Gut geordnet, Seehofer!

Es gibt seit dieser Legislaturperiode den fragwürdigen Trend, Gesetze mit wertenden Attributen zu versehen. Ein neues Kita-Gesetz heißt „Gute-Kita-Gesetz“, ein Gesetz zur finanziellen Förderung eines Teils der einkommensschwachen Familien „Starke-Familien-Gesetz“. Das mag verschiedene Gründe haben:

Würde sich die Bild-Zeitung plötzlich „Gute-Bild-Zeitung“ nennen, dürfte man zu Recht davon ausgehen, dass die bisherigen Ausgaben ziemlich bescheuert waren. Ein Restaurant, das eine „Gute-Speisen-Karte“ vorlegt, nährt den Verdacht, dass es auch durchaus nicht gute Speisen anbietet. Was natürlich nicht heißt, dass ein schlechtes Restaurant eine „Mäßige-Speisen-Karte“ aushängen wird.

Will die Regierung, von der ja diese tollen Namen kommen, tatsächlich ausdrücken, dass die bisherige Gesetzgebung eher erbärmlich war? Wohl eher nicht.

Wenn auf einem Volksfest eine Attraktion marktschreierisch als „sensationell gut“ angepriesen wird, darf man normalerweise davon ausgehen, dass man enttäuscht wird. Dennoch funktioniert es: Ein nicht geringer Teil der Volksfestbesucher wird an die Sensation glauben wollen und die Attraktion besuchen.

Das dürfte schon eher dem Anliegen der Bundesregierung ähneln. Man nennt ein Gesetz einfach toll und baut darauf, dass sich die Leute von dem schönen Namen beeindrucken lassen und nicht so genau hinsehen. Das ist Populismus pur und baut, wie jeder Populismus, darauf, dass die Leute blöd sind.

So nimmt es nicht Wunder, dass das übelste Machwerk dieser Sorte aus der Feder Seehofers stammt. Es heißt Geordnete-Rückkehr-Gesetz und konstruiert eine Ordnung, wie sie nur einem Seehofer oder seinen Vorbildern von der AfD einfallen kann:

Es geht nicht, wie der Name lügt, um eine „geordnete Rückkehr“ von irgendwem, es geht einfach um möglichst schnelle und zahlreiche Abschiebungen.

Dazu sollen Menschen unklarer Identität, die „nicht an der Beschaffung eines Passes mitwirken“ – wie immer das auch ein Bürgerkriegsflüchtling aus Libyen machen sollte – in eine sogenannte „Mitwirkungshaft“ genommen werden können. Wer nicht aktiv an seiner Abschiebung mitwirkt, kommt in den Knast.

Das findet Seehofer „geordnet“.

In Ordnung findet er auch, dass entgegen bisheriger (ungeordneter) Gesetzeslage „abschiebungspflichtige“ Menschen in den Knast kommen, in die sog. Abschiebungshaft. Und das in normalen Gefängnissen. Das kann auch Familien mit Kindern betreffen, die finden sich dann im selben Haus interniert wie Mörder und andere Schwerverbrecher.

Wer als ausweisloser nicht bei der eigenen Abschiebung hilft, bekommt nur noch eine eingeschränkte Duldung mit Wohnsitzauflage, Beschäftigungsverbot und gekürzten „Leistungen“. Falls für den Geduldeten nach dem Dublin-Abkommen ein anderer EU-Staat zuständig ist, können „Leistungen“ ganz gestrichen werden.
Es ist erst ein paar Wochen her, dass man mit großem Pomp die 70-jährige Existenz des Grundgesetzes gefeiert hat. Und zu Recht hat man auf die Bedeutung des Satzes „Die Würde des Menschen (und das meint JEDEN Menschen, d.V.) ist unantastbar“ verwiesen. Die Leistungen an Asylbewerber decken nach regierungseigener Definition deren Existenzminimum ab. Jetzt aber ist ein eingeschränktes oder sogar gegen Null laufendes Existenzminimum möglich. Man sollte nicht so dreist sein, eine Verfassung zu feiern, die man gleichzeitig in seinem Gesetz grob missachtet.

