Aufstand der Bornierten

Wir ernähren euch mit unserem Blutschweiß!“

Ähnliche Landser- und Fascho-Sprüche waren – neben den üblichen Ampeln am Galgen und den nur unwillig getarnten Aufforderungen, Gewalttaten gegen Grüne zu begehen – auf zahlreichen Plakaten, befestigt an tonnenschweren Traktoren, bei den Bauerndemos zu sehen. In erstaunlichem Einvernehmen mit den Polizeikräften „blockierte“ man dabei den Verkehr „nicht“ (schließlich sei man ja nicht wie die „Klimakleber“), sondern brachte ihn zum Beispiel durch Traktorenketten, die im Kriechgang durch Kreisverkehre zuckelten, zum Erliegen.

Der gesamte Bauernstand sei in seiner Existenz bedroht durch das schrittweise Kürzen der Agrardieselsubventionen, und dann müsse man „das Essen importieren!“, wie auch zu lesen war. Igitt!

Dem Hinweis, dass schon im Koalitionsvertrag vor zwei Jahren angekündigt worden sei, dass die Regierung umweltfeindliche Subventionen wie z.B. für Diesel zurückfahren wolle (was ihr erst wieder eingefallen ist, nachdem das Bundesverfassungsgericht die illegalen Schattenhaushalte verboten hat) wurde spitzfindig mit der Behauptung entgegengetreten, es gäbe gar keine Subventionen für die Landwirtschaft, sondern nur „Ausgleichszahlungen“ für vom Staat auferlegte Verpflichtungen wie z.B. das Anlegen von Blühstreifen.

Da muss der 360 Hektar große Landwirtschaftsbetrieb von Bauernpräsident Rukwied wohl in Gänze aus Blühstreifen bestehen, wenn er dafür allein von der EU jährlich ca. 110 000 Euro einstreicht (neben mindestens 170 000 Euro für diverse Aufsichtsratsposten bei diese Blühstreifen nutzenden Betriebe wie z.B. Baywa und Südzucker).

Doch schnell konnte diese Argumentation niemand mehr ernst nehmen: Hatte man zunächst gejammert, die Landwirtschaft müsse ganz allein für das „Finanzchaos der Ampel“ „bluten“, zeigte man sich dann doch erfreut, als sich plötzlich Spediteure, Handwerker und der mindestens schon dreimal das Ende der deutschen Gastronomie beschwörende Gaststättenverband den Protesten anschlossen. Alle wollen weniger Steuern zahlen, damit das deutsche Volk nicht jämmerlich verhungert.

Dagegen meldeten sich vermehrt auch andere Stimmen aus bäuerlichen Betrieben, besonders aus der Bio-Landwirtschaft, die darauf hinwiesen, dass keine einziger Bauernhof wegen der Kürzung der Subventionen pleite ginge (große verdienen eh genug und kleine sind kaum betroffen) und es grundsätzlich ein falsches Geschäftsmodell für Privatunternehmen sei, sich ihre Arbeit vom Staat bezahlen zu lassen statt von den Kunden wie Aldi, Lidl usw., deren Besitzer nicht zufällig zu den 10 reichsten Deutschen überhaupt gehören. Gegen die müsse man demonstrieren und faire Abnahmepreise erzwingen. Wie vernünftig! Vielleicht sollte man ergänzend auch noch den Finanzminister ins Visier nehmen, der mit seinem Beharren auf der ökonomisch vollkommenen unsinnigen Schuldenbremse das ganze Desaster ja erst verursacht (dieser wurde ohne ein einziges Argument in bewährter Pediga-Manier mit „Hau ab!“ und „Lügner!“ niedergebrüllt). Aber die Lebensmittelkonzerne wurden von den Bauern sogar in Schutz genommen, die könnten ja nichts dafür, das sei der „Weltmarkt“, dieser überwiegend ausländische …

Es geht also offensichtlich gar nicht so sehr um das Geld alleine. Es geht schlicht „gegen die Ampel“, der alle jahrzehntealten Fehler deutscher Politik aufgebürdet werden, bis hin zur maroden Deutschen Bahn, für die bis vor zwei Jahren fünf CSU-Minister in Reihe zuständig waren. Vorgeworfen wird der Ampel vage eine „links-grüne“ oder auch „links-grün-versiffte“ Ideologie. Gemeint sind alle Maßnahmen, die in irgendeiner Form mit Klimaschutz zu tun haben, dessen Notwendigkeit viele Bauern bis heute leugnen, selbst wenn sie, wie in Unterfranken, inzwischen den halben Main leerpumpen, um ihre Felder zu bewässern.

Mit verblüffender Borniertheit wird verkündet, allen voran vom bayerischen Bauernführer Aiwanger, die Bauern seien schon immer die besten Klimaschützer und Bewahrer der Artenvielfalt gewesen, was angesichts fast überall abgeholzter Hecken zwischen den Feldern und quadratkilometergroßer Monokulturen in Norddeutschland, zwangsläufig verbunden mit einem massiven Einsatz von Pestiziden, ziemlich kühn klingt.

