Der Juso

Man kann schon den Eindruck gewinnen, dass da einer sehr gezielt und sehr geschickt seine politische Laufbahn plant. Voraussetzung für eine solche ist ein hoher Bekanntheitsgrad, dafür wiederum ist starke Medienpräsenz hilfreich.

Man muss es auch nicht besonders sympathisch finden, wenn ein junger Mann schon während seines Studiums offensichtlich nichts anderes im Sinn hat, als sich durch gezielte Provokationen die oben genannten Bedingungen zu schaffen, und zwar sehr erfolgreich, weil ALLE ihm den Gefallen tun, über die Stöckchen zu springen, die Juso-Chef Kevin Kühnert ihnen hinhält.

Jetzt hat Kunert erklärt, er könne sich vorstellen, große Unternehmen wie BMW zu „kollektivieren“, sprich, von den Mitarbeitern verwalten zu lassen, und dass er Wohnungseigentum in den Händen von organisierten Geschäftemachern verbieten will. Damit hat er es wieder einmal in die Hauptnachrichtensendungen aller Medien gebracht und für interessante Politikerreaktionen gesorgt:

Auto-Andy erklärt ihn für einen „retrogewandten Spinner“, der offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen wolle, dass „Deutschland wirtschaftlich sehr erfolgreich sei“. „Retro“ ist hier vor allem Scheuers Vokabular, das die CSU schon seit 20 Jahren anwendet, wenn ihr etwas nicht passt. Dass es doch auch recht vernünftig sein kann, mal ein Stück rückwärts zu fahren, besonders, wenn man kurz davor ist, gegen eine Wand zu rasen, kommt ausgerechnet der stockkonservativen CSU nicht in den Sinn. Angesicht der ökologischen Bedrohungen sich über den „wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands“ (was das immer auch für wen bedeutet) zu freuen, ist allerdings auch reichlich retro.

Dass die FDP Angst ums Eigentum ihrer Klientel hat, war zu erwarten, auch dass die CSU einen Rückfall in „klassenkämpferische Zeiten“ entdeckt.

Die eigentliche Katastrophe sind die Reaktionen aus der SPD selbst, besonders vom SPD-Rechten Johannes Kahrs: Der hält Kühnerts Vorschläge für unsolidarisch und zeigt gleich, was er für Solidarität hält, indem er Kühnert zum Drogenkonsumenten macht („Was hat der geraucht“?). Kühnerts Vorschläge seien grober Unfug und „nicht sozialdemokratische Linie“.

Was diese „sozialdemokratische Linie“ denn eigentlich sei, fragen und fragten sich sicher alle der SPD abhandengekommenen Wähler und das Siechtum der Partei mitleidig Verfolgende.

Die Versuchung liegt nahe, sie im aktuellen Grundsatzprogramm der Partei, dem Hamburger Programm von 2007 zu suchen.

Das ist mühsam: 79 Seiten überwiegend unverbindliches Geschwurbel, Feiern eigener historischer Verdienste, Breittreten, wie die SPD die Welt sieht und interpretiert. Von einer „sozialdemokratischen Linie“ keine Spur, weit und breit. Das einzige, das einen zum Weiterlesen verleitet, ist die Hoffnung, dass im Programm der SPD doch irgendwo noch ein Restchen SPD stecken müsste. Und plötzlich (bei der Rückwärtssuche, zunächst überlesen, auf Seite 16):

„Gerechtigkeit gründet in der gleichen Würde jedes Menschen. Sie bedeutet gleiche Freiheit und gleiche Lebenschancen, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht. Also meint Gerechtigkeit gleiche Teilhabe an Bildung, Arbeit, sozialer Sicherheit, Kultur und Demokratie, gleichen Zugang zu allen öffentlichen Gütern. Wo die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen die Gesellschaft teilt in solche, die über andere verfügen, und solche, über die verfügt wird, verstößt sie gegen die gleiche Freiheit und ist darum ungerecht. Daher erfordert Gerechtigkeit mehr Gleichheit in der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Macht (…)“

Da ist sie, die SPD! Echt!

Nur will sie von ihrem eigenen Programm nichts wissen. Die SPD-Rechte darf Kühnert abwatschen, die anderen schweigen.

Wer eigentlich soll eine Partei wählen, die nicht mal an ihr eigenes Programm erinnert werden will?

Ein Kevin Kühnert ist für das Überleben der Partei wichtiger als 27 Bastas und Bätschis und Scholzens und so…