Macht uns nicht an, Politiker!

Das Outing ist leider hier unumgänglich: Ich bin natürlich doppelt geimpft, Zweitimpfung Anfang Juli. Mein gesamter Bekanntenkreis auch. Nachdem sogar die stets sehr zögerliche Stiko inzwischen die sog. Booster-Impfung für alle fünf Monate nach der Zweitimpfung empfiehlt, hielt ich es, abgeschreckt von den endlosen Schlangen vor den wenigen noch verbliebenen Impfstellen, für richtig, mich um einen Termin für die Auffrischungsimpfung zu bemühen.

Schließlich hat man ja auf Anordnung des Grögmaz (Größter Gesundheitsminister aller Zeiten) Ende September, just vor Beginn der vierten Welle und der herbstlichen Hochsaison in den Arztpraxen weitgehende 2G-Regelungen beschlossen und gleichzeitig unfassbarerweise die sehr gut funktionierenden Impfzentren geschlossen. Das Impfen könnten jetzt die Hausärzte übernehmen, so der Grögmaz übereinstimmend mit oder auf Druck des Chefs der Kassenärztlichen Vereinigung. Blöd nur, dass die Hausärzte im Herbst wirklich genug zu tun haben und ihre Praxen unter dem Ansturm der Impfwilligen regelrecht zusammengebrochen sind, weshalb ein Großteil der Praxen aus der Corona-Impfung ausgestiegen ist. (Eigene Erfahrung eins: vier Tage Dauerwählen, um bei meiner Hausarztpraxis überhaupt durchzukommen – wegen einer akuten anderen Sache. Eigene Erfahrung zwei: Schon Anfang Oktober war es für die, die als erste geimpft worden waren, die ganz Alten, so gut wie unmöglich einen Booster-Termin zu bekommen. Zwei abgebrochene stundenlange Ansteh-Versuche bei miesem Wetter und eine Suchfahrt durch den Landkreis in den frühen Morgenstunden benötigte eine gute Bekannte, um die dritte Impfung zu ergattern.)

Aber doch ein Lichtblick: In meiner Stadt, Würzburg, hat man offenbar auf die Endlos-Schlangen regiert und eine (zwar deutlich kleineres) neues Impfzentrum eröffnet. Mit Terminvergabe. Über das bayerische Impfportal. Dort sind aber angeblich überhaupt „keine Termine mehr frei“, sagt die Software. Könnte auch daran liegen, dass man das neue Impfzentrum schon vor der Eröffnung wieder geschlossen hat (das muss man erst einmal hinkriegen!), weil die dafür in Anspruch genommene Turnhalle für den Schulsport benötigt wird, wie irgendjemand von der Stadtverwaltung herausgefunden hat. Also alles wieder einpacken und Umzug in ein leerstehendes Gewerbegelände. Das dauert.

Dass auch an allen anderen Impfstellen in Stadt- und Landkreis Würzburg keine Termine zu kriegen sind, könnte allerdings auch daran liegen, dass der Grögmaz plötzlich die Biontech-Zuweisungen radikal gekürzt hat. Natürlich ist es blöd, dass die Deutschen nur Biontech wollen, aber das wiederum könnte ja auch daran liegen, dass man Moderna ähnlich wie Astra-Zeneca im Sommer gefährlichgeredet hat.

Wie stümperhaft bis zum Zynischen die Politik agiert, lässt sich an der Verlautbarung der Stadt Hamburg sehen, die Impfwilligen auf ihrer Website empfiehlt, sich auf „längere Wartezeiten“ einzustellen und an „warme Kleidung sowie gegebenenfalls an einen Regenschirm“ zu denken. Weiß man in Hamburg eigentlich nicht, dass gerade jetzt die ganz Alten, die zuerst geimpft wurden, zum Boostern dran sind? Offensichtlich hat man kein Problem damit, die stundenlang im Regen stehenzulassen.

