Ganz schlimm: Flugzeug. Fast genauso schlimm: Kreuzfahrt. Am schlimmsten, weil am meisten aber immer noch: Auto. Was viele nicht wissen:

Seit Jahren arbeitet unsere bekannt automobilkritische Bundes- und natürlich auch die bayerische Staatsregierung an einer Reduzierung des Urlaubsverkehrs.

Die bayerische Staatsregierung versucht, mit Hilfe des parteieigenen Fernsehsenders die Menschen zum Zuhausebleiben zu bewegen. „Dahoam is dahoam“ heißt das unsäglich dümmliche Machwerk. Dass sie damit tausende von Deutschen in die Flucht treibt und damit ähnlich erfolgreich ist wie bei der Bekämpfung der AfD, ist Fakenews.

Wesentlich cleverer stellen sich da die deutschen Autobahnbehörden (Chef: Verkehrsminister Scheuer) an:

Beliebt sind zum Beispiel ständig wechselnde Höchstgeschwindigkeiten durch die „elektronische digitale Verkehrsführung“. Das Prinzip geht so: Je mehr Autos, desto geringer die erlaubte Geschwindigkeit, desto mehr Stau. Vor allem, weil beim Runtersetzen des Tempolimits so mancher Autofahrer erschrocken auf die Bremse tritt. Was das im dichten Kolonnenverkehr bedeutet, weiß jeder.

Manchmal gibt es Autofahrer, die es für klüger halten, einfach zügig weiterzufahren, aller Anzeige zum Trotz. Das geht recht flüssig. Bis hinter der Kurve der Polizei-BMW auf dem Standstreifen auftaucht. Da nehmen die meisten lieber 60 auffahrende Autos nebst menschlicher Kollateralschäden in Kauf als „dobrindtorange“ in Flensburg.

Sehr wirkungsvoll ist auch die Anzeige „Staugefahr“. Man fährt entspannt, fröhlich und luftverpestend dahin und plötzlich: STAUGEFAHR! Dann aber schnell runter vom Gas oder besser gleich auf die Bremse. Man möchte ja nicht der Depp sein, der trotz Warnung auf den möglichen Stau draufknallt. Und kaum ist man so unter der Anzeige durchgefahren, hat sie auch schon ihre Berechtigung: Der Stau ist da.

Wesentlich diffiziler, ja geradezu feinsinnig fallen die steuerlichen und semantischen Mittel zur Verkehrsreduzierung aus: Steuerlich begünstigt werden sogenannte Oldtimer, weil sie als sowas wie Kulturdenkmäler gelten. Besonders beliebt sind dabei Uralt-Cabrios. Die schaffen nicht mehr als 90 Stundenkilometer – und das ist auch gut so. Ab Tempo hundert hilft nämlich auch der beste Tacker nichts: Da weht’s dem junggebliebenen Mittsiebziger das Toupet vom Schädel und das bleibt dann bestenfalls an der Radioantenne des Hintermanns hängen wie weiland der Fuchsschwanz am Opel Manta. Und so beruhigt der Cabriofahrer steuerbegünstigt die Autobahn. Mit Wohlwollen sieht’s der diensthabende Verkehrspolizist in seinem BMW am Straßenrand.

Manchmal gibt es aber Situationen, da ist alles gut: Der leicht schief hängende Truck aus Bulgarien überholt auf den nächsten 16 Kilometern die endlose Kette niederländischer Wohnwagengespanne (der Cabrio-Fahrer hängt irgendwo zwischen denen und kommt nicht raus), ganz links versuchen BMW- und Audifahrer, den Tod zu überholen.

Ich versuche zu überleben.

Bis vor mir ein auf einem Brückengeländer aufgespanntes Textband erscheint:

Stau = Rettungsgasse

Hä??

Stau ist gleich Rettungsgasse?

Wie war das mit der Logik? Wenn A A ist, kann A nicht zugleich nicht A sein oder so? Wenn also Stau ist, kann Stau nicht gleich nicht Stau sein – und schon gar nicht Rettungsgasse. Sonst wäre ja Rettungsgasse Stau – und nicht im besten Fall irgendwas zwischen dem oder sogar zwei Staus.

Das Muster begann mich zu interessieren: Herzinfarkt = Krankenhaus. Durst = Biergarten. Seehofer = Klapsmühle.

