Dass gefälschte Nachrichten und Informationen von Politikern und Ideologen eingesetzt werden, wenn dies ihren Interessen dient, ist keine Erfindung von Donald Trump. Er macht das nur besonders schamlos.
Nicht weit entfernt davon sind allerdings diejenigen, dies das – von wem auch immer erfundene – Mysterium einer „christlich-jüdischen Kulturtradition“ Deutschlands nachplappern und diese in Form eines Kreuzes (natürlich: NUR eines Kreuzes) symbolisch an die Wand nageln wollen.
Selbst wenn man unterstellt, dass manche glauben, damit ein – natürlich völlig berechtigtes – Zeichen gegen den (nicht nur von muslimischen Zuwanderern!) forcierten Antisemitismus setzen zu müssen: Der überwältigenden Mehrheit dieser Geschichtsklitterer gefällt daran vor allem die Abwehr- und Ausgrenzungsfunktion gegen den Islam.
Dabei sind alle drei Komponenten dieser absonderlichen Wortschöpfung falsch.
Genausowenig, wie es historisch ein „deutsches Volk“ gibt (Dieser Begriff wurde im Hochmittelalter erfunden für ein wildes Sammelsurium unterschiedlichster Stämme), gibt es eine deutsche Kulturtradition. Wie auch? Noch heute vermag (der Dauerstreit um die sog. Leitkultur verdeutlicht dies ja anschaulich) niemand zu sagen, was denn traditionell „typisch deutsch“ sei.
Neidvoll kann man da nach Frankreich schauen: Dieser ebenfalls bunt zusammengewürfelte Haufen hat ja wenigstens sein Baguette und seinen Rotwein.
Im modernen Deutschland herrscht laut Verfassung (und das ist so ziemlich das einzige, was für alle verbindlich sein sollte) Religionsfreiheit. Und diese musste (beginnend mit der Aufklärung) hart erkämpft werden – gegen die christlichen Kirchen. Wenn jetzt Söder das christliche Kreuz in ein Symbol für Freiheit und Toleranz umdeutet: Wie sieht’s denn aus mit der Freiheit, wenn ich als Nichtgläubiger immer noch mit der ewigen Verdammnis bedroht werde? Ist es etwa ein Zeichen von Toleranz, wenn ein Land, in dem weniger als die Hälfte der Bevölkerung aktive Christen sind, in seinen Behörden im Eingangsbereich (also dort, wo nun mal JEDER hinmuss) demonstrativ Kreuze aufhängt? Ist es etwa ein Zeichen von Freiheit, wenn in der katholischen Kirche Frauen immer noch als Menschen zweiter Klasse behandelt werden?
Ähnlich wie die Juden in Deutschland. Spätestens seit den christlichen Kreuzzügen, als die Stimmung in Deutschland den Juden gegenüber immer aggressiver wurde. Wenn es Toleranz christlicher Herrscher gegenüber den Juden gab, dann nur, weil man sie wirtschaftlich brauchte und – über Sondersteuern, Berufsverbote und Verweigerung von Bürgerrechten – prima ausnutzen konnte.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts bekamen die Juden in der „christlich-jüdischen Kulturnation“ Rechtsgleichheit. Wie lange die bestanden hat, weiß hoffentlich jeder.
Die Zahl der in Deutschland lebenden Juden dürfte übrigens zu keiner Zeit erkennbar über einem Prozent gelegen haben. Selbst die „großen“ deutschen Juden wie Marx und Heine hat man verfolgt und ins Ausland gejagt.
Was also will man mit der Lüge von der „christlich-jüdischen Kulturtradition“ eigentlich aussagen? Dass Juden und Christen in Deutschland prima gemeinsam Kultur gemacht haben? Dass es also gar nicht wahr ist, dass die Geschichte der Juden in Deutschland bis 1945 eine Geschichte der Ausgrenzung, Unterdrückung, Verfolgung, Ermordung war?
Moderne Staaten haben ihre Basis in den Werten der Aufklärung wie Menschenrechten und Meinungsvielfalt und –toleranz. Man möchte den Heuchlern von der gemeinsamen christlich-jüdischen Tradition zurufen:
Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen – wenn dein Populismus ihn dir nicht weggefressen hat!
Ergänzung: Am 11.5. erschien in der Mainpost ein Gastbeitrag vom Sprachwissenschaftler Prof. Norbert-Richard Wolf, in dem dieser ebenfalls darauf hinweist, „dass das herrschende Christentum mit großer Brutalität das Judentum jahrhundertelang daran gehindert hat, kulturprägend zu wirken.“
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