Die tiefere Ordnung in diesem Gesetz erschließt sich beim zweiten Lesen:
Die „Person unklarer Identität“ bekommt die Leistungen gekürzt oder gestrichen. Notwendigerweise wird dies zu einer deutlichen Zunahme von Diebstählen oder Raub durch Asylbewerber führen, anders kommen sie ja (Beschäftigungsverbot!) nicht mehr an Essen. Schon sind sie Straftäter und sofort zur Abschiebung freigegeben.

Sowas nennt der christliche Innenminister „geordnete Rückkehr“.

Seehofer schamlos.

Und die SPD stimmt zu.

Entschuldigung

Es ist einfach unverzeihlich: Wie kann man in einem Blogbeitrag zur sog. „Klimawahl“ IHN einfach unerwähnt lassen, Dobrindt, den Landesgruppenvorsitzenden der CSU im Bundestag. Dabei hat der als einziger nicht nur geredet oder mit zig unumsetzbaren Vorschlägen gewedelt, er hat längst gehandelt. Umsichtig, vorausschauend, entschlossen.

DU hast, verehrter Landesgruppenführer, als dir irgendwelche Ignoranten vom SPIEGEL vorhielten, DU hättest selbst doch noch gar nichts zum Umweltschutz beigetragen, mit stolzgeschwellter Brust (soweit deine immer ein bisschen zu engen Sakkos das zulassen), kundgetan, dass DU, nein dass ihr, also dass sie auf DEINE Initiative hin einen ganz entscheidenden Schritt zur Klimarettung nicht nur diskutiert, sondern sogar schon beschlossen hätten (sicher meinst du die Abgeordneten im Bundestag). Auf DEINE Initiative hin, wohlgemerkt. Während Scheuer noch an seinem 41. Vorschlag bastelte und Söder im Englischen Garten die Bienen zählte, hast DU, nein, habt ihr im Bundestag beschlossen,

DIE DIENSTWAGENSTEUER FÜR ELEKTRO- UND HYBRIDFAHRZEUGE ZU HALBEREN!!!

Das ist der Durchbruch.

Für die kleine Minderheit unter den Polplot-Lesern, die noch nicht über einen Dienstwagen verfügen, sei kurz erklärt:
Bekommt ein Mensch von seinem Arbeitgeber einen Dienstwagen gestellt, den er auch privat nutzen darf, muss er diese Nutzung als „geldwerten Vorteil“ versteuern, und zwar mit monatlich einem Prozent des Listenpreises des Autos. Bei einem Preis von 50 000 Euro werden dem Nutzer also 500 Euro auf sein zu versteuerndes Einkommen dazugerechnet.

Früher, vor DIR war das so. Jetzt sollen es nur noch 250 Euro sein, falls der Dienstwagen ein Elektro- oder Hybridauto ist.

Endlich verstehen auch kleinere Geister als DU, wie DU das meinst, wenn DU immer davon sprichst, du wollest nicht mit Verboten, sondern mit Anreizen den Bürger zu mehr Umweltschutz bewegen:

Arbeitgeber sollen angereizt werden, ihren Arbeitnehmern in Zukunft teuere Elektroautos als Dienstwagen hinzustellen, damit diese dann nur noch halb so viel Steuern dafür bezahlen müssen.

Aber natürlich fällt DIR auf, dass es das allein noch nicht sein kann, DU denkst längst weiter. Dieser Anreiz würde auch dafür sorgen, „zügig einen breiten Gebrauchtwagenmarkt für E-Fahrzeuge zu bekommen“. Denn bekanntlich legen Dienstwagenfahrer ihre Modelle recht zügig wieder ab. Das Problem, dass jeder weiß, dass Batterien auch einem sehr zügigen Alterungsprozess unterliegen und man E-Fahrzeuge gebraucht kaum loskriegen wird, kann man zurzeit vernachlässigen. Es stellt sich ja erst in ein paar Jahren. Und vielleicht ist es dann wieder kälter.

Geschätzter Gruppenführer! Vor einiger Zeit haben wir hier begeistert DEINE Vorstellung aufgegriffen, dass Soldaten häufiger uniformiert in der Öffentlichkeit auftreten sollten. Als Anreiz dafür hast DU DIR kostenlose Bahnfahrten ausgedacht.