Das hat Spaß gemacht. Viel Spaß. So viel Spaß, dass ich ganz vergessen habe, weiterzufahren.

Ihr glaubt ja nicht, was hinter mir los war.

So. Das war die Ehrung des Sommerlochs. Ab sofort kann wieder über politische Themen geschrieben werden. Über Hundekrawatten zum Beispiel.

Gelesen: Ursula Krechel: Landgericht

An diesem Buch ist alles spröde:

die Hauptfigur, der jüdische Jurist Richard Kornitzer, seine „arische“ Frau Claire, deren beide Kinder, selbst die kubanische Geliebte, mit der Kornitzer während seiner Exilzeit dort ein Kind zeugt. Die paar wenigen Zeilen, die diesem Kind ziemlich unmotiviert am Ende des Romans zugestanden werden, erlauben eine solche Einschätzung nicht.

Besonders spröde ist die Sprache des Romans: Mehr Berichterstattung als Erzählung, völlig schmucklos, aber auch ohne jede Spur von sprachlicher Eleganz.

Und noch ein Buch über die Geschichte einer Familie vor, während und nach der deutschen Nazi-Zeit. Warum soll man sich das antun?

Weil es sich lohnt.

Weil man tatsächlich neue Einblicke bekommt, wie diese Zeit alles von jedem entfremdet:

Die ohnehin sehr emotionslose Ehe zwischen Kornitzer und seiner Frau wird schließlich zu einer reinen Solidargemeinschaft im Kampf um die Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts durch die Nazis.

Die vor Kriegsbeginn nach England gebrachten und dort aufwachsenden Kinder hassen Deutschland naturgemäß und stehen ihren leiblichen Eltern eher abweisend gegenüber.

In den Juristenkreisen, in denen sich Kornitzer nach seiner erkämpften Wiedereinstellung als Richter bewegt, beäugt man sich gegenseitig misstrauisch bis ablehnend, treffen hier doch ehemalige Emigranten und ehemalige Nazi-Juristen im selben Gerichtssaal wieder aufeinander.

Auch im Kampf um vollständige Wiedergutmachung durch Gestapo-Plünderungen des Eigentums, staatliche Zwangsabgaben und zerstörte Karrierechancen trifft der Rückkehrer auf ehemalige Nazis in den Behörden, unter anderem auf einen ehemaligen engen Mitarbeiter des Rüstungsministers Speer, der jetzt als Staatssekretär der jungen Bundesrepublik ausgerechnet für Wiedergutmachungsfragen zuständig ist und den Staatshaushalt vor überzogenen Ansprüchen der Nazi-Verfolgten schützen zu müssen glaubt.

Wie hartherzig und bürokratisch die bundesdeutschen Behörden fast alle Ansprüche ablehnen mit Verweis auf fehlende (und natürlich nicht zu erbringende) schriftliche Belege, empört Kornitzer immer mehr, er beginnt, um Kleinigkeiten zu kämpfen, eine Schreibmaschine etwa oder abhandengekommene Teetassen. Alles natürlich nicht aus materieller Not, sondern im Sinne der Gerechtigkeit.

Dies macht ihn krank, seine Frau, die als Gattin eines Juden nach dessen Auswanderung ebenfalls üblen Nazi-Attacken ausgesetzt war, ist es längst.

Da der Sohn sich weigert, der Redaktion eines biografischen Handbuches der deutschsprachigen Emigration Lebensdaten seines Vaters zu bestätigen (weshalb dieser im Handbuch dann auch nicht auftaucht), stattdessen von der Redaktion (arg plump: in seiner Selbstgerechtigkeit ganz der Alte) fordert, sie solle ihn bei der Durchsetzung seiner Erbansprüche unterstützen, stirbt das Ehepaar Kronitzer relativ früh einen wirklich trostlosen Tod.

Vermutlich muss in diesem Buch alles spröde sein.

Nein, nicht die FDP!

Die FDP habe, so war zu lesen und zu hören, vor dem Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht gegen die Zulassung sogenannter „Staatstrojaner“, welche nichts anderes sind als Computerviren, mit denen der Staat Menschen ausspähen kann.

Der Staat habe Sicherheitslücken in Betriebssystemen, die zur Computerkriminalität genutzt werden, aufzuspüren und für deren Beseitigung zu sorgen, nicht, sie selbst zu nutzen, hieß es in der Begründung der Klage.

