Der Lügenclub 2

Gut eine Woche nach dem Raketenüberfall Israels auf den Iran findet in den Medien die gewünschte ideologische Verschiebung in der Berichterstattung statt: Während im Ukraine-Krieg noch die kürzeste Meldung eingeleitet wird mit der Formulierung („Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine“) heißt es im Nahen Osten inzwischen „im Krieg zwischen Israel und dem Iran“. Nach dem Beschuss eines israelischen Krankenhauses durch den Iran wird in den Medien ein israelischer Soldat bei dem beschädigten Gebäude vorgeführt, der empört erklärt, Krankenhäuser dürften nicht angegriffen werden, „sie sollten ein sicherer Raum sein“. Dann wird über Beratungen berichtet, ob „die USA helfen“ könnte, mit Bunker brechenden Bomben die unterirdischen iranischen Atomanlagen zu zerstören. So setzt sich allmählich die gewünschte Perspektive durch: Der Iran ist der Aggressor, Israel das Opfer, dem mit amerikanischen Waffen geholfen werden muss.

So ganz am Rande wird in der „Tagesschau“ vom 21.6. ein Video eingeblendet, in dem der Chef der IAEO, also der internationalen Atombehörde, Rafael Grossi erklärt: „Wir haben bis jetzt noch keinerlei greifbare Beweise dafür, dass es ein Programm oder einen Plan gibt, eine Atomwaffe zu bauen.“ Auf den Webseiten von tagesschau.de findet sich dieses Zitat nicht zum Nachlesen. Da ist immer nur die Rede von Sorgen der IAEO über das Programm und von zu wenig Kooperation des Iran. Man darf gespannt sein (aktuelle Schreibzeit 21.6. 20.48 Uhr), ob das Grossi-Zitat bis zu den tagesthemen überlebt…

Immer mehr erinnert die Situation an den Irak-Krieg von 2003, in dem die USA das Saddam Hussein-Regime „auslöschte“ wegen angeblichen Besitzes von Massenvernichtungswaffen, die es nie gegeben hat:

US-Präsident George W. Bush konnte sich damals einer heftigen innenpolitischen Kritik kaum mehr erwehren, er nutzte den Kriegsvorwand, um davon abzulenken und das amerikanische Volk hinter sich zu vereinen.

Auch Trump sieht sich heftigen Protesten wegen seiner Politik ausgesetzt. Für ihn dürfte die Flucht in einen Krieg etwas schwieriger sein, weil er unter anderem mit dem Versprechen Wahlkampf gemacht hat, die USA würden sich in Zukunft aus internationalen Konflikten heraushalten. Aller Voraussicht nach wird er die USA für „bedroht“ erklären und das Eingreifen im Krieg zur patriotischen Pflicht. Das zieht bei seinen Anhängern immer.

Dass der israelische Regierungschef Netanjahu einen Krieg nach dem anderen führt, um sich diversen juristischen Anklagen und einer langjährigen Haftstrafe zu entziehen, sollte allmählich auch seinen Anhängern in Israel klar werden.

Eines hat er immerhin schon erreicht: Von den Kriegsverbrechen in Gaza, den dort flächendeckend zerstörten Krankenhäusern und den verhungernden Menschen ist in den Medien kaum mehr die Rede.

Es sind übrigens nicht nur die USA, die ihn dabei unterstützen. Auch der deutsche Bundeskanzler sieht keinen Grund, Waffenlieferungen nach Israel zumindest auszusetzen.

Nachtrag um 23.45: Wie zu erwarten, wurden weite Teile der Iran-Berichterstattung aus der Tagesschau in den Tagesthemen wiederholt, Grossis Aussage aber nicht.

Der Lügenclub

Die G7 (ehemals mit Russland noch G8) wurde als Vereinigung der 8 größten Wirtschaftsnationen der Welt gegründet, um weltweite „wirtschaftspolitische Fragen“ zu erörtern, was schon immer nichts anderes hieß, als dass man die Ausbeutung der restlichen Welt möglichst im gegenseitigen Einvernehmen bewerkstelligen wollte. Offiziell wurde in den „gemeinsamen Erklärungen“, die übrigens meistens sehr einvernehmlich waren (man war sich schließlich prinzipiell einig) natürlich erklärt, wie segensreich diese Zusammenarbeit für den Rest der Welt sei.

Über den aktuellen G7-Gipfel berichten Journalisten jetzt mit einer Mischung aus Erstaunen und Hochachtung, dass es „gelungen“ sei, eine gemeinsame Erklärung zum Krieg zwischen Israel und dem Iran zu verabschieden. Die wesentlichen Punkte:

  • Israel hat ein Recht auf Selbstverteidigung.

  • Der Iran darf keine Atomwaffen besitzen.

  • Der Iran ist der Staat, von dem „Instabilität und Terror“ in der Region ausgehen.

  • Deshalb ist es legitim, die die Atomanlagen zu zerstören und das Regime zu stürzen.

Man sieht: Es ist einfach, zu einer gemeinsamen Erklärung zu kommen, wenn man beschließt, Wahrheit und internationales Recht zu ersetzen durch die Absicht, die eigenen Interessen auf der Welt durchzusetzen, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, dies wenigstens ein bisschen irgendwie zu legitimieren. Vermutlich war man sich auch einig, dass das nicht geht – also hat man es gleich bleiben lassen.

Jeder Staat hat tatsächlich das Recht auf Selbstverteidigung. Es ist den Kommentatoren der ARD hoch anzurechnen, dass sie in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass ein sogenannter „Präventivschlag“, wie Israel ihm jetzt durchgeführt hat, völkerrechtlich nur unter sehr strengen Voraussetzungen erlaubt ist: Es müsse ein gegnerischer Angriff angekündigt sein oder unmittelbar bevorstehen. Beides ist ganz offensichtlich nicht der Fall.

Die G7 haben beschlossen, dass der Iran keine Atomwaffen besitzen soll. Das Regime im Iran bestreitet zwar, diese überhaupt anzustreben, das darf man aber tatsächlich nicht glauben. Nur: Der Iran hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben. Er verstößt mit seinem Atomprogramm nicht gegen internationales Recht – nur gegen die Interessen der G7 und Israels. Schwer, damit einen Angriffskrieg zu begründen, noch dazu, wo die ganze Region mit atomar gerüsteten Staaten gesegnet ist: Israel, Indien, Pakistan…

Natürlich ist der Iran ein Terrorregime, wie alle streng theokratischen Systeme, bei denen die weltweite Durchsetzung der eigenen Religion „Staatsraison“ ist. Aber im Augenblick zu behaupten, der Iran sei die Quelle internationalen Terrors in der Region, ist angesichts der Kriegsverbrechen im Gazastreifen und im Westjordanland der blanke Hohn.

