Peinlich selbst noch im Abtritt

Es sei nicht möglich, mit einem