In dem hier ausgewerteten Interview sprichst DU häufig von „Battles“ und „Schlachten“, die es in der Politik auszutragen gelte. Ein Bild, das uns ermutigt, diesbezüglich einen weiteren Anreiz vorzuschlagen: Würde es Deutschlands Ansehen in der Welt nicht auch stärken, wenn Soldaten, die keine passende Bahnverbindung finden, in ihrer Freizeit nicht nur ihre Uniformen, sondern auch ihre Dienstfahrzeuge mehr nutzten? Warum sollen Panzer sinnlos im Kasernenhof verrotten, statt als Dienstpanzer für den Feierabendausflug in die Stadt genutzt zu werden? Vielleicht rüstet die Bundeswehr dann ja zügig auf Elektropanzer um? Vom Gebraucht-E-Panzermarkt ganz zu schweigen…

Damit auch ein steuerlicher Anreiz funktioniert, ist zu berücksichtigen, dass die uniformiert in ihren Panzern durch die Städte streifenden Soldaten ja schon viel für das Ansehen der Bundeswehr- und republik tun. Und dass sie (zumindest so lange sie Zivilistenkarren nicht plattfahren dürfen) mit Parklücken schon etwas Ärger haben werden. Auch, dass der Listenpreis für diese Fahrzeuge eher im gehobenen Segment anzusiedeln ist.

Eine Dienstpanzersteuer von landesüblichen drei bis vier Promille könnte funktionieren, allerdings nur, wenn man bis zur vollständigen Umstellung der Bundeswehr auf E-Panzer Dieselfahrverbote in den Städten strikt verbietet.

493 Vorschläge zum Klimaschutz

Nein, es ist nicht lustig, wie die Parteien (alle!) mit der sogenannten „Klimawahl“ zum europäischen Parlament umgehen: Die Regierungsparteien haben sich selbstzerknirscht gegeben und beschlossen, sie müssten jetzt dringend was tun: Jeder Minister sollte mal zusammenschreiben, was sein Ressort so zur Klimaschonung beitragen könne. Dann hat man sich zusammengesetzt und beschlossen zu handeln, nämlich dass man sich im September wieder zusammensetzt.

Nur Scheuer war fleißig und hat eine Liste mit 50 (!) Vorschlägen mitgebracht. Der meint es ernst. Dabei sind 50 Vorschläge doch arg schwach: 493 hätten die Sicherheit gebracht, dass sie keiner liest oder sich die Mühe macht, zu erforschen, ob auch ein sinnvoller dabei ist. Der SPIEGEL hat die Liste und berichtet, dass es um ganz viel Steuererleichterungen und staatliche Zuschüsse geht: Für den öffentlichen Nahverkehr – und vor allem für Elektroautos: Je teurer, desto mehr mehr Zuschuss. Wer sich einen Tesla „P 85 D Performance“ leisten möchte, kriegt 8000 Euro Staatszuschuss und bekommt dafür eine Öko-Auto mit 700 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h. Mit dem man auch noch richtig weit kommt, nämlich 460 Kilometer weit mit einer Akkuladung. Wenn man, laut Hersteller, „konstant 105 km/h“ fährt.

BMW zeigt sich von Teslas neuem Modell geschockt und will nachziehen.

So ein Unsinn muss wirklich staatlich ordentlich bezuschusst werden.

Was laut SPIEGEL in der Liste fehlt, sind irgendwelche Andeutungen, wie das alles zu finanzieren sei. Und was natürlich auch fehlt, sind Tempolimits und Verbote z.B. dieser irrsinnigen SUV´s, die in den Innenstädten reihenweise Rückspiegel abmähen.

Das macht er schon listig, der Andi: 50 Vorschläge, von denen keiner umsetzbar ist – und die „Premium“-Autoindustrie darf ungestört weitermachen.

493 Vorschläge wären dennoch überzeugender gewesen.

Die SPD löst das Problem, indem sie an ihrer Fraktions- und Parteivorsitzenden herumsägt.

Die FDP löst das Problem mit „Innovationen“. Mit welchen, darüber wird sie die nächsten Jahrzehnte nachdenken.