Gibt es sie also tatsächlich noch, die liberale, die Menschenrechts-FDP? Offensichtlich. Allerdings mit einer ziemlich großen Einschränkung:

Der „Zorn“ habe sie dazu getrieben, noch einmal politisch tätig zu werden, ließen die drei Beschwerdeführer verlauten, sicher auch der Zorn auf die eigene, in Menschenrechtsfragen außerordentlich untätige Partei.

Ihr Durchschnittsalter: exakt 80 Jahre.

Sie seien (von jung nach alt) hier freudig gerühmt als Menschen, wegen denen die FDP vor langer Zeit einmal wählbar war:

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (67)

Gerhart Baum (85)

Burkhard Hirsch (88).

Alle drei richteten während der Pressekonferenz interessante Blicke auf den parlamentarischen Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann (41), als der die Klage als FDP-Projekt zu verkaufen versuchte. Von dem stammt die Idee sicher nicht.

Gar nicht blicken ließ sich der vorsitzende Stoppel-Lindner (39), der, was Freiheit betrifft, ganz andere Vorlieben hat, nämlich „Freie Fahrt für freie Bürger“.

Ihm fällt nämlich nichts Besseres ein, als dem SPIEGEL gegenüber über mehrere Seiten hinweg zu erklären, wie toll er Porsches findet, dass Porschefahren überhaupt das Geilste auf der Welt sei, dass er mit gut 30 Jahren schon seinen vierten Porsche gefahren habe, und dass der Sound von Porsche und überhaupt Porsche…

Das Problem: Die beiden letztgenannten (Durchschnittsalter exakt 40) könnte man wählen, die drei erstgenannten leider nicht.

Der Kapitalismus stürzt nicht von der Brücke

England bemüht sich, sein Eisenbahnnetz zurückzukaufen, weil seit dessen Privatisierung die Züge arg gerne aus den Gleisen fallen.

In Berlin schießt seit der Privatisierung der entsprechenden Werke der Wasserpreis fontänenmäßig in die Höhe.

In deutschen Privatkliniken wird operiert, bis der Karbontisch kracht, weil sich damit am meisten Geld verdienen lässt.

Die deutsche LKW-Maut wird nicht vom Staat erhoben, sondern von einem privaten Konsortium, das dafür sorgt, dass drei ohnehin fette Unternehmen sich eine zusätzliche goldene Nase verdienen und über falsche Abrechnungen nebenbei auch noch alle möglichen Luxusausgaben für Spitzenangestellte finanziert.

In Genua fallen rund 40 Menschen beim Absturz einer privat betriebenen (und natürlich mautpflichtigen) Autobahnbrücke in den Tod.

Das Betreiberunternehmen versichert daraufhin, es habe alle Untersuchungen vorschriftsmäßig durchgeführt.

Jetzt könnte man sich fragen, welchen Grund es gibt, dass ein Staat ein privates Unternehmen mit dem Errichten und Betreiben von solchen Bauten beauftragt, wenn dieses nach eigenen Angaben nichts anderes macht, als die staatlichen Vorschriften zu beachten. Es also nichts, absolut nichts besser macht als das, was der Staat auch selbst könnte.

Ist es wirklich der, dass sich ein paar Großunternehmen (Benetton!) dumm und dämlich verdienen – und im Gegenzug die gesamte Infrastruktur nach ein paar Jahrzehnten marode ist?

Erfährt doch jeder BWL-Student schon im ersten Semester, dass es das Ziel eines kapitalistischen Unternehmens ist, Gewinn zu machen und nicht, das Volk mit bunten Klamotten und sicheren Autobahnbrücken zu erfreuen. „Der Markt“ regelt das schon – auf seine Weise.

Der Finanzmarkt reagiert auch auf seine Weise: Überall europaweit knicken die Aktienkurse ein. Ganz schlimm, jammert die ARD-Börsentante, dass auch deutsche Unternehmen betroffen sind. Wollten doch Hoch-Tief und andere international agierende Großkonzerne gerade einen italienischen Autobahnbauer übernehmen – ein Schnäppchen offenbar, das schon in den Aktienkursen eingepreist war. Wie ärgerlich!