Der letzte Punkt behauptet letztlich nichts anderes, als dass sich G7 das „Recht“ nimmt, missliebige Regimes mit Gewalt zu stürzen – ohne jede Rücksicht auf das damit verursachte Leiden der Zivilbevölkerung.

Man darf, nein, man muss darüber erschrecken, dass sich die Mächtigen der Welt gar nicht mehr die Mühe machen, ihre Maßnahmen rechtlich zu legitimieren. Was sich nach diesem Gipfel abgespielt hat, unterstreicht das zusätzlich:

Trump fordert unter anderem, der Iran habe vollständig zu kapitulieren und Teheran müsse „evakuiert“ werden. Eine 15-Millionen-Stadt, in der es kaum mehr Benzin gibt. Sollte dies, wie es Israel im Gaza-Krieg immer macht, als „Schutzmaßnahme“ für die Zivilbevölkerung verkauft und damit eine Bombardierung Teherans gerechtfertigt werden, dann wäre dies glatter Völkermord.

Dass der US-Präsident wie ein besoffener Fussballfan („Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht“) erklärt, man wisse, wo sich Chamenei, der oberste Führer des Iran, verstecke und diesem mit Exekution droht, fasst den politischen Stil der Zeit ganz gut zusammen.

Durchaus gruselig auch die Rolle des neuen deutschen Bundeskanzlers: Er stellt sich natürlich hinter die G7-Beschlüsse, packt aber noch ein paar dreiste Lügen obendrauf: Es liege jetzt an der Regierung Irans, „an den Verhandlungstisch zurückzukehren“, um den Krieg zu beenden. Ansonsten werde Israel „seinen Weg gehen“. (Zuvor hatte der israelische Verteidigungsminister erklärt, man werde auf keinen Fall verhandeln, Israels „Angebot“ bestehe „aus unseren Raketen Bomben“). Er unterstütze auch die Bestrebungen, das Regime im Iran „zu beseitigen“, denn man habe mit „Regime change“ ja schon gute Erfahrungen gemacht. Im Übrigen, übernimmt März eine Lüge seines Vorgängers fast wörtlich, vertraue er darauf, dass Israel die rechtliche Lage im Krieg korrekt einschätze. Von dort wird, nach dem nächsten Kriegsverbrechen, wie immer die Erklärung kommen, man werde „den Fall untersuchen“.

Die Großen der Welt nicken.

Die Polplotblog- Wahlempfehlung – konsequent subjektiv und einseitig.

 

Eigentlich ist die Entscheidung in diesem Jahr einfach. Natürlich wird man kaum eine Partei finden, mit der man in allen Punkten übereinstimmt. Von daher ist, gerade nach den letzten Monaten, in denen sich (fast) alle Parteien von der AfD das Migrationsthema haben aufdrängen lassen, einfach die Frage hilfreich, welche Partei denn überhaupt noch wählbar ist. Wir beschränken uns bei 29 antretenden Parteien auf die, die überhaupt eine Hoffnung auf den Einzug in den Bundestag haben können. Deswegen fehlt hier u.a. die neoliberale „Volt“ (siehe Beitrag „Wahlomat statt politischer Bildung“) und Bruder Aiwanger.

Dass eine Partei, die Deutschland in einen rassereinen, völkischen Nationalstaat unter ihrer Führung umwandeln will, und zwar „ein für alle Mal“ (Bernd Baumann, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, der mit dieser Formulierung im Bundestag (!) ein weiteres Argument für ein Verbot liefert), nicht wählbar ist, muss hier wohl nicht diskutiert werden.

Auch eine weibliche Renaissance des Stalinismus scheint mehr als verzichtbar, zumal die nationale Ausrichtung sehr schnell die erhoffte sozialistische übertüncht hat. Zwar rang sich die namensgebende Bündnisfrau in diversen Talkshows die Formulierung ab, dass Putin „für Kriegsverbrechen verantwortlich“ sei, dennoch fordert sie eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland und will mit Gaseinkäufen seine Kriegsverbrecherkasse füllen.

Im ursprünglichen Sinne endgültige Bemerkungen zur FDP: Eine Partei, die unter Politik versteht, ausschließlich die Interessen der eigenen Klientel in Gänze durchzusetzen, die immer dann, wenn das nicht klappt, davonläuft (mit vor allem mehr und weniger weniger verlogenen Argumenten), die versucht, die Öffentlichkeit selbst dann noch zu belügen, wenn diese bereits Bescheid weiß, die, seit nach dem Koalitionsbruch hinter dem abgeplatzten Kunstlack ziemlich viel braune Grundfarbe auftaucht, „Deutschland wieder stark“ machen will auf Kosten der Ärmsten der Gesellschaft, die „mehr Musk wagen“ will, vor deren Politik selbst die ursprüngliche Zielgruppe, die Wirtschaft, Angst hat, diese Partei möge sich wählen lassen von Immobilienmaklern, Zahnärzten und Hoteliers. Zusammen mit dem erweiterten Familienkreis reicht das vielleicht für unverdiente 3,5 Prozent.

Off-topic, aber nötig: Trauer um Gerhart Baum. Mit ihm ist einer der letzten Liberalen, die diese Bezeichnung wirklich verdient haben, gestorben.
Und (ebenfalls off-topic) Respekt an den FDP-Ortsverband Stahnsdorf (Brandenburg, im Süden von Berlin). Der hat jetzt Plakate mit dem Konterfei von Hans-Dietrich Genscher aufgestellt. Größer als mit Werbung für einen längst verstorbenen Vorsitzenden kann man sich selbst nicht zu Grabe tragen.

Die Merz-Union?

Von vielen Seiten, selbst von Konkurrenzparteien wird betont, wie wichtig eine demokratische konservative Partei im Spektrum sei. Doch seit es in der SPD kaum mehr linke Projekte gibt, allenfalls ein bisschen Verhinderung von Sozialstaatsabbau, und die Sozialdemokraten sich sehr in Richtung bürgerliche Mitte bewegt haben, ist es für Liberalkonservative natürlich schwierig geworden, sich davon abzugrenzen. Das brachte wohl den „politischen Dachbodenfund“ (taz) Merz auf die Idee, der Union ein deutlich konservativeres Profil zu verordnen. Allerdings hat sich die Gesellschaft verändert, die traditionell-konservativen Werte und Programmpunkte lassen sich nur noch schwer verkaufen. Die einst wichtigsten Bündnispartner der C-Parteien, die Kirchen, haben radikal an Mitgliedern und Bedeutung verloren. Dass man es mit Fleiß und Tugenden wie Pünktlichkeit, Wahrhaftigkeit, Zuverlässigkeit zu etwas bringen könnte, ist kaum mehr zu vermitteln, zumal der Vorsitzende selbst aktuell ständig das Gegenteil vorlebt. Moral und Menschlichkeit sind Begriffe, die man aus den Unionsparteien nicht mehr hört und der bayerische Möchtegern-Gott droht den Kirchen schnauzbärtig schon mal mit Liebes- und Geldentzug, wenn sie „es ihm schwer“ machen.