Nur kurz im Netz zu finden war die sehr witzige Reaktion eines CSU-Jungen, der erklärt hat, der blauhaarige Rezo habe doch nur die CDU erwähnt, die CSU sei gar nicht gemeint und deshalb aus dem Schneider. Vermutlich hat der das wirklich geglaubt und ihm ist keine Sekunde der Gedanke gekommen, dass der Youtuber vielleicht gar nicht wissen WILL, dass es in Bayern eine Regionalpartei gibt, die Selbstständigkeit innerhalb der Union beansprucht. Dabei versteht die sich seit dem erfolgreichen Bienenrettungsvolksbegehren doch angeblich als der Ökoflügel der Union und auch der Ministerpräsident ist ganz arg öko seitdem. Mit einer kleinen Einschränkung freilich: Man müsse darauf achten, dass durch ökologische Politik die „wirtschaftlichen Abläufe nicht gestört“ werden. Die Erkenntnis, dass die „wirtschaftlichen Abläufe“ der Grund für die ganze Klimakatastrophe sind, steht ihm offensichtlich noch bevor.

Grünen-Chef Habek, der als neuer Nationallieblingsschwiegersohn eine deutlich bessere Figur macht als FDP-Chef Lindner, ist da – und mit ihm die gesamte neue grüne Welle – offensichtlich nicht viel weiter. Seine Reaktion auf die Vergesellschaftungs-Vorschläge von Juso-Chef Kühnert, es gehe „jetzt nicht um irgendwelche Umverteilungsideen“, sondern um den ökologischen Wandel, lässt befürchten, dass in diesem Hirn auch noch reichlich Raum für gedanklichen Zugewinn ist.

 

Wehrhafte CSU

Der SPIEGEL erklärt politisches Handeln gerne damit, dass Politiker aufeinander sauer sind, sich was heimzahlen wollen und mit ähnlichen Sandkasteleien.

Das Tolle daran ist: Politik geht wirklich so!

Das Duo infernale der CSU zum Beispiel hat eine Wette darüber abgeschlossen, wer es schafft, mit möglichst abstrusen Ideen möglichst viel mediale Aufmerksamkeit zu bekommen.

Monatelang schien Scheuer unschlagbar mit seiner Feststellung, dass ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen gegen den gesunden Menschenverstand sei.

Jetzt hat Dobrindt aber mächtig zurückgeschlagen: Soldaten in Uniform werden freie Fahrt mit der Bahn bekommen. Nicht einfach Soldaten, sondern nur Soldaten in Uniform. Der Rechtsstaat muss schließlich Präsenz zeigen.

Da wäre es doch folgerichtig, auch AfD- und CSU-Abgeordneten freie Fahrt… ach, die haben das ja schon. Vielleicht sollte man sie uniformieren, damit die Zugbegleiter sie besser erkennen können. In Nordkorea geht sowas schließlich auch.

Während Dobrindt noch an der Vervollkommnung seines Vorschlags arbeitet, hat die CSU für eher nebensächliche Probleme wie den Klimawandel längst auch Lösungen entwickelt:

Scheuer erklärt, der Klimawandel sei eindeutig ein Ergebnis des technischen Fortschritts, und es sei gegen den gesunden Menschenverstand, so etwas zu verteufeln.

In einem zaghaften Versuch, mit dem Duo infernale mitzuhalten, lässt Seehofer den Klimawandel ausweisen. Nämlich dahin, wo er herkommt: Nach Afrika in die Wüste. Und muss kleinlaut eingestehen, dass der Klimawandel wie andere Ausgewiesene auch halt immer wieder zurückkommt.

Der ebenso rettende wie endgültige Plan kommt von Dobrindt: Wo auch immer der Klimawandel sich blicken lässt: Er wird auf uniformierte Soldaten stoßen und erschossen.

Der Juso

Man kann schon den Eindruck gewinnen, dass da einer sehr gezielt und sehr geschickt seine politische Laufbahn plant. Voraussetzung für eine solche ist ein hoher Bekanntheitsgrad, dafür wiederum ist starke Medienpräsenz hilfreich.

Man muss es auch nicht besonders sympathisch finden, wenn ein junger Mann schon während seines Studiums offensichtlich nichts anderes im Sinn hat, als sich durch gezielte Provokationen die oben genannten Bedingungen zu schaffen, und zwar sehr erfolgreich, weil ALLE ihm den Gefallen tun, über die Stöckchen zu springen, die Juso-Chef Kevin Kühnert ihnen hinhält.