Dabei mangelt’s den Kapitalisten einfach an Fantasie:

Warum gründen die Brückenbauer nicht einfach ein passendes Beerdigungsinstitut dazu? „Benettons OaU“ (Over and Under) zum Beispiel?

Auch die ChristlichAlternative DeutscheUnion könnte mit einer passenden privaten Wirtschaftseinrichtung ihre Einkommensverhältnisse deutlich verbessern, mit einer neuen, spezialisierten Fluggesellschaft: „Anker hoch“ oder „Flying out“ – „Nirgends ist Folter schöner als in der Heimat.“ Der Staat würde diese Dienstleistung sicher mit üppigen Abschiebehonoraren vergüten.

Wer etwas kleiner einsteigen möchte, kann sich ja (für Syrer und Afghanen zum Beispiel) wirtschaftlich zunächst mal auf den Landweg konzentrieren. Seit die deutsche Bahn privatisiert ist, gibt es ja massenweise ungenutzte Güterwaggons.

Putin, schon wieder

Natürlich kann es sich die Presse (einschließlich der taz) angesichts des erneuten Auftauchens eines Nowitschok-Falls nicht verkneifen, sich an den „Anschlag“ „auf die Skripals“ erinnert zu fühlen. Als ob es außer ständigen Wiederholungen inzwischen irgendeinen weiteren Beleg dafür gäbe, dass es diesen Anschlag tatsächlich gegeben hat.

Ganz im Gegenteil: Reichlich verhärmt beklagt der SPIEGEL (Ausgabe 25 vom 16.6.), dass der Westen immer noch keine „harten Belege“, geschweige denn Beweise vorgelegt habe. Stattdessen habe sich herausgestellt,

  • dass Schweden schon 1997 Nowitschok aus Russland in seinem Chemiewaffenzentrum hatte, das dann angeblich vernichtet wurde
  • dass sowohl die USA, Großbritannien, die Niederlande und Tschechien Nowitschok besaßen und im Falle von Tschechien laut Aussage des tschechischen Präsidenten noch im letzten Jahr Experimente damit angestellt wurden
  • dass Nowitschok auch im Westen hergestellt wurde
  • dass entgegen der damals verbreiteten Behauptungen Putin nie die Ermordung von Überläufern angedroht hat
  • dass Skripal durchaus nicht im Rentnerstand war, als er mit dem Gift in Berührung kam, sondern fröhlich weiterspionierte – man weiß nur nicht so recht, für wen
  • dass die Behauptung des britischen Ex-Außenministers, er wisse vom Chef des britischen Chemiewaffenlabors, dass das Skripal-Nowitschok aus Russland stamme, von diesem sofort dementiert wurde.

Harte Belege oder Beweise sehen tatsächlich anders aus, noch dazu, wo dieses Zeug in der Umgebung von Porton Down, dem Chemiewaffenlabor Englands in unmittelbarer Nachbarschaft zu Salisbury, offensichtlich recht verbreitet herumliegt.

Natürlich muss man den SPIEGEL loben, dass er all diese Lügen veröffentlicht. Regelrecht tolldreist gerät dann allerdings die Volte, warum trotzdem alles für eine Täterschaft Putins spreche: Die Ukraine natürlich, die Krim und er habe „die Weltöffentlichkeit belogen.“ Ja dann.

In Skripals Wohnung sei übrigens neben zwei toten Meerschweinchen auch eine Katze gefunden worden, und zwar in „verstörtem Zustand“, wie die WELT berichtete.

Vermutlich kann die lesen.

 

Rechte Machtgier

Kaum lässt man die Politik (in der Abgeschiedenheit der finnischen Wälder) mal für drei Wochen allein, geschehen Dinge, die man am liebsten nicht kommentieren möchte:

Die europäische Union beschließt ein Vorgehen in der Asylpolitik, das als gemeinsames Programm aller rechtspopulistischen Parteien in Europa durchgehen könnte. Und in guter AfD-Manier stimmen die Rechtsausleger wie der ungarische Ministerpräsident zu, um hinterher zu sagen, dass man doch gar nicht zugestimmt habe, jedenfalls nicht so richtig.