Fast ein bisschen schadenfroh weist der Grögmaz darauf hin, dass sich ja alle im Sommer hätten impfen lassen können, dann gäbe es jetzt diese Schlangen nicht. Dass die Leute das nicht gemacht haben, könnte ja auch daran liegen, dass er und seine Gesinnungsgenossen im Sommer ständig vom „Ende der Pandemie“ geschwafelt und radikal praktisch alle Beschränkungen aufgehoben haben, was natürlich nicht gerade ein Motivationsschub zum Impfen war. Aber einer für das Virus.

Nachdem man eine gut funktionierende Impfstruktur mutwillig zerstört hat, verschreckt man jetzt Tausende von Impfwilligen (auch für eine Erstimpfung) durch stundenlange Wartzeiten buchstäblich bei Wind und Wetter.

Wer seinen Job – aus welchen Gründen auch immer, vielleicht gibt es ja schlimmere als blanke Unfähigkeit – so miserabel erledigt, sollte sich eigentlich in Grund und Boden schämen, statt die Leute anzumachen, dass sie sich nicht stundenlang in Regen oder Schnee stellen wollen.

Alle first!

Jetzt ist also die Impfpriorisierung aufgeboben und das Impfen geht dennoch nicht schneller. Es ist nämlich egal, an wen man nicht vorhandene Impfdosen nicht verimpft. Die Nebenwirkungen dagegen sind beträchtlich.

Selbst aus Prio eins sind ja viele noch nicht geimpft, zum großen Teil vermutlich, weil sie mit den Anmeldeformalitäten überfordert sind. Es sind keine  Anzeichen zu erkennen, dass der Staat sich um diese besonders bemühen würde. Hier kann man allerdings hoffen, dass die Hausärzte, von denen viele vernünftiger sind als der Gesundheitsminister und die weiterhin zunächst nach Priorisierungskriterien (und sie haben bessere als die Gesundheitsbürokratie) impfen, aktiv werden.

Die Menschen, die keinen Hausarzt haben und in gesellschaftlichen Oasen leben, wo man von staatlichem Handeln eh wenig mitbekommt, hat man offensichtlich (außer in ein paar Modellaktionen wie in Köln) irgendwie abgeschrieben.

Völlig verheerend sind zudem die Nebenwirkungen in den Arztpraxen. Wurden die schon bei der ersten Meldung, Ärzte könnten jetzt auch impfen, mit Anrufen bombardiert, hat man seit diesem Montag als z.B. chronisch Kranker kaum mehr eine Chance, seinen Hausarzt zu erreichen. Schließlich darf jetzt jeder „sich um einen Impftermin bemühen“ – und dazu natürlich drei, vier, fünf Arztpraxen anrufen. Die hausärztliche Versorgung ist dadurch so ziemlich lahmgelegt.

Mitleid darf man mit den Patienten haben, allerdings nicht mit den Ärzten. Waren es doch vor allem ihre Verbandsvertreter, die erst lautstark nach Einbeziehung der Hausärzte gerufen haben – bis hin zu so abstrusen Forderungen, wie die Impfzentren gleich zu schließen, und dann auch nach Aufhebung der Priorisierung. Und das alles bei gleichzeitigem Gejammere, dass die 20 Euro Vergütung nicht einmal die Kosten für den Aufwand  decken würden. Alles aus purer ethischer Verantwortung…

Was bewog eigentlich Spahn zu dieser Aktion, die inzwischen von fast allen Seiten als unsinnig angesehen wird?

Seine großmäulig angekündigten geradezu ozeanischen Wellen von Impfstoffen versickerten ziemlich schnell im Sand. Und die Leute wurden vertröstet und vertröstet und natürlich immer ungeduldiger. Dazu kam, dass zunehmend jeder Verband für seine Klientel behauptete, Anspruch auf Impfpriorisierung zu haben. Das Gaststättengewerbe glaubte natürlich als erstes und lautestes, Anspruch auf schnellste Impfung zu haben. Dann kamen so ziemlich alle Berufsverbände, plötzlich die Forderung, die Kinder priorisiert zu impfen.  Der jüngste Clou kam von einem Hochschullehrerverband. Vordringlich sei jetzt, erst mal alle Studenten zu impfen.