Jetzt hat Kunert erklärt, er könne sich vorstellen, große Unternehmen wie BMW zu „kollektivieren“, sprich, von den Mitarbeitern verwalten zu lassen, und dass er Wohnungseigentum in den Händen von organisierten Geschäftemachern verbieten will. Damit hat er es wieder einmal in die Hauptnachrichtensendungen aller Medien gebracht und für interessante Politikerreaktionen gesorgt:

Auto-Andy erklärt ihn für einen „retrogewandten Spinner“, der offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen wolle, dass „Deutschland wirtschaftlich sehr erfolgreich sei“. „Retro“ ist hier vor allem Scheuers Vokabular, das die CSU schon seit 20 Jahren anwendet, wenn ihr etwas nicht passt. Dass es doch auch recht vernünftig sein kann, mal ein Stück rückwärts zu fahren, besonders, wenn man kurz davor ist, gegen eine Wand zu rasen, kommt ausgerechnet der stockkonservativen CSU nicht in den Sinn. Angesicht der ökologischen Bedrohungen sich über den „wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands“ (was das immer auch für wen bedeutet) zu freuen, ist allerdings auch reichlich retro.

Dass die FDP Angst ums Eigentum ihrer Klientel hat, war zu erwarten, auch dass die CSU einen Rückfall in „klassenkämpferische Zeiten“ entdeckt.

Die eigentliche Katastrophe sind die Reaktionen aus der SPD selbst, besonders vom SPD-Rechten Johannes Kahrs: Der hält Kühnerts Vorschläge für unsolidarisch und zeigt gleich, was er für Solidarität hält, indem er Kühnert zum Drogenkonsumenten macht („Was hat der geraucht“?). Kühnerts Vorschläge seien grober Unfug und „nicht sozialdemokratische Linie“.

Was diese „sozialdemokratische Linie“ denn eigentlich sei, fragen und fragten sich sicher alle der SPD abhandengekommenen Wähler und das Siechtum der Partei mitleidig Verfolgende.

Die Versuchung liegt nahe, sie im aktuellen Grundsatzprogramm der Partei, dem Hamburger Programm von 2007 zu suchen.

Das ist mühsam: 79 Seiten überwiegend unverbindliches Geschwurbel, Feiern eigener historischer Verdienste, Breittreten, wie die SPD die Welt sieht und interpretiert. Von einer „sozialdemokratischen Linie“ keine Spur, weit und breit. Das einzige, das einen zum Weiterlesen verleitet, ist die Hoffnung, dass im Programm der SPD doch irgendwo noch ein Restchen SPD stecken müsste. Und plötzlich (bei der Rückwärtssuche, zunächst überlesen, auf Seite 16):

„Gerechtigkeit gründet in der gleichen Würde jedes Menschen. Sie bedeutet gleiche Freiheit und gleiche Lebenschancen, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht. Also meint Gerechtigkeit gleiche Teilhabe an Bildung, Arbeit, sozialer Sicherheit, Kultur und Demokratie, gleichen Zugang zu allen öffentlichen Gütern. Wo die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen die Gesellschaft teilt in solche, die über andere verfügen, und solche, über die verfügt wird, verstößt sie gegen die gleiche Freiheit und ist darum ungerecht. Daher erfordert Gerechtigkeit mehr Gleichheit in der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Macht (…)“

Da ist sie, die SPD! Echt!

Nur will sie von ihrem eigenen Programm nichts wissen. Die SPD-Rechte darf Kühnert abwatschen, die anderen schweigen.

Wer eigentlich soll eine Partei wählen, die nicht mal an ihr eigenes Programm erinnert werden will?

Ein Kevin Kühnert ist für das Überleben der Partei wichtiger als 27 Bastas und Bätschis und Scholzens und so…

Osterferien

Ein bisschen skurril muten sie ja schon immer an, die Briten. Selbst die schwer beschönigende Darstellung der britischen Lebensart in Englisch-Schulbüchern entlockt bereits Siebtklässern ein staunendes, aber in der Regel doch wohlwollendes Lächeln.

Für viele ist Allzeitprinz Charles der Brite schlechthin.

Vermutlich wär’s schön, wenn’s so wäre.

Aber der Allzeitprinz hat ja politisch nichts zu sagen, das muss er so Figuren wie May und Johnson und wie sie alle heißen, überlassen.