Aber genau deshalb werden die Grünen zum Hauptgegner, weil deren wenigstens in Ansätzen noch vorhandene klimapolitische Vorstellungen schlicht mit dem unbegrenzten Gewinnstreben der Bauern kollidieren. So wird jede Düngemittelverordnung als schwerwiegender (und selbstverständlich ruinöser!) Eingriff in die „Berufsfreiheit“ bejammert. „Berufsfreiheit“ meint hier z.B., nach eigenem Gutdünken die Böden und auch das Grundwasser vergiften zu dürfen. Die landwirtschaftlich ahnungslosen „Städter“, doziert der Vorsitzende der bayerischen Freien Wähler, ausnahmsweise mal ohne ein frisch gewaschenes Ferkel auf der Schulter, hätten sich da rauszuhalten und den Bauern nichts vorzuschreiben.

In dieselbe Richtung geht übrigens der Protest der Handwerker und Spediteure, der sich vor allem an der Erhöhung der LKW-Maut festmacht: Das sei ruinös und man wolle weitermachen wie schon immer. Darum geht es. Weitermachen wie schon immer, Veränderungen und Notwendigkeiten ignorieren.

Kann ja auch praktisch sein: Wenn hier etliche Tierarten wegen der Hitze und Trockenheit aussterben, folgen ja tödliche Stechmücken und andere Wüstenbewohner aus Nordafrika. Die Artenvielfalt bleibt gleich.

Wenn der Müller-Thurgau vertrocknet, pflanzen wir halt Bordeuax-Weine an.

Und wenn bei uns Orangen und Zitronen wachsen, müssen wir die nicht mehr aus dem Ausland importieren. Ist doch gut.

Und Bananen brauchen wir eh mehr, wegen der vielen ungefiltert illegal immigrierenden Schwarzen.

Passt doch.

A Hunderl isser scho

A Hund isser scho, sagt man in Bayern über Menschen, die es schaffen, ihre Interessen durchzusetzen mit Methoden, die irgendwo zwischen komisch schräg und schwer kriminell liegen. Wobei die Bewunderung über das Durchsetzungsvermögen die offensichtlich nicht besonders ausgeprägte Abscheu über das Kriminelle deutlich übersteigt.

Das Vorbild aller bayerischen Hünd ist Franz Josef Strauß, der es im Laufe seines Lebens zum wohl reichsten Metzgerssohn der Welt gebracht hat.

Als beim vorletzten Fränkischen Fasching ein Fürther Komikerduo allen anwesenden Polit-Promis ein Wiener Würstchen überreichte, bekam nur Hubert Aiwanger keines. Seines bekam sein „Herrchen“ Söder, zur Verwendung als Belobigungs-Leckerli.

Das muss den Hubert Aiwanger tief getroffen haben. Seither versucht er mit noch bizarreren Äußerungen als üblich – was gar nicht so einfach ist – seinen Hundestatus zu verbessern.

Hätte er gewusst, was er sagte, hätte er es in vollem Bewusstsein aller Konsequenzen gesagt, wäre er mit seinem jüngsten Spruch wohl tatsächlich der Hundereife deutlich näher gekommen.

Aiwanger sprach: „Wenn man wieder in den Biergarten darf, dann kauft man auch wieder ein neues Auto“.

Der Würzburger Mainpost-Redakteur Benjamin Stahl hat darauf hingewiesen, dass sich hinter dieser Aussage ein ganzes Konjunkturprogramm verbirgt. Insofern gebührt ihm die Ehre der Ersterkennung der ganzen Wucht des Aiwanger-Satzes. Dessen umfassender Wirkung wird Stahl aber in seinen Ausführungen bei weitem nicht gerecht.

Dass die Öffnung von Biergärten vor allem für das gebeutelte Brau- und Gastgewerbe ein Segen ist, liegt auf der Hand. In Biergärten füllt man sich ja nicht nur ab bis Oberkante Speiseröhre. Ist dieser Zustand erreicht, wird das Bier mit dem Ziel einer Zweitfüllung häufig in fest montierte Kotzbecken abgelassen. Das ist allemal wirtschaftlicher, als es nach dem Brauen direkt in den Gulli zu schütten. Der bayerische Innenminister wies bereits darauf hin, dass zurzeit nur jedes zweite Kotzbecken benutzt werden darf und Verstöße gegen die Nasen-Mund-Bedeckungspflicht, die für den Gast eintritt, sobald er sich von seinem Stuhl erhebt, für den Zeitraum der oralen Entleerung toleriert werden.

Die Zahl der Besucher in Biergärten darf auf absehbare Zeit höchstens 90% der Zahl der vorhandenen Stühle betragen. Jeder neunte Platz muss also frei bleiben. Der bayerische Brauerei- und Gaststättenverband versucht, diese Regelung einzuhalten, indem nur Menschen mit Lederhose bzw. Dirndl zugelassen werden. Ein wahrer Auftragsboom für Abdecker, Kürschner und Schneider wird die Folge sein. In den sieben Wochen des Freiheitsentzugs ist die immer ein bisschen feuchte Lederhose nämlich ordentlich eingeschimmelt. An die frische Luft durfte man ja nur, um Sport zu machen. Lederhosen betreiben keinen Sport. Und die Dirndl passen nach sieben Wochen Wohnungshaft wegen der von Dutzenden von Hilfsinitiativen herbeigeschleppten Nutellagläser längst nicht mehr.