Deswegen setzt man jetzt auf den Uralt-Schlager stramm Konservativer: Recht und Ordnung. Mehr Polizei, härtere Strafen, mehr Präventionshaft und vor allem mehr Abschiebungen, Abschiebungen, Abschiebungen. Nur sind diese Themen längst von den blauen Braunen besetzt. Auf die Idee zu kommen, dass man diese schwächen könnte, indem man ihre Forderungen nachplappert und gar mit ihnen gegen die anderen demokratischen Fraktionen im Bundestag stimmt, muss man erst mal kommen. Natürlich sind die Unionsleute keine Faschisten, das sind überwiegend Geldleute. Die haben aber schon einmal recht gerne mit Nazis zusammengearbeitet.

Man kann Merz sogar glauben, das er keine Koalition mit den blauen Braunen will. Aber seine Methode, mit denen gemeinsam Mehrheiten zu suchen und damit die anderen demokratischen Fraktionen zu erpressen (sie könnten die CDU-CSU-AfD-Mehrheit ja verhindern, indem sie seinen als „kompromisslos“ bezeichneten Vorschlägen bedingungslos zustimmen) ist eines Demokraten unwürdig. Er verteidigt dieses Vorgehen heute noch, was befürchten lässt, dass er das gegebenenfalls wiederholen würde.

Will man wirklich einen bayerischen Möchtegern-Gott und einen sauerländischen Möchtegern-Trump als deutsches Spitzenpersonal in der Politik?

Zugegeben: Es spricht einiges für Olaf Scholz und die SPD: Das Beharren auf einem Sozialstaatsprinzip, eine sehr abwägende Haltung im Ukraine-Krieg und das…. das….das….??? Er hatte es vor allem in den Medien nicht leicht. Er hatte zu Beginn der Ampel „Führung“ versprochen, in Folge wurde ihm vorgeworfen, er biete gerade diese nicht. Hat er dann mal (viel zu spät!) mit der Faust auf den Tisch gehauen, wurde ihm das als Entgleisung und Scheitern vorgehalten. Aber warum um Himmels willen hat er sich wie Merz das von den Braunen und den asozialen Medien gepuschte Migrationsthema aufdrängen lassen? Warum kaum ein Wort zur Wohnungsnot, zur Bildungsmisere, zu den erbärmlichen Renten, zum Klima im Wahlkampf? Statt ein Kanzler des Respekts vor arbeitenden Menschen und der Humanität zu sein, brüstet er sich damit, die weitreichendsten und härtesten Asylgesetze verabschiedet zu haben. Ein Kanzler, der sich erst drei Jahre lang von der FDP auf dem Kopf herumtanzen lässt, um dann gegen Flüchtlinge seine Härte zu beweisen? Will man das? Und gäbe es in der SPD tatsächlich Alternativen, inhaltliche? Verteidigungsminister Pistorius, der in seiner zweijährigen Amtszeit „deutsche Kriegstauglichkeit“ und aberwitzige Milliardensummen gefordert und etliche markante Auftritte hingelegt hat, aber in der Bundeswehr noch nicht mal das kleinste Reförmchen durchsetzen geschweige denn das Preisdiktat der großen Rüstungskonzerne brechen konnte? Kevin Kühnert ist aus der Politik ausgeschieden und Rolf Mützenich, einer der letzten aufrechten, überlegten, sozial, human und diplomatisch denkenden Sozialdemokraten, einer, der wirklich wählbar wäre, hat deutlich gemacht, dass er kein Regierungsamt übernehmen möchte.
Also doch wieder den Abschiebekanzler? Eher nicht.

Es gab Zeiten, da hat auch Vieles für die Grünen gesprochen. Entstanden aus der Friedens- und Umweltbewegung sowie aus diversen sozialen Gruppierungen, waren die doch ein Zusammenschluss lauter guter Ideen. Da gab es viel Streit um die Umsetzbarkeit der Ziele („Realos“ vs. „Fundis“), ein Gegensatz, der von den deutschen Medien immer als „Spaltung“ diffamiert wurde (als wäre eine stalinistische Einheitsmeinung in einer demokratischen Partei erstrebenswert), der aber doch ein sinnvolles Ringen um richtige Politik war.

Was ist davon geblieben? Der durchaus noch vorhandene Wunsch nach ökologischer Politik (Habecks „Heizungsgesetz“, das noch gar keines war, aber zum Anlass für eine unglaubliche Hetz-Kampagne der Springerpresse und der blauen und auch der gelben Braunen wurde) zeigte tatsächlich, dass man die Lebensrealität der ärmeren Schichten nicht mehr im Blick hatte. Dass man die E-Mobilität ausgerechnet mit einer Verdopplung des Dienstwagenprivilegs für E-Autos fördern wollte, eine „feministische“ Außenministerin, die auf die Morde an regimekritischen Frauen im Iran allenfalls mal mit einem bösen „Dudu!“ reagiert und ein Landwirtschaftsminister, der vor den Forderungen der Bauern nach subventioniertem Agrardiesel einknickt – es ist nicht viel übriggeblieben von grüner Identität. Dass ausgerechnet die Grünen am lautesten nach aggressiven, bis Moskau reichenden Waffen für die Ukraine riefen und Habeck ohne jede inhaltliche Analyse so ins Blaue hinein einen Verteidigungshaushalt von 3,5% der Wirtschaftsleistung forderte, lässt einen nach der Frage, warum man die Grünen wählen sollte, schon arg ratlos zurück.

Bleibt die Linke. Die überrascht mit unerwartet guten Umfragewerten, besonders unter Jugendlichen. Das liegt sicher nicht nur am jugendaffinen Auftreten auf Tiktok z.B., sondern wesentlich auch daran, dass man mit dem Wagenknecht-Flügel eine Quelle ständiger innerparteilicher Querelen und Anfeindungen losgeworden ist. Außerdem überrascht die „neue“ Linke jetzt mit einem Programm, das sich nicht nur viele Jugendliche in dieser Form längst gewünscht haben: konsequent öko-sozial. Es finden sich sehr viele vernünftige Punkte zum Umweltschutz, aber immer verbunden mit dem Blick auf die Situation der ärmeren Schichten und entsprechenden staatlichen Förder-Verpflichtungen. Als einzige Partei nimmt sie die Bildungspolitik als wichtigsten Standortfaktor wahr und thematisiert die Mietenexplosion und die schäbigen Renten.
Und als einzige Partei traut sie sich auch auszusprechen, wo das Geld dafür zu holen ist: bei den Reichen und Superreichen. „Wir wollen in Deutschland die Milliardäre abschaffen“, ist eine nachvollziehbare Provokation. Zur Erinnerung: Ein Milliardär ist jemand, der MINDESTENS 1000 Millionen Euro hat. Mit so viel Geld kann niemand etwas anfangen, außer es zu vermehren oder sich Macht zu kaufen. Und tatsächlich sind die Linken die einzige Partei mit Bundestagschancen, deren Programm nicht darauf hinausläuft, dass die Reichen immer reicher werden – im Gegenteil.