Die haben jetzt gefühlt hundert Mal beschlossen, dass sie nicht in der Lage sind, irgendwas zum Brexit zu beschließen.

Dann sind sie in die verdienten Osterferien gegangen, um danach vermutlich weiter zu beschließen, dass sie nichts beschließen wollen.

Vielleicht nutzen sie die Zeit ja aber auch, um sich mal wieder klarzumachen, was da zwischen Britannien und der EU eigentlich gelaufen ist:

Seinen Beitritt zu Europa hat sich Großbritannien durch allerlei Sonderrabatte schon teuer bezahlen lassen und – wie alle großen europäischen Länder – von der EU natürlich enorm profitiert.

Die ganze Brexit-Idee entstand dann in den wirren Köpfen neu-nationalistischer (und das sind irgendwie auch immer rassistische) Spinner, die plötzlich davon faselten, sie wollten ihr Land zurück haben, sich nicht mehr Gesetze „aus Brüssel“ vorschreiben lassen und selbst entscheiden können, welche und wie viele Ausländer (!) sie in ihr Land lassen wollen.

Irgendwie hatten die, scheint es, auch Angst, das man ihnen ihren Plumpudding, ihre Richterperücken oder gar der Queen ihre Hütchen wegnehmen will.

Und dann hat man das Volk kübelweise mit Lügen überschüttet, wie toll es sei, wenn man „frei“ von der europäischen Union sein eigenes Leben bestimmen und unbeeinflusst seine gewohnten Rituale aus dem 19. Jahrhundert ausleben könne.

Eine ganz knappe Mehrheit hat schließlich daran geglaubt und entsprechend abgestimmt. Die Jugendlichen, die nicht daran geglaubt haben, sind dummerweise vermutlich deswegen nicht zur Abstimmung gegangen, weil sie nicht gedacht haben, dass die Alten wirklich so blöd sind, wie sie sind. Was auch nicht für die Jugendlichen spricht.

Und ausgerechnet jetzt, wo das ganze Lügengebäude offensichtlich wird, kommt Frau May auf die Idee zu erklären, dass die Politik „demokratische“ Beschlüsse des Volkes nun einmal umzusetzen habe.

Eine Abstimmung, die rein auf der Basis von Lügen erfolgt, hat ungefähr die demokratische Qualität wie Wahlen in nicht alphabetisierten Tälern des Hindukusch. Ist Demokratie wirklich, dass der, der am dreistesten lügt, gewinnt, weil die Menschen ihm glauben WOLLEN?

Übrigens gäbe es ja einen ganz vernünftigen Grund, aus der Europäischen Union auszutreten. Wenn man nämlich dem Kapitalismus den Rücken kehren und ein vernünftiges, soziales Wirtschaftssystem errichten wollte. Dass ausgerechnet Theresa May dies möchte, ist freilich nicht zu erwarten, zumal sie ja davon schwärmt, dass ein „freies“ Großbritannien mit allen wichtigen Staaten der Erde bilaterale Freihandelsabkommen abschließen würde.

Liebe Briten: Vergesst nicht, es ist schon eine Weile her, dass ihr die halbe Welt nötigen konntet, für sie unvorteilhafte Abkommen mit euch zu schließen. Nehmt die Chance wahr, jetzt eine neue, demokratische Entscheidung auf der Basis von Fakten zu treffen.

Wir lassen euch doch eueren Linksverkehr, euer widerliches Bier und der Queen ihre Hütchen…

Gelesen: Ein Scheiß-Buch

Eigentlich ist das ja eine ganz witzige Idee mit den öffentlichen Bücherschränken, aus denen man sich kostenlos bedienen und in die man nicht mehr benötigte Bücher einstellen kann.

Beides kann und darf jeder – deswegen ist der Griff in so einen Schrank schon mal auch, hm, ein Griff ins Klo.

Ich zog „Lebensborn e.V.“ von Will Berthold heraus, der Buchrücken täuscht ein Sachbuch vor, Verlag Lingen hätte mich allerdings, zugegeben, schon stutzig machen müssen.

