Westliche Scheinheiligkeit

Am 30.1. tauchte in der online-Ausgabe der tagesschau eine Meldung auf, dass sich ein russischer milliardenschwerer Oligarch mit vollem Namen als Besitzer von „Putins Palast“ geoutet habe. Der gab an, er wolle auf dem Gelände ein Luxushotel errichten, was (auch wenn man sich des Wahrheitsgehalts natürlich nicht sicher sein kann) angesichts der gesamten Anlage deutlich plausibler erscheint als Nawalnys Geschichte vom Privatpalast [1].

Fast alle westlichen Medien haben diese Meldung geflissentlich übersehen, reagiert hat niemand. Passt einfach nicht, selbst die geschätzte taz spricht weiter unverdrossen von „Putins Palast“.

Stattdessen gibt man unreflektiert weiterhin Nawalnys skurrile Aussagen wieder: Auf den Vorwurf des russischen Gerichts, er habe mehrfach gegen seine Bewährungsauflagen (regelmäßige Meldepflicht) verstoßen, antwortet er, er habe sich nicht bei den Behörden melden können, weil er in Deutschland erst im Koma gelegen habe und dann monatelang krank gewesen sei.

Was er in dieser Zeit konnte, nach eigenen und von den westlichen Medien freudig aufgegriffenen Behauptungen:

  1. Er konnte angeblich mit einem Chef des russischen Geheimdienstes eine Stunde lang telefonieren und dem ein umfassendes Generalgeständnis zum angeblichen Mordanschlag abringen.
  2. Er konnte von Deutschland aus das „Enthüllungsvideo“ organisieren und veröffentlichen.

In den berüchtigten russischen Gefängnissen scheint es übrigens ziemlich liberal zuzugehen. Schließlich konnte Nawalny nach eigenen Aussagen „aus seiner Zelle heraus“ die landesweiten Proteste seiner Anhänger koordinieren…

Vehement fordern westliche Regierungen jetzt die sofortige Freilassung Nawalnys, als würde in Deutschland jemand, der immer wieder zu illegalen Demonstrationen und zum Umsturz aufruft, nicht auch festgenommen. Und wer sich (zu Recht!) über die unverhältnismäßige Härte der russischen Sicherheitsbehörden empört, möge sich immerhin auch an den G20-Gipfel in Hamburg erinnern, als man in Zelten aufgestellte Gitterkäfige mit Festgenommenen vollstopfte. Im Sommer letzten Jahres wurde in einem Prozess wegen einer gewalttätigen Demonstration ein Urteil gefällt. Hier die Berichterstattung des NDR:

Der Hauptangeklagte, ein 24-Jähriger aus Frankreich, bekam eine Haftstrafe von drei Jahren. Ein 26-Jähriger aus Hessen erhielt ein Jahr und fünf Monate Haft auf Bewährung, ein 24-jähriger Hesse eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Die beiden anderen, zwei Männer aus Hessen im Alter von 20 Jahren, müssen wegen Landfriedensbruchs 20 Arbeitseinsätze zu je sechs Stunden ableisten.
Mit ihrem Urteil enttäusche sie sicher beide Seiten, sagte die Vorsitzende Richterin, sowohl den Staatsanwalt, der deutliche höhere Strafen verlangt hatte, als auch die Verteidigung. Die hatte auf Freispruch für die Männer plädiert. Die Angeklagten waren bei dem vermummten Aufzug am Morgen des 7. Juli 2017 dabei, hatten selbst aber keine Steine geworfen oder Autos angezündet.

Der Hauptangeklagte saß übrigens 16 Monate (!) in Untersuchungshaft.

Ein anderer Mann (eine taz-Leserbriefschreiberin hat darauf hingewiesen) ist übrigens seit knapp 11 Jahren de facto in Haft. Sein „Verbrechen“: Er hat amerikanische Staatsgeheimnisse veröffentlicht, die bereits erfolgte und geplante Kriegsverbrechen der USA beinhalteten. Der offizielle Haftgrund: Julian Assange ist in Schweden zwei Mal Frauen gegenüber übergriffig geworden. Die beiden haben ihn aber, wie eine davon jüngst veröffentlichte, NICHT wegen Vergewaltigung angezeigt (das hat der schwedische Staat dann von sich aus gemacht), sondern lediglich bei der schwedischen Polizei nachgefragt, ob man ihn zu einem HIV-Test zwingen könne. Ein Auslieferungsersuchen der USA, wo ihm eine Strafe zwischen 175 Jahren Haft und Tod droht, wurde zwar abgelehnt, nach einem zwischenzeitlichen Asyl in der britischen Botschaft von Ecuador wurde er im April 2019 von der britischen Polizei inhaftiert.

Haftgrund: Assange habe gegen Kautionsauflagen verstoßen, weil er zu einem früheren Gerichtstermin nicht erschienen war (Wikipedia) – während seines Asyls in der Botschaft (Red.)

Assange sitzt immer noch in Haft.

Von einem empörten Aufschrei der westlichen Regierungen, der Forderung nach sofortiger Freilassung und der Androhung von Sanktionen gegenüber Großbritannien hat man noch nichts gehört.

[1] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/putin-palast-nawalny-oligarch-101.html

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