Der hier oft gehörte Einwand, die Superreichen würden mit ihrem Geld doch auch viel Gutes tun, ist übrigens reichlich naiv. Es kann nicht sein, das ein paar Milliardäre darüber bestimmen, wofür in Deutschland Geld da ist und wofür nicht. Bei diesen Überlegungen kann nämlich, wie jüngst bekannt geworden, durchaus mal rauskommen, dass die AfD ganz gut ein paar Millionen brauchen könnte.

Das Linken-Konzept sieht vor, ab einem Vermögen von 1 Million 1% Vermögenssteuer zu erheben, sich steigernd bis zu einem Satz von 5% bei 50 Millionen. Milliardäre sollen 12,5% zahlen. Arm wird dadurch niemand, schon gar nicht die 130 Milliardäre in Deutschland, aber auch nicht die geschätzten 3 Millionen Millionäre. Ein Spitzensteuersatz von 53% für die am besten Verdienenden sollte auch niemanden ins Unglück stürzen – unter Helmut Kohl lag der sogar mal bei 56%. Und mit diesen Maßnahmen ließen sich die von den Linken geforderten Entlastungen für Einkommensschwache, staatliche Fördermaßnahmen und eine fortschrittliche, menschenfreundliche Politik tatsächlich finanzieren.

Problematisch ist es natürlich, sich in einer Partei wiederzufinden in Punkten, in denen sich die Partei selbst nicht einig ist – wie bei der Unterstützung der Ukraine. Die ist parteiintern umstritten, was sich auch im Wahlprogramm zeigt: Offiziell hat man sich darauf geeinigt, auch Waffenlieferungen zu unterstützen, gleichzeitig soll der Rüstungsetat sinken. Schwierig. Aber vielleicht wäre es tatsächlich sinnvoller gewesen, längst intensiver in die von den Linken schon immer geforderten diplomatischen Bemühungen einzusteigen, statt so lange zu warten, bis die zwei brutalsten Militaristen der Welt den „Deal“ unter sich selbst ausmachen.

Wie auch immer eine Regierungsbildung nach den Wahlen ausschaut: Die Linke wird nicht dabei sein. Und es wird, steht zu befürchten, eine Regierung von Populisten und Konservativen sein, zumindest eine, in der, wie Merz schon siegessicher tönte, „seine“ Koalitionspartner sich „nach ihm“ zu richten hätten.

Eine starke öko-soziale Opposition wird wichtiger sein als je zuvor.

Deshalb im Sinne der Linken-Spitzenkandidatin Reichinneck: „Auf die Barrikaden!“

Aber vorher erst mal ins Wahllokal!

Wahlomat statt politischer Bildung

Deutschland ist, so sagt es das Grundgesetz in Artikel 20, ein „demokratischer“ (…) Staat. Das besagt zunächst nichts anderes, als dass das Volk über Wahlen seine Herrschaft irgendwie bestimmen darf. Weitere Mitentscheidungs-Verfahren sind möglich, aber nicht zwingend und im Grundgesetz auch kaum vorgesehen. Von daher sind die Menschen mit politischen Entscheidungen kaum befasst, allerdings seit einigen Jahren einem Trommelfeuer von Hetze und Falschinformationen aus den asozialen Print- und Digitalmedien ausgesetzt. Da an den Schulen politische Bildung nach wie vor kaum stattfindet (in Bayern kann man Abitur machen mit insgesamt 3 Wochenstunden Politik in der 13jährigen Schulzeit) und sich angesichts der Hartnäckigkeit, mit der diese Nicht-Bildung beibehalten wird, der Verdacht aufdrängt, dass das ganz absichtsvoll so ist, steht das Wahlvolk beim entsprechenden Termin mit ziemlich leeren Händen bzw. Köpfen vor den Stimmzetteln.

Offensichtlich ist man sich des Problems bewusst, und so wird den ratlosen Bürgern der „Wahlomat“ empfohlen, ein Programm, mit dem man sich angeblich schlau machen kann, welche der Parteien den eigenen Vorstellungen, falls man denn welche hat, am nähesten kommen.

Irgendeine Intelligenz hat dazu 38 zusammenhanglose Einzelfragen formuliert, das Ergebnis entspricht ganz dem unguten Gefühl, das man angesichts dieser Methodik hat:

Nach dem Selbsttest sollte sich der Verfasser dieses Textes ausgerechnet von Volt vertreten fühlen – einer Partei, die er, ihr Programm kennend, sicher nicht wählen wird.

Neben der ohnehin fragwürdigen Methode zeigen sich (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) folgende Schwächen:

Die Auswahl der Fragen ist nicht in der Lage, das Konzept einer Partei zu erfassen und orientiert sich sehr an den jetzt im Wahlkampf hervorgehobenen Themen, nicht an den Punkten im Parteiprogramm, die man im Wahlkampf lieber verschweigt. Ein paar Beispiele: Dass die AfD sofort aus der EU und längerfristig aus der NATO aussteigen will, taucht nicht auf. Die einzige Frage zur Bildungspolitik ist, ob dem Bund mehr Kompetenzen in der Schulpolitik eingeräumt werden sollte – als wäre das hier das gravierendste Problem. Beim BaföG wird die Frage gestellt, ob es weiterhin abhängig vom Einkommen der Eltern bezahlt werden soll – dass BaföG-Empfänger weit unter der Armutsgrenze leben, ist kein Thema.

Einige Fragen sind überraschenderweise negativ formuliert, da muss man schon gut aufpassen, um nicht drauf reinzufallen: So heißt es zwar, die „Schuldenbremse … soll beibehalten werden“, aber „Deutschland soll das Ziel verwerfen, klimaneutral zu werden“.

Das größte Problem ist aber die fehlerhafte Auswertung der Eingaben. Das Programm ordnet die Präferenzen des Nutzers Aussagen aus den Wahlprogrammen der verschiedenen Parteien zu. Bei Unklarheiten besteht die verfälschende Tendenz, sie dem Nutzer als Übereinstimmung unterzujubeln. Da schneidet natürlich die Partei am besten ab, deren Programmformulierungen möglichst vage und interpretierbar sind. Drei Beispiele:

Die Aussage, dass das BaföG weiterhin abhängig vom Elterneinkommen bezahlt werden sollte, wurde vom Nutzer verneint – angeblich in Übereinstimmung mit Volt. Dort aber steht: „Volts Lösungen für eine gerechte Bildungsfinanzierung setzen auf ein elternunabhängiges BAföG, das durch eine reformierte Bemessungsgrundlage weiterhin gezielt diejenigen unterstützt, die finanzielle Förderung am dringendsten benötigen“.