Beim Aufschlagen stellt sich heraus, dass es sich um einen der berüchtigten „Tatsachenromane“ handelt, bei denen aus wenig Tatsache viel Roman gemacht wird. Das allein ist bei dem vorliegenden Buch schon übel: Die Faszination des Grauens, die die von der SS installierte Arier-Zuchtanstalt „Lebensborn“ bei vielen hervorruft, verspricht dem ohnehin sehr geschäftstüchtigen Autor hohe Auflagen. Dass das bereits 1975 erschienene Buch derzeit einen kleinen Boom hat, wie man auf den Webseiten des Internetbuchhandels deutlich erkennen kann, lässt befürchten, dass das heute nicht mehr nur die Faszination des Grauens ist.

Dass der Autor (Jahrgang 1924 und selbst Weltkriegsteilnehmer) mit dem Buch auch ein Anliegen hat, und zwar ein ganz übles, wird schnell klar:

Die Protagonisten des Romans, ein junges Liebespaar, beide stramme, aber, wie schnell sehr deutlich wird, hochanständige Nationalsozialisten, geraten aus Führertreue in ein Lebensbornheim und finden das, da sie ja anständig sind, sehr unmoralisch. Offensichtlich waren die meisten Nazis so anständig, denn viele zeigen sich vom „Lebensborn“ abgestoßen. Schuld an den „Auswüchsen“ im beschriebenen Heim ist ein rabiater, dem ungezügelten Alkoholkonsum verfallener SS-Offizier, was zumindest nahelegt, dass bei einem weniger besoffenen Heimleiter alles gar nicht so schlimm wäre.

Wehrmachtssoldaten sind ohnehin ein Ausbund von Tugend und Tapferkeit, die treu „ihrem Vaterland“ dienen. Erst als sie von den Lebensborn-Heimen hören, befällt einige der Zweifel, ob das noch das Vaterland ist, das mit Haut und Haar in der Sowjetunion zu „verteidigen“ sie so gerne bereit waren. Vor den Lebensbornenthüllungen hatten sie offensichtlich mit den Nazis keine Probleme.

Besonders edel sind die Kampfflieger wie der männliche Teil des Protagonistenpaars. Wird er in einen Luftkampf verwickelt, klingt das so: „Klaus schlägt Haken auf Haken, er wehrt sich gegen drei tollwütige Hunde…“. Sein Chef, ebenfalls durch die Lebensborn-Geschichten von den Nazis enttäuscht, wählt gar den Freitod. Aber nicht, ohne dabei in einer Art Kamikaze-Flug einen „Tommy“, wie die Engländer im Buch stilsicher genannt werden, „vom Himmel zu holen“. Dazu liebt er seinen Beruf doch zu sehr.

Zurück ins Heim: Der alkoholisierte Chef lässt dem weiblichen Teil des inzwischen verlobten Paares, Doris, ihr im Lebensborn entstandenes Kind heimlich wegnehmen und schiebt ihr stattdessen ein Polenkind unter, das Doris liebe- und verantwortungsvoll aufzieht. Eine deutsche Mutter ist eben eine deutsche Mutter, egal, gegen wen.

Gleich nach dem Krieg, als alles wieder gut war, geschieht nun Folgendes: Das echte Kind wird gefunden und fühlt sich beim Anblick der Mutter und auch des Vaters, den es nie gesehen hat, geradezu magisch angezogen von seinen Eltern. Die Kraft des deutschen Vater- und Mutterblutes. Das polnische Kind hat, als seine wirkliche Mutter auftaucht, solch edle Regungen nicht. Die Polenmutter muss ihr Kind am Arm packen und gewaltsam wegziehen von seinen deutschen Pflegeeltern.

Ich weiß, Bücherverbrennungen haben einen schlechten Ruf, aber was soll man machen?

Schlecht fürs Wetter

Natürlich war es notwendig, dass die Schüler von friday for future während der Schulzeit streikten, sonst hätte man sie gar nicht zur Kenntnis genommen. Die Kanzlerin vermutete zu Beginn sogar eine russische Cyber-Verschwörung zur Destabilisierung des politischen Systems, weil sie es für unwahrscheinlich hielt, dass so viele Schüler gleichzeitig von selbst (!) das Thema Klimaschutz plötzlich (!) für wichtig hielten. Eigentlich ist es ja viel unwahrscheinlicher, dass so viele Menschen gleichzeitig (!) von selbst (!) auf die Idee kommen, CDU oder CSU wählen zu wollen…