Das ist alles ziemlich konsequent für eine Menschenansammlung, die keine Gesellschaft mehr ist, sondern der man anerzogen hat, lauter Egos zu  sein, die sich gefälligst selbst um ihre Interessen zu kümmern hätten.

Angesichts der immer schriller werdenden Interessensvertretungen aber ein immerhin rational begründetes Konzept zu  verwerfen, dem Druck einfach widerstandslos nachzugeben, dem freien Hauen und Stechen Vorrang einzuräumen vor politischer Gestaltung: Das ist ein Punkt, den man dem Gesundheitsminister bei allem vorausahnenden Flehen nicht verzeihen sollte.

Duo Coronale

Statt effektiver Pandemiebekämpfung erlebt man in Deutschland ein immer grotesker werdendes Gewurstel immer panischer werdender MinisterpräsidentInnen, die sich auf Meetings inzwischen nicht mehr nur diplomatisch beharken, sondern sich schon auch mal gegenseitig anblaffen im eher unfeinen Stil.

Zwei Faktoren prägen im Wesentlichen die aktuelle Corona-Politik, die sich systemisch gegenseitig bedingen:

Zum einen die offenkundige Eitelkeit, Selbstüberschätzung und das Wahlkampfgehabe der MinisterpräsidentInnen („Wir in Bayern machen das schon lange“) bei erschreckender intellektueller Mittelmäßigkeit und den entsprechenden Ergebnissen ihrer Beratungen: Bei Gewurstel kommt halt eine sehr undurchsichtige Kochwurst heraus mit erwartbar extrem kurzer Haltbarkeitsdauer. In Talkshows oder bei Interviews blasen sich die „Landesfürsten“ einmal kräftig auf, um dann so lange, bis ihnen die Luft wegbleibt, konsequent an den Fragen vorbeizureden („antworten“ kann man das ja nicht nennen).

Zum anderen die fast schon verblüffende Ignoranz und Bräsigkeit deutscher Bürokraten: Erst bestellt man aus purem Geiz zu wenig Schutzkleidung und Masken, um sich anschließend dieselben extrem überteuert von korrupten Abgeordneten andrehen zu lassen.

Während in fast allen europäischen Ländern der Astrazeneca-Impfstoff schon millionenfach ohne ernsthafte Nebenwirkungen verimpft war, verschreckt die Stiko (ständige Impfkommission) die Menschen zunächst mit einer Nichtzulassung dieses Impfstoffs für Ältere, um dann zu erklären, dass man sich „in zehn Tagen“ erneut mit der Frage beschäftigen werde. Frühestens Mitte März werde man sich mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson „befassen“. Bis dahin dürften die Engländer, die alle vier im Westen entwickelten Impfstoffe einsetzen, wohl bei 30% Geimpftenrate angekommen sein, während man in Deutschland vielleicht den „Sprung“ von 6 auf 7 Prozent schafft.

Extrem zögerlich wagt man sich auch an die Idee, die Arztpraxen in den Impfprozess einzubeziehen, von einer Vorbereitung auf diesen Schritt ist nichts zu sehen. Inzwischen sickerte durch, dass vor allem die Stiko bremst wegen der Befürchtung, in den Hausarztpraxen könnte ihre Priorisierungsliste nicht strikt eingehalten werden. Und auch wenn Hausärzte natürlich ihre Patienten besser kennen als die Stiko und wissen, bei wem eine Impfung dringend ist, sieht die Stiko ihre Priorisierungliste in Marmor, Stein und Eisen gemeißelt, selbst wenn der etwas jüngere, aber Schwerkranke seine Impfung nicht mehr erlebt, weil er laut Stiko erst geimpft werden darf, wenn alle über 80-jährigen durch sind.