Doch nicht nur vor und während des Biergartenbesuchs wirkt Aiwangers Konjunkturprogramm. Die deutlich wichtigeren Folgen ergeben sich danach:

Zwar konnten sich die meisten Apotheker mit selbstgebrautem Desinfektionsmittel gerade noch vor dem Verhungern retten, aber die finanziellen Einbußen durch den Verkaufsrückgang von Haarwuchsmitteln trafen die Branche schon hart. Hinfort werden vor allem Kopfschmerztabletten aller Art die Umsätze in die Höhe schnellen lassen. Staatliche Hilfe fordern die Pharmazeuten jetzt nur noch für die psychologische Betreuung der überwiegend zutiefst depressiven Apotheker, die sieben Wochen lang ihrer Kundschaft statt schützender Atemmasken nur ihre Apothekenzeitung mitgeben konnten, wohl wissend, dass diese dem Virus genauso wenig entgegenzusetzen hat wie allen anderen Krankheiten.

Wirtschaftlich erhebliche Erfolge sind zu erwarten durch Aiwangers Idee, den Biergartenbesuch mit einem Automobilkauf zu kombinieren. Wer geht schon zu Fuß in den Biergarten, wenn er ein neues Auto vor der Türe stehen hat? Dadurch kann die Verweigerung einer Abwrackprämie durch die Regierungskoalition mehr als kompensiert werden. Jetzt werden nämlich nicht nur alte, ohnehin bald fällige Fahrzeuge verschrottet, denn, ähnlich wie beim Bierkonsum im Garten, folgt nach der Heimfahrt auf die Vernichtung des Neuwagens sofort ein Zweitkauf.

Der entscheidende Vorteil gegenüber der traditionellen Abwrackprämie ist, dass von dieser Methode nicht nur die Automobilindustrie und die Schrottpresseneigner profitieren, sondern auch zahlreiche andere Branchen:

Eines der Argumente, mit denen die Abschleppfirmen staatliche Hilfe forderten, war die Behauptung, ihre Gewerbe könne nicht mit Kompensationsgeschäften nach der Pandemie rechnen. Die Leute würden nach der Krise nicht mehr Autos zu Schrott fahren als vorher. Dieses Argument ist nun obsolet. Denn dank Aiwangers Vorstoß werden die Kompensationsgeschäfte bereits in die Pandemie vorgezogen.

Vom dabei steigenden Bedarf an Krücken, Bruchschienen und Verbandsmaterial profitieren Sanitätshäuser und Apotheken gleichermaßen.

Und natürlich wird eine Berufsgruppe zu neuem Leben erweckt, deren trauriger Lebensinhalt wegen der Angst ihrer Kunden vor Ansteckung es während der letzten Wochen war, die leeren Stühle in ihren Wartezimmern zu zählen: die Ärzte und Zahnärzte, besonders letztere. Wem die Schneidezähne in der Zunge stecken, der scheut auch das Ansteckungsrisiko nicht. Während hier also wieder mächtig gerissen, geklammert und implantiert wird, können sich Teile der Nahrungsmittelindustrie die Hände reiben: Nudelhersteller zum Beispiel. 40 Minuten lang gekocht, sind diese auch für Aiwangeristen schaffbar. Und Metzger. Hackfleisch vom Jungkalb, mit eingeweichten Semmeln schlüpfrig gemacht, ist jetzt nicht nur bei Senioren der Renner.

So nimmt die Wirtschaft quer durch alle Branchen wieder Fahrt und selbst die Rechtsanwälte ihre Tätigkeiten wieder auf. Zumindest der Teil, der auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert ist, saß doch wochenlang däumchendrehend in der Kanzlei. Wo im Lockdown keine Wirtschaft, auch keine Wirtschaftskriminalität, zumindest keine, die man verfolgt, wie Ladendiebstahl oder widerrechtliche Flaschenpfandaneignung. Jetzt kehrt auch hier ein Stück der so heiß ersehnten deutschen Normalität zurück.

Schade, dass der Hubert Aiwanger selber gar nicht gemerkt hat, was für ein geniales Programm er mit seiner Aussage angestoßen hat. Vielleicht hat er sich aber auch nur nicht getraut, das laut zu sagen, aus Angst vor dem Corona-Stalin Söder, dem so viel Freiheit einfach zuwider ist.

Er ist halt doch nur ein Hunderl.

Aber dass er dafür sorgt, dass die Bayern bald in ihren Wohnungen oder auf ihren Balkonen sitzen und ihre gebrochenen Gliedmaßen, zerschredderten Zähne und eingedrückten Nasenbeine pflegen, also jetzt wirklich daheim bleiben, wenn auch viel freier als vorher, das wird selbst dem Söder gefallen.

Ein Stückerl vom Würsterl wird’s dafür schon geben.

Fürs Hunderl.