Volt schafft es, auf die Frage gleichzeitig mit ja und nein zu antworten – der Wahlomat wertet es als Übereinstimmung.

Der Nutzer stimmte der Aussage, „In Deutschland soll die 35-Stunden-Woche als gesetzliche Regelarbeitszeit für alle Beschäftigten festgelegt werden“, zu. Überraschenderweise auch hier Übereinstimmung mit Volt:

Volts Lösung ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit, um individuelle Modelle zu ermöglichen und ausschließlich eine Wochenobergrenze beizubehalten. So kann jeder und jede Wochenende machen, wann er oder sie will.”

Wie man hieraus interpretieren will, dass Volt die 35-Stunden-Woche als gesetzliche Regelarbeitszeit festschreiben will, ist mehr als rätselhaft.

Der gesetzliche Mindestlohn soll spätestens 2026 auf 15 Euro erhöht werden.“ Dieser Forderung stimmte der Ratsuchende voll und ganz zu, angeblich auch Volt:
„Volts Lösung für einen gesetzlichen Mindestlohn, der jederzeit ein bezahlbares Leben ermöglicht, passt sich immer automatisch und dynamisch an die wirtschaftliche Lage an, ohne weitere lange Bundestagsdebatten.”

Meint ja wohl: Der Mindestlohn bemisst sich an der wirtschaftlichen Lage und wird bei Krisen ohne weitere Debatte auch kräftig gesenkt. Übereinstimmung?

Es ist übrigens nicht zufällig, dass die obigen Beispiele alle Volt betreffen. Tatsächlich ergeben (das kann jeder mal nachtesten), weitere Stichproben eine auffällige Häufung solcher Widersprüche gerade bei dieser Partei, die sich sympathisch und weltoffen gibt, ihren neoliberalen Kern (der sich allerdings im Vergleich zu vor drei Jahren deutlich abgemildert zeigt) aber gerne in sehr zweideutigen Formulierungen versteckt.

Eventuell ist das sogar mit ein Grund, dass Volt gerade bei jungen Leuten so gut ankommt: Nachdem sich der Lindner-Boom bei den Jungen vor drei Jahren als grotesker Fehler herausgestellt hat, ahmt Volt jetzt dessen Wahlkampfattitüte (dynamisch, jung, fortschrittlich) gnadenlos nach, wenn auch erheblich weniger oberlehrerhaft (ja, das war sie auch!) und personenzentriert. Und auch wenn sich wieder erfreulich viele junge Menschen für Politik interessieren, mag es doch in dieser Altersgruppe einen deutlich höheren Prozentzsatz als in anderen geben, die schnell mal den Wahlomat durchdaddeln, ihren ersten positiven Eindruck bestätigt finden und ihre Entscheidung festzurren.

Als Ersatz für politische Bildung taugt der Wahlomat nicht, aber auch der Polplotblog nur in bescheidenem Ausmaß. Dennoch wird dieser sich erlauben, noch rechtzeitig eine zwar einseitige, aber gut begründete Wahlempfehlung auszusprechen. Bis dann.

 

Der Tag von Potsdam

Am Tag von Potsdam, dem 21.März 1933, reicht der Chef der konservativen Deutschnationalen, Reichspräsident Hindenburg, Adolf Hitler die Hand, um sein Bündnis mit den Nationalsozialisten zu bekräftigen. Der Handschlag soll die Verbindung der alten konservativen Macht mit der „jungen Kraft des Nationalsozialismus“ symbolisieren.

Zwei Tage später setzen die Nationalsozialisten mit dem „Ermächtigungsgesetz“ ihre Alleinherrschaft durch.

Am 29.1.2025 beschließt der deutsche Bundestag einen vom Parteivorsitzenden der CDU eingebrachten Antrag zur Verschärfung der Asylgesetzgebung mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP, Teilen des BSW und der Fraktion der AfD. Diese bricht in lauten Jubel aus. Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer geht ans Rednerpult und erklärt, die „rot-grünen“ Zeiten seien hiermit „ein für alle Mal“ erledigt, es breche eine neue Epoche an, die nicht von der „zögerlichen“ CDU, sondern von den „neuen Kräften der AfD“ angeführt werde. Die CDU sei eingeladen, diesen neuen Kräften zu folgen.

Es muss schwer sein, das jetzt immer noch nicht sehen zu wollen.

Immer noch kein Geld für Schulklos

Der Kapitalismus ist auf die Zielgerade eingebogen: Einige Superreiche kaufen sich einen amerikanischen Präsidenten und machen somit mit ihrem Kapital das, wofür es schon immer gedacht war: Sie üben Macht aus. Inzwischen weltweit, da an der mächtigsten politischen Position der Welt.

Damit hat die von Marx angekündigte Kumulation und Konzentration von Kapital einen entscheidenden Schritt gemacht: Ein paar ganz wenige Geldfiguren teilen sich die Macht über die Welt. Und selbst Superreiche wie Amazon-Bezos und Meta-Zuckerberg, die sich früher großmäulig als liberale Weltverbesserer präsentiert haben, ordnen sich brav unter und hoffen, als wichtigste Gefolgsleute der neuen Weltherrschaft wenigstens noch ein paar Brocken von der Macht abzubekommen.

Ganz zu Ende ist der Prozess freilich nicht, da nicht anzunehmen ist, dass die beiden Egomanen mit narzisstischer Störung, Trump und Musk, tatsächlich zu einer länger andauernden Partnerschaft in der Lage sind. Auf den großen Knall kann man warten – und die Folgen werden nicht angenehm sein.

Zum besseren Verständnis, wie die Kapitalakkumulation funktioniert, hat die weltweit tätige Hilfsorganisation Oxfam rechtzeitig zum Weltwirtschaftsgipfel auf der Basis von Forbes-Schätzungen, Weltbankdaten und dem UBS-Weltvermögensreport einige Fakten zur Lage der Superreichen veröffentlicht:

Das Vermögen eines Milliardärs / einer Milliardärin (2769 hat die Welt davon) hat sich letztes Jahr im Schnitt pro Tag (!) um zwei Millionen US-Dollar vermehrt. Das Vermögen der 130 deutschen Milliardärs (zu 71% aus Erbschaften stammend) hat sich inzwischen auf 625,4 Milliarden US-Dollar erhöht und wächst täglich leicht über dem weltweiten Durchschnitt, also um gut 730 Millionen jährlich – pro Nase!