Dass in einem „Amt“ am Wochenende grundsätzlich nicht gearbeitet wird, auch nicht während einer Pandemie, scheint für etliche Gesundheitsämter zu gelten, weswegen seit einem Jahr (!) bei der Verkündung der Inzidenzzahlen immer dazugesagt werden muss, dass die Zahlen am Wochenende und bis fast zur Wochenmitte nicht stimmen, weil übers Wochenende zu wenig Daten übermittelt werden. Und dass Hamburg ebenfalls seit einem Jahr seine Daten erst so spät am Abend meldet, dass das RKI sie nicht mehr einbeziehen kann und Hamburg deswegen immer nur eine 6-Tagesinzidenz statt einer über sieben Tage bestätigt bekommt, ist ja wohl schließlich das gute Recht eines “Stadtstaates“!

So schwierig ist der Gedanke eigentlich nicht, dass man vor dem Beschluss zu Lockerungen seine Testungsstrategie im Griff und auch realsierbar hat. Die Lockerungen hat man beschlossen. Aber weder gibt es die von Spahn zum 1.3. angekündigten Schnelltests für alle, noch die von Merkel zum 8.3. in Aussicht gestellten. Und die in ihrer Handhabung ohne Aufsicht wohl eher gefährliche Sicherheitsvorstellungen hervorrufenden Selbsttests werden bei Aldi und Lidl verramscht, Schulen und Kitas, wo man sie kontrolliert anwenden könnete, bekommen so nichts.

Es sagt viel aus, dass ausgerechnet ein uralter Witz das Regierungshandeln exakt verbildlichen kann:

Große Aufregung im Hühnerstall: „Das Veterinäramt kommt! Jedem von uns, der drei Beine hat, soll das dritte Bein abgehackt werden!“ – „Aber wir haben doch alle nur zwei Beine, da kann uns doch gar nichts passieren!“ – „Glaubst du! Aber die hacken erst und zählen dann!“

Und jetzt sollen ausgerechnet der Pannen-Jens und der bescheuerte Maut-Andi das Test-Problem lösen, ein echtes Duo Coronale!

Da kann man gleich Kardinal Woelcke zum Kinderschutzbeauftragten ernennen oder Dorothee Bär zur Ministerin für Digitalisierung.

Bodenloser Unsinn

Derzeit seien „rund 25 000 Menschen mit dem Corona-Virus infiziert“, lässt der Herr Gesundheitsminister am Sonntagabend verlauten und korrigiert damit eine Zahl, nämlich 31 000, die er in einem früheren Interview gegeben hat. Er habe da „von der Zahl aller Infizierten“ die der Genesenen abgezogen, aber vergessen, auch die der Verstorbenen abzuziehen.

Das Virus scheint über geheimnisvolle Fernübertragungsmechanismen so manches Hirn zu unterminieren. Spahn hat nämlich auch vergessen, dass es keine „Zahl aller Infizierten“ gibt, sondern nur eine Zahl der nach erfolgtem Test gemeldeten Infizierten.

Laut der in der Regel recht vertrauenswürdigen Seite „statista“ wurden in Deutschland bis zum 30. April ca. 2,5 Millionen Tests durchgeführt. Das Robert-Koch-Institut meldete an diesem Tag insgesamt knapp 160 000 Infizierte und 123500 Genesene sowie 6300 Verstorbene. Bleiben nach Spahn-Rechnung 30200 Infizierte. Grob gesagt: Nach 2,5 Millionen Tests bleiben netto 30 000 Kranke übrig.

2,5 Millionen Tests entsprechen knapp 3,3% der Bevölkerung. Würde man alle testen und das Ergebnis bliebe im Verhältnis gleich, käme man so auf eine Krankenzahl von 900 000. Da man aber nach wie vor nur Menschen mit schweren Symptomen und nachweisbaren Kontakten zu Infizierten testet, muss man davon ausgehen, dass die Zahl der Infizierten sogar deutlich höher liegt, allerdings auch die Zahl der unerkannt Gesundeten.

Das alles bewegt sich im Bereich der Spekulation. Aber angesichts von 3,3% Getesteten mit absoluten Zahlen bis auf den Tausender genau um sich zu werfen, bewegt sich im Bereich des Irrsinns. Man darf gespannt sein, wann Lindner und Laschet diese Zahlen aufgreifen und die Beendigung aller Maßnahmen fordern.