Inzwischen hat sie eingesehen, dass die Idee, hinter jeder Kritik am eigenen Regierungshandeln eine russische Verschwörung zu vermuten, doch arg trumpelhaft ist. Seitdem versucht sie, wie fast alle anderen politischen und wirtschaftlichen Institutionen der Republik, die Protestierenden durch druckvolles Kopfstreicheln flachzudrücken. Sie hätten ja sooo recht, ABER

(unsystematisch querbeet):

Kanzlerin: Man täte doch schon so viel, und bis 2038 würde…

Söder: Das ist ja alles schön und gut, aber man müsse doch auch die wirtschaftlichen Abläufe im Sinn haben, die weiter funktionieren müssten…

Scheuer: Ich komme nicht von der Verbotsseite, ich setze Anreize. Er meint: für besseren Absatz deutscher Autos.

Haseloff (CDU-Ministerpräsident in Sachsen Anhalt) lobt sich (am letzten Sonntag bei „Anne Will“) tatsächlich selbst, dass die, er sagt tatsächlich „mitteldeutschen“, Bundesländer am meisten Schadstoffausstoß verringert hätten; wenn das die westlichen auch täten, wären so ungefähr alle Probleme gelöst. Ist ja irgendwie richtig: Wirtschaftsabbau und Massenarbeitslosigkeit verringern nun mal den Schadstoffausstoß. Und:
Wo im Osten man mit Klimaschutzmaßnahmen drohe (!), würde nur die AfD stärker…

FDP-Lindner: Klimaschutz sei für kindliche Laienhirne doch wohl etwas komplex, das solle man doch Profis (!) überlassen.

Annegret Krampfkarrenbauer: Ich als Mutter würde meinen Kindern für so eine Demonstration keine Entschuldigung schreiben. Und auch keinen Nachhilfelehrer bezahlen, damit sie den Stoff nachholen können (als ob die demonstrierenden Schüler jetzt zu hunderttausenden zum Nachhilfelehrer rennen würden…).

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Dass die deutsche Politik nichts, aber auch gar nichts verstehen will, konnte man letzte Woche bei der Eröffnung der Hannover-Messe beobachten. Die Kanzlerin besichtigte ein Modell „der Fabrik der Zukunft“.

Und was produzierte diese „Fabrik der Zukunft“?

Autos natürlich.

Schüler demonstrieren

Am Samstag, den 16.2. wurde in der MAINPOST ein Leserbrief von mir veröffentlicht – leider, wie so oft, wurde dabei der doch meist nicht ganz unwichtige letzte Satz weggelassen.

Da dieser Leserbrief auch viele der Polplot-Abonnenten angeht, veröffentliche ich ihn hier nochmals vollständig:

„Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Schülerdemonstrationen zum Klimaschutz häufen sich Leserzuschriften aus der älteren Generation mit üblen Unterstellungen und absurden Forderungen. Die Jugendlichen von heute würden sich 300 Meter Weg zur Schule mit dem Auto fahren lassen, sollten auf ihr Smartphone und Urlaubsflüge verzichten und sich Einkäufe nicht übers Internet schicken lassen.

Abgesehen davon, dass außer den unterstellten Schulwegfahrten alle anderen hier angeprangerten Konsumgewohnheiten eher auf die Jahrgänge zutreffen, die dem Schulalter entwachsen sind: Wenn man bei den Vorwürfen gegen die Schüler schon zu dem Schluss kommt, jeder solle zuerst bei sich selber anfangen: Vielleicht könnten die älteren Generationen auch auf den zu jeder Fußball-WM neu angeschafften Großbildfernseher verzichten? Vielleicht gar auf ihr Auto (viele Jugendliche in den Städten tun das bereits) oder zumindest auf diese ökologisch irrsinnigen SUVs (kaufen Jugendliche eher selten)? Es sind auch eher selten Schüler, die in den Vorstandsetagen der Unternehmen sitzen, die ungerührt Gewinne mit schadstoffspuckenden Fahr- und Flugzeugen machen.

Es sind doch nicht die Schüler von heute, die das Klima ruiniert haben! Wir Älteren sollten vorsichtig sein, denen Verzicht abzufordern, die die Folgen unserer zeitüblichen Konsumgewohnheiten auszubaden haben.“