Aber Erbschafts- und Vermögenssteuern sind für die Union und das braune Gesocks daneben „Neid-Steuern“. Und der Hüter der Reichen und Mächtigen in der Mainpost, Rudi Wais, will diese vor von Habeck vorgeschlagenen Sozialabgaben schützen, weil die Reichen ja eh schon unter Doppel- , ja gar Mehrfachbesteuerung litten.

Und deshalb gibt es immer noch kein Geld für Schulklos. Dafür ist Kapital schließlich nicht da.

Peinlich selbst noch im Abtritt

Es sei nicht möglich, mit einem Partner zu regieren, der nur die Interessen seiner Klientel und das eigene Überleben zum Ziel hat, so erklärte Kanzler Scholz die Entlassung Lindners. Da hat er wohl Recht. Befremdlich eigentlich nur, dass ihm das erst so spät aufgefallen ist. Hier im Blog wurde derselbe Gedanke seit Jahren geäußert, zuletzt am 13 August wörtlich so:

Es ist nicht klug, sich auf Koalitionen mit einer Partei einzulassen, deren einziger politischer Programmpunkt das eigene Überleben ist, koste es, was es wolle.

Auch auf Bundesebene scheint ein wahltaktisches Manöver eingeleitet zu sein: Mit Vorschlägen, die auf direkte Konfrontation mit den Koalitionspartnern aus sind, entzweit man die Koalition bewusst immer mehr, um sie (möglichst kurz vor der Wahl, dann steht man auch nicht als „Kanzlermörder“ da) platzen zu lassen. Dann kann man aus der Opposition heraus die „verantwortungslose“ Politik von SPD und Grünen anprangern und als vermeintlicher Retter der „bürgerlichen Freiheiten“ wahlkämpfen.“

Bis auf das Timing war das schon recht treffend und kann jetzt inhaltlich präzisiert werden:

Der Chef des kleinsten Koalitionspartners schlägt in einem „Strategiepapier“ vor, dass die Ampel ab sofort praktisch alles anders machen oder abbrechen sollte, was sie (zusammen mit ebenjenem Chef) im Koalitionsvertrag beschlossen hat: Die Auflösung des Klima- und Transformationsfonds (aus dem Umweltschutzmaßnahmen gefördert werden, kein Kohleausstieg, mehr Erdgasförderung, Klimaziele entsprechend auf den Sanktnimmerleinstag verschieben, Ausstieg aus der Förderung der erneuerbaren Energien und dem Lieferkettengesetz. Gleichzeitig soll der Solidaritätszuschlag für Spitzenverdiener abgeschafft und die Körperschaftssteuer gesenkt werden, was kurzfristig erst einmal 8 Milliarden Defizit zusätzlich im Staatshaushalt bedeutete. Gegenfinanziert werden soll das ausschließlich aus dem Sozialetat: Höhere Abschläge bei frühzeitiger Verrentung, Kürzungen beim Bürgergeld, besonders im Bereich der Wohnungskosten, was „individuelle Schlechterstellungen gegenüber dem Status qo“ (…) unvermeidlich“ mache, so das Papier. Und natürlich massive Streichungen bei Asylbewerbern.

Zusammengefasst: Verzicht auf ökologische Politik und Entlastung bei den Reichsten auf Kosten der Ärmsten.

Dieses Papier, das die Beschlüsse des Koalitionsvertrages ins Gegenteil verkehren wollte, legte der Chef der (noch) 8%-Partei im Koalitionsausschuss vor und beschwerte sich anschließend weinerlich, der Kanzler habe das nicht einmal als „Beratungsbasis“ zugelassen und auf der Reform der Schuldenbremse bestanden, um weiterhin Ukraine-Hilfen bezahlen zu können. Die lehnt Linder zwar nicht ab, möchte sie aber durch „Umschichtungen und Priorisierungen“ im Haushalt finanzieren – also ebenfalls auf Kosten des Sozialstaats.

Und diese menschgewordene Peinlichkeit wirft jetzt Scholz einen „gezielt inszenierten Koalitionsbruch“ vor. Beleg dafür sei, dass der Kanzler seine Entlassung in einer 13-minütigen, offenbar vorbereiteten Rede begründet habe.

Lindner, der seit Wochen mit Oppositionspapieren um sich wirft und „vom Herbst der Entscheidungen“ raunt, sollte eigentlich wissen, dass Scholz diesen Fall der Fälle nicht unvorbereitet auf sich zukommen lässt.

Inzwischen ist bekannt, dass der Kanzler im Koalitionsausschuss eine zweite Rede dabei hatte, in der er sich und die Koalitionäre für ihr Verantwortungsbewusstsein gelobt hätte, wenn es denn noch einmal zu einer Einigung gekommen wäre, also durchaus offen in diese Gesprächsrunde gekommen ist.

Was sich Lindner zu diesem Zeitpunkt von seinem Regierungsausstieg verspricht, ist rätselhaft. Deutlich wird, dass er – schon im Wahlkampfmodus angekommen – sich als Hüter der Verfassung profilieren will. Wird ihm wohl nichts nützen, weil hoffentlich die Jugendlichen kein zweites Mal auf seine pseudomoderne Tour hereinfallen werden und auch sonst niemand einen Politiker wählen sollte, der immer dann, wenn seine Klientel nicht bevorzugt wird, hinschmeißt.

Schnelle Neuwahlen, wie jetzt von allen Parteien außer SPD und Grünen gefordert werden, wären übrigens nicht nur für die FDP eine Katastrophe (fast überall hört man Erleichterung durch, dass Lindner endlich weg ist): Man stelle sich vor, wie in dieser Zeit der weltweiten Krisen es statt deutscher Politik nur noch Wahlkampf gibt – und anschließend einen in der internationalen Politik völlig unerfahrenen Kanzler Merz, der oft genug bewiesen hat, dass es ihm an diplomatischem Geschick fehlt.

Fazit: Da wollt der Schwanz mit dem Hund wedeln, und weil der Hund das nicht mitgemacht hat, ist er abgefallen. Aber lieber einen Hund ohne Schwanz als einen Schwanz, der dem Hund die Richtung diktieren will.

So die AfD stoppen?

Umfragen der ARD nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen machten deutlich, dass keiner der Befragten eine auch nur annähernd sinnvolle Antwort auf die Frage fand, warum er AfD gewählt habe. Einer meinte „Ja, was soll ich jetzt dazu sagen?“, andere erklärten, es müsse sich was ändern (was auch immer…) oder gar, eine Partei, die so viele stimmen hat, sollte auch regieren: „Sie sollen es probieren, entweder sie fahren es an die Wand oder sie können es“ (auch was auch immer).

Wie das „Ausprobieren“ bei der NSDAP ausgegangen ist, sollte man eigentlich wissen.