Haben die Rechten und die Nationalpopulisten nicht längst gewonnen? Um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, fasst die EU Beschlüsse, von denen doch jeder weiß, dass sie gar nicht umsetzbar sind: Was ist ein Beschluss wert, der auf freiwillige Aufnahme von Geflüchteten durch die europäischen Länder setzt, angesichts der doch bekannten Verweigerungshaltung von z.B. Ungarn, Tschechien und der Slowakei? Und ganz im europäischen Kolonialherrenstil beschließt man die Einrichtung von „Anlandezentren“ (der Seehofersche Anker plätschert noch durch) in Nordafrika oder auf dem Balkan, ohne die davon betroffenen Länder überhaupt zu fragen. Vermutlich geht man davon aus, dass diese Länder alle käuflich sind. Und was, wenn nicht? Entzug von Hilfe, damit noch mehr Menschen hungern und Grund zur Flucht haben? Oder die Gaddafi – Lösung, europäische Bomben?

Wenn Seehofer und die CSU nach diesem Europagipfel allen Ernstes in den Nachrichten verbreiten, die CSU hätte „Europa gerockt“ und gleichzeitig erklären, dass sie das Ergebnis dennoch ablehnten, weil es nicht „wirkungsgleich“ sei mit Seehofers geplanten Zurückweisungen an drei (!) bayerischen Grenzübergängen zu Österreich, die selbst jemand mit unterdurchschnittlichem Orientierungssinn wie der Verfasser dieses Textes ohne Straßenkarten und Ortskenntnisse mühelos umfahren kann (Selbsttest!), dann heißt das nur, dass man alles, aber auch alles zu tun bereit ist, um bei der Landtagswahl im Herbst die absolute Mehrheit gegen die AfD zu verteidigen.

Wovor muss man eigentlich mehr Angst haben: Vor einer braunen Partei am rechten Rand, die man so benennen und kritisieren darf, oder einer CSU, die mit deren braunen Ideen die Wahl gewinnt und diese dann als Regierungspolitik umsetzt?

Wovor muss man eigentlich mehr Angst haben: Vor einer braunen Partei am rechten Rand, die man so benennen und kritisieren darf, oder einer CSU, die aus reiner Machtgier bereit ist, die Bundesrepublik und ganz Europa in eine Krise zu stürzen, von der wiederum nur die Rechtsextremen profitieren würden?

Man kann nur hoffen, dass die christlichen und sozialkonservativen Stammwähler der CSU eine ordentliche Abfuhr erteilen. Sonst haben die Rechten und die Nationalpopulisten wirklich gewonnen, egal ob sie sich AfD oder CSU nennen.

Die e-Bär, wieder

Die e-Bär hat nachgedacht.

Was zunächst wie eine schlechte Nachricht klingt, ist auch eine – mit Einschränkungen:

Schüler bräuchten heute lediglich drei Dinge, so das Ergebnis ihres Nachdenkens laut Mainpost:

Sportsachen, Schulbrot und Tablet. Keinesfalls sollten sie zu schwere und veraltete Schulbücher mit sich herumschleppen.

Die Formulierung lässt vermuten, dass die e-Bär Bücher grundsätzlich für zu schwer und veraltet hält, sonst könnte man ja auch auf die Idee kommen, nur aktuelle und nicht zu schwere Bücher für den Unterricht zuzulassen und zu finanzieren.

Bei aller Kritik: So viel Übereinstimmung zwischen der e-Bär und dem Polplotblogger war dennoch noch nie: Sportsachen und Schulbrot – wie schön!

Doch wie soll man sich mit diesem Equipment einen Schultag vorstellen?

Man macht Sport, anschließend widmet man sich seinem „Schulbrot“. Und dann? Dann tatscht man den Rest des Tages mit seinen fettigen Wurstbrotfingern auf dem Tablet rum. So ein Tablet ist ja auch viel leichter zu reinigen als ein Buch! Und da findet man doch alles, was man so als Schüler braucht: Börsenkurse, Fake News, natürlich auch viele nützliche Informationen, vielleicht sogar mal einen veralteten literarischen Text von Heine oder Schiller (wenn auch häufig in übel entstellter Form, aber dafür wiegen sie schließlich nichts). Das alles guckt man sich dann kurz mal an wie ein Video.

Da in e-Bärs Ausstattung weder Hefte noch Stifte vorgesehen sind (Wer schreibt denn heute noch mit der Hand??), wird das Angeguckte vielleicht sogar in eine kleine Datenbank eingetippt – bis man merkt, dass es solche Datenbanken ja schon längst gibt und man sich das alles deswegen gar nicht selber aufschreiben oder merken muss. Man kann ja nachgucken.