Angesichts so viel Inhaltslosigkeit klingt der (berechtigte) Vorwurf, die alten (West-)Parteien hätten sich Jahrzehntelang im Osten nicht blicken lassen, fast schon wie ein Argument. Man hat den Osten von Anfang an in der praktischen Politik den Rechten überlassen, aus Überheblichkeit oder weil es die paar Wählerstimmen im Osten nicht wert schienen, sich um sie zu kümmern.

Geradezu sprachlos macht einen jedoch, wie diese Parteien jetzt auf das Wahlergebnis reagieren: Abschieben, abschieben und nochmals abschieben, als gäbe es gar keine anderen Probleme mehr. Selbst nach Afghanistan, das so weit weg von einem menschlichen Staat ist, das man mit dem Regime nicht einmal sprechen mag.

Die Abschiebung von 28 (!) Afghanen wird gefeiert wie ein nationaler Feiertag. Und das Ergebnis? Die Menschen im Osten sprechen der AfD plötzlich Kompetenzen zu. Man muss sich nicht wundern: Wenn die anderen Parteien jetzt alle das wollen, was die AfD seit Jahren fordert, muss diese ja recht gehabt haben. Selbst Schulden- und auch sonst alles -bremse Lindner, der es tatsächlich geschafft hat, dass die FDP nur noch von Rechtsanwälten und Zahnärzten gewählt wird (knapp 1,1%), ausgerechnet der „ermahnt“ die Koalition, diesbezügliche „Versäumnisse“ schleunigst nachzuholen (28 Syrer vermutlich…).

Auf die West-Parteien sollte man also besser nicht hoffen. Bleibt die sogenannte Zivilgesellschaft.

Leider gibt auch diese nicht gerade Anlass zur Hoffnung: Hat man beispielsweise in Würzburg im Frühjahr noch eine mächtige Demonstration gegen rechts auf die Beine gestellt, erwies sich eine Veranstaltung am Tag nach den Landtagswahlen im Osten als ziemlicher Flop.

Angekündigt in der Presse war eine Demonstration, zu der die Grüne Jugend, die Jusos, die Jugendorganisationen von Verdi und der GEW und die Omas gegen rechts aufgerufen hatten.

Am Veranstaltungsort stellte sich heraus, dass man keine Demonstration angemeldet hatte, sondern lediglich eine Kundgebung, bei der sich rund zweihundert Leutchen in der Fußgängerzone verloren. Und leider ist auch kein einziger Passant stehengeblieben, um sich anzuhören, was da gesprochen wird.

Was nicht verwundert.

Eine Kundgebung besteht darin, dass jemand etwas kund tut, also redet. Wenn es den Veranstaltern aber nicht mal gelingt, ein kleines Podest oder wenigstens einen Hocker aufzutreiben, damit man die Redner sehen kann, hilft auch ein immerhin einigermaßen funktionierender Lautsprecher nichts.

Dann sprechen drei Leute – und sagen inhaltlich viel Richtiges. Dennoch bleibt die Stimmung irgendwo in der Mitte zwischen Entspanntheit und Desinteresse – etliche Kundgebungsteilnehmer beginnen sich zu unterhalten.

Liebe junge Leute jenseits der 30%  AfD-Wähler: Schön, dass es euch gibt! Aber man erreicht Menschen auf der Straße nicht, indem man sein Anliegen herunterliest wie ein Kassenwart seinen Rechenschaftsbericht. Man erreicht sie auch nicht, wenn man eine völlig unstrukturierte Rede hält, in der sich die inhaltlichen Punkte teils drei Mal wiederholen, statt den wichtigsten ordentlich hervorzuheben, hier z.B. die Lüge, die AfD sei eine neue Arbeiterpartei. Das ist doch wichtig, das muss man ausbauen (und nicht die Argumente dazu herunterrattern wie ein in der Schule unwillig auswendig gelerntes Gedicht)!

Und wenn dann die Omas am Schluss ihr traditionelles Liedchen anstimmen, hat man auch nicht den Eindruck, dass das eine Methode sein könnte, die AfD zu stoppen.

Es ist eigenartig: Da geht es um nichts weniger als um den Erhalt der Demokratie. Aber anstatt dieses Anliegen mit der gebotenen professionellen Schärfe und Eindringlichkeit in der Öffentlichkeit auszutragen, hechelt die eine Seite (die Politik) den Rechten hinterher und die andere Seite (die Zivilgesellschaft) macht eine Veranstaltung, als ginge es um einen Protest gegen erhöhte Schwimmbad-Gebühren.

Der Schnörpfl

Was für ein seltsames und außergewöhnlich hässliches Wort, werden jetzt die meisten von euch denken und selbst diejenigen, die sich an der lexikalischen Vielfalt des fränkischen Dialekts normalerweise erfreuen, müssen zugeben: Schön ist das nicht.

Schön ist auch nicht, dass es für dieses Wort nur eine höchst unpräszise Inhaltsseite, sprich, eine nur vage definierte Bedeutung gibt:

Ein Schnörpfl ist im Fränkischen immer etwas, das zwar mit seinem Stammkörper fest verbunden ist, aber immer von ihm wegstrebt und irgendwie instabil, beweglich ist. Einen Schnörpfl aus Eisen z.B. gibt es meines Wissens nicht:

Hat ein Beutel eine Schlaufe als Griff, ist das eine Schlaufe oder ein Griff. Hat er aber nur einen Stoffstreifen, kann man ihn an diesem Schnörpfl fassen. Eine Metallstange an einem Topf bleibt ein Griff und ist nie ein Schnörpfl.

Ein typischer Schnörpfl ist auch das Mundstück am Luftballon. Man kann ihn da fassen und es bleibt ein Schnörpfl, selbst wenn es heftig verknotet ist.

Auch ein bestimmtes männliches Körperteil kann ein Schnörpfl sein, solange es die Kriterien der großen Instabilität und Beweglichkeit erfüllt.

Man sieht: Immer taugt ein Schnöpfl zum Anfassen. Man kann seinen Stammkörper daran hochheben, wegziehen, durch die Luft schleudern etc.

Dass aus einem Schnörpfel unter bestimmten Umständen etwas anderes wird, zeigt das Beispiel vom männlichen Körperteil. Dass aus etwas anderem auch ein Schnörpfl werden kann, dafür hat eine dieser tief durchdachten EU-Richtlinien gesorgt:

Irgendein gelangweilter Europa-Politiker muss einen der ganz seltenen Fälle beobachtet haben, in dem ein Mensch den Schraubverschluss einer Flasche abgedreht, die Flasche leergetrunken und dann die leere Flasche und den abgedrehten Schraubverschluss an verschiedenen Orten abgelegt hat.

Das muss unterbunden werden, dachte sich der Politiker, drohe doch die Gefahr, dass sich der Verschluss ob seiner Unscheinbarkeit – getrennt von der Flasche – dem eigentlich auch für ihn vorgesehenen Recycling-Prozess entzöge.