Wenn man zum Beispiel gefragt wird, wie der Bundeskanzler von Deutschland heißt, tippt man‘s einfach in die Suchmaschine ein und kriegt zur Antwort einen Namen: „Merkel“. Und schon kann man sich melden und sagen: „Herr Merkel!“

Nachdenken kommt in dieser Schulvision natürlich nicht vor. Die e-Bär hat’s dennoch versucht. Sie hat nachgedacht.

Und jetzt kommt das Positive: Das interessiert doch keine Sau.

Gelesen: Melissa Broder: Fische

Blogeinträge können unterhaltsam, witzig, informativ, ja sogar wichtig sein. Manchmal taugen sie angeblich sogar dazu, in Buchform veröffentlicht zu werden. Bei der amerikanischen Autorin Melissa Broder soll das funktioniert haben.

Eine solche Buchveröffentlichung sollte aber nicht dazu verführen, sich als respektable Schriftstellerin oder Romanautorin misszuverstehen, auch wenn sie bei der Vermarktung eines noch so schlechten Romans natürlich hilfreich ist.

Der Ullstein-Verlag ist nicht dafür bekannt, besonders hochwertige Belletristik auf den Markt zu bringen. Die Dreistigkeit zu behaupten, Broders Machwerk „Fische“ sein ein „ehrlicher, trauriger und urkomischer Roman“ war ihm aber nicht unbedingt zuzutrauen.

Um dieses Urteil zu widerlegen, genügt eigentlich ein Überblick über den Inhalt:

Die Protagonistin Lucy entdeckt mit 38 Jahren, dass sie ein Beziehungsproblem hat und macht sich auf die Suche nach Liebe. Um ein paar Romanseiten zu füllen, werden auch noch die Beziehungsschwierigkeiten von einigen anderen Damen aus einer Frauengruppe erzählt; einen erkennbaren Bezug zur Romanhandlung haben diese nicht.

Vollends peinlich wird die alberne Geschichte, als Lucy sich in einen – natürlich ungemein hübschen – „Meermann“ verliebt. Ja, tatsächlich: Die ungeheuer originelle Idee einer männlichen Meerjungfrau. In ihrem Liebeswahn karrt sie diesen mit einem Bollerwagen über den Strand zu ihrem Domizil.

Den Verkaufserfolg sichern sollen genau so unglaubwürdige wie unappetitliche Kopulationsszenen.

Und natürlich darf der Hund nicht fehlen, der das Böse wittert und, kaum kommt der Meermann in die Nähe, nur noch mit Beruhigungsmitteln zu bändigen ist, an denen er schließlich eingeht. Das ist das Motiv der Schuld in diesem „Roman“, ist der Hund doch das abgöttisch geliebte Tier der Schwester.

Entgleiste Ausflüge ins Philosophische schaffen wenigstens Erheiterung im zunehmenden Leseärger: „Ich fragte mich, ob es überhaupt ein Leben gab, ob es jemals ein Leben gegeben hatte.“

Dass der Meermann letztlich als eine aus Liebesnot entstandene Fantasiegestalt entlarvt wird (obwohl das selbst der unbedarfteste Leser schon seit 70 Seiten weiß), ist der Höhepunkt von Broders literarischer Kunstfertigkeit.

Das Ganze kommt (zumindest in der deutschen Übersetzung von Eva Bonné) sprachlich recht gefällig daher. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gut verpackter Mist trotzdem Mist bleibt.

Wie hat die Schreiberin selbst so schön formuliert:

„Je angestrengter man sich nach dem Licht reckte, desto weiter klaffte hinterher das Nichts.“

Geschichte weglügen

Dass gefälschte Nachrichten und Informationen von Politikern und Ideologen eingesetzt werden, wenn dies ihren Interessen dient, ist keine Erfindung von Donald Trump. Er macht das nur besonders schamlos.

Nicht weit entfernt davon sind allerdings diejenigen, dies das – von wem auch immer erfundene – Mysterium einer „christlich-jüdischen Kulturtradition“ Deutschlands nachplappern und diese in Form eines Kreuzes (natürlich: NUR eines Kreuzes) symbolisch an die Wand nageln wollen.