Flugs entwarf er das Schnörpfelschöndranbleibgesetz, das Flaschenabfüller verpflichtet, den auch abgedrehten Schraubverschluss mittels eines Plastikbandes untrennbar mit dem Flaschenkörper zu verbinden, wo er nun rumhängt oder -wippt und zusammen mit seinem Plastikband einen 1A Schnörpfl bildet.

So weit, so gut. Allerdings erhoben sich alsbald landauf, landab Klagen über den nun europaweit sein Unwesen treibenden neuen Schnörpfl.

Da ist die Rede von unschönen und schmerzhaften Kratzern an der Wange beim Versuch, aus der Flasche zu trinken, von sabbernden Bartträgern, weil sich der Flaschenschnörpfl in den Barthaaren verheddere und so die Flaschenöffnung vom aufnahmebereiten Mund reiße, von Nasenbluten gar, weil sich ein hervorstehendes scharfkantiges Plastikteilchen in der Nasenscheidewand verhakt habe.

Erzählt wird von mit Milch überschwemmten Frühstückstischen, weil der Tetrapack-Schnörpfl direkt in den Strom der ausgegossenen Milch gerutscht sei und von safttriefenden Kühlschränken, weil es fast niemandem gelänge, den an arg kurzer „Leine“ fixierten Flaschenverschluss wieder korrekt aufzusetzen.

Vermutlich wurde durch dieses Gesetz erheblicher, durch achtlos weggeworfene Flaschenverschlüsse verursachter ökologischer Schaden abgewendet. Allerdings fielen in den Ländern, in denen es in Kraft gesetzt wurde, die Menschen im Glücklichkeitsranking um etliche Plätze zurück.

Deswegen, wird in üblicherweise gut informierten Kreisen gemunkelt, arbeiten Küchenutensilienhersteller wie Fa**elmann bereits an einer unauffälligen Flaschenöffnungshilfe, die beim Aufdrehen des Verschlusses ganz zufällig das Fixierungsband durchtrennt und so aus dem Schnörpfl wieder einen freien, dreh- und wegwerfbaren Flaschenverschluss macht. Die Nachfrage nach Patent und Produktionsmaschine soll riesig sein.

Viele Leute erklärten auf Befragung, sie hätten den Flaschenverschluss nach Entleeren der Flasche bewusst abgedreht, weil sie befürchteten, er würde beim Reinigen oder Recyclen Probleme machen. Vielleicht hätte eine kleine Aufklärungsbroschüre ja auch gereicht, um das Problem zu beseitigen. Aber das wäre nur die zweitbeste Lösung gewesen: Schließlich gäbe es dann die vielen neuen Arbeitsplätze nicht und auch nicht das neue wohllautende Gesetz (das ehrlicherweise in Analogie zum „Gute-Kita-Gesetz“ und „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ frei erfunden wurde).

Kein Scherz, aber ein schlechter

Natürlich denkt man zuerst, jetzt habe der FDPler mit dem größten Schaden an der Waffel auch mal was sagen dürfen und das vermutlich in volltrunkenem Zustand:

Kostenlose Autoparkplätze in den Innenstädten, weniger Fußgängerzonen und Fahrradstraßen, so der „Zukunftsplan“ der FDP.

So voll zurück in die 60er, dass selbst der immer abgasbenebelte ADAC sich mit den Vorschlägen nicht richtig anfreunden kann: Radfahrer und Fußgänger sollten natürlich AUCH ihre Berechtigung in den Innenstädten haben.

Ansonsten hielten die meisten Kommentatoren diesen „Plan“ entweder für einen schlechten Witz oder eine individuelle Entgleisung, wohl auch verleitet durch die eigenartige Scheinlogik in der Begründung: Dem Einzelhandel ginge es besser, wenn Autos umsonst in den Innenstädten parken dürften. Richtig. Den Autobauern ginge es theoretisch auch besser, wenn sie für ihre Verbrenner nicht so lästige – und nur teuer zu umgehende – Umweltauflagen erfüllen müssten und die Bauern hätten es auch leichter, wenn sie tonnenweise Pestizide legal auf ihren Feldern ausbringen dürften.

Vermutlich aber glaubt diese Logik noch nicht einmal die FDP selbst: Man mag sich die von Autos verstopften Innenstädte am Samstagmorgen ja gar nicht vorstellen, und sowohl den Auto- wie auch den Rübenbauern liefe wohl letztlich die Kundschaft weg.

Dass der „Plan“ jetzt kurz vor den Landtagswahlen im Osten und vom Generalsekretär verkündet wurde, dürfte allerdings wohlkalkuliert – und Ausdruck der puren Verzweiflung der FDP sein:
Die Umfragewerte der Partei im Osten sind eine Katastrophe und man kann nicht damit rechnen, liberaldemokratisch denkende Menschen zur Stimmabgabe für sie zu bewegen. Also hat man offensichtlich beschlossen, verstärkt in ganz trüben Gewässern zu fischen, im Wählerpotential der AfD. Dort tummeln sich neben Nationalisten (was Teilen der FDP ja auch ganz nahe liegt) besonders viele Klimaleugner und Grünen-Feinde. Anders als im Westen sieht sich die FDP hier auch genötigt, die Politik „für den kleinen Mann“ zu entdecken, kurz, sich als die bessere AfD zu verkaufen.

In denselben Gewässern fischt neuerdings ja auch das BSW. Traurigerweise reicht das Stimmenpotential eigentlich für alle drei, aber es ist nicht zu erwarten, dass die Menschen im Osten der FDP ihr neu entdecktes soziales Bewusstsein abkaufen – zumal diese auf Bundesebene ja weiter eine erhebliche Kürzung des Bürgergelds fordert.

Für die Parteien des demokratischen Spektrums kann die Lehre aus diesem Vorstoß nur sein: Es ist nicht klug, sich auf Koalitionen mit einer Partei einzulassen, deren einziger politischer Programmpunkt das eigene Überleben ist, koste es, was es wolle.

Auch auf Bundesebene scheint ein wahltaktisches Manöver eingeleitet zu sein: Mit Vorschlägen, die auf direkte Konfrontation mit den Koalitionspartnern aus sind, entzweit man die Koalition bewusst immer mehr, um sie (möglichst kurz vor der Wahl, dann steht man auch nicht als „Kanzlermörder“ da) platzen zu lassen. Dann kann man aus der Opposition heraus die „verantwortungslose“ Politik von SPD und Grünen anprangern und als vermeintlicher Retter der „bürgerlichen Freiheiten“ wahlkämpfen.

Wie war das noch einmal? Lieber nicht regieren als schlecht regieren? Die FDP 2024 ist einen Schritt weiter, das muss man erst einmal hingekommen: Gleichzeitig schlecht UND nicht zu regieren…