Selbst wenn man unterstellt, dass manche glauben, damit ein – natürlich völlig berechtigtes – Zeichen gegen den (nicht nur von muslimischen Zuwanderern!) forcierten Antisemitismus setzen zu müssen: Der überwältigenden Mehrheit dieser Geschichtsklitterer gefällt daran vor allem die Abwehr- und Ausgrenzungsfunktion gegen den Islam.

Dabei sind alle drei Komponenten dieser absonderlichen Wortschöpfung falsch.

Genausowenig, wie es historisch ein „deutsches Volk“ gibt (Dieser Begriff wurde im Hochmittelalter erfunden für ein wildes Sammelsurium unterschiedlichster Stämme), gibt es eine deutsche Kulturtradition. Wie auch? Noch heute vermag (der Dauerstreit um die sog. Leitkultur verdeutlicht dies ja anschaulich) niemand zu sagen, was denn traditionell „typisch deutsch“ sei.

Neidvoll kann man da nach Frankreich schauen: Dieser ebenfalls bunt zusammengewürfelte Haufen hat ja wenigstens sein Baguette und seinen Rotwein.

Im modernen Deutschland herrscht laut Verfassung (und das ist so ziemlich das einzige, was für alle verbindlich sein sollte) Religionsfreiheit. Und diese musste (beginnend mit der Aufklärung) hart erkämpft werden – gegen die christlichen Kirchen. Wenn jetzt Söder das christliche Kreuz in ein Symbol für Freiheit und Toleranz umdeutet: Wie sieht’s denn aus mit der Freiheit, wenn ich als Nichtgläubiger immer noch mit der ewigen Verdammnis bedroht werde? Ist es etwa ein Zeichen von Toleranz, wenn ein Land, in dem weniger als die Hälfte der Bevölkerung aktive Christen sind, in seinen Behörden im Eingangsbereich (also dort, wo nun mal JEDER hinmuss) demonstrativ Kreuze aufhängt? Ist es etwa ein Zeichen von Freiheit, wenn in der katholischen Kirche Frauen immer noch als Menschen zweiter Klasse behandelt werden?

Ähnlich wie die Juden in Deutschland. Spätestens seit den christlichen Kreuzzügen, als die Stimmung in Deutschland den Juden gegenüber immer aggressiver wurde. Wenn es Toleranz christlicher Herrscher gegenüber den Juden gab, dann nur, weil man sie wirtschaftlich brauchte und – über Sondersteuern, Berufsverbote und Verweigerung von Bürgerrechten – prima ausnutzen konnte.

Erst Anfang des 20. Jahrhunderts bekamen die Juden in der „christlich-jüdischen Kulturnation“ Rechtsgleichheit. Wie lange die bestanden hat, weiß  hoffentlich jeder.

Die Zahl der in Deutschland lebenden Juden dürfte übrigens zu keiner Zeit erkennbar über einem Prozent gelegen haben. Selbst die „großen“ deutschen Juden wie Marx und Heine hat man verfolgt und ins Ausland gejagt.

Was also will man mit der Lüge von der „christlich-jüdischen Kulturtradition“ eigentlich aussagen? Dass Juden und Christen in Deutschland prima gemeinsam Kultur gemacht haben? Dass es also gar nicht wahr ist, dass die Geschichte der Juden in Deutschland bis 1945 eine Geschichte der Ausgrenzung, Unterdrückung, Verfolgung, Ermordung war?

Moderne Staaten haben ihre Basis in den Werten der Aufklärung wie Menschenrechten und Meinungsvielfalt und –toleranz. Man möchte den Heuchlern von der gemeinsamen christlich-jüdischen Tradition zurufen:

Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen – wenn dein Populismus ihn dir nicht weggefressen hat!

Ergänzung: Am 11.5. erschien in der Mainpost ein Gastbeitrag vom Sprachwissenschaftler Prof. Norbert-Richard Wolf, in dem dieser ebenfalls darauf hinweist, „dass das herrschende Christentum mit großer Brutalität das Judentum jahrhundertelang daran gehindert hat, kulturprägend zu wirken.“

Hier der Link zum ganzen Artikel:

https://www.mainpost.de/ueberregional/meinung/leitartikel/Wer-oder-was-gehoert-zu-Deutschland;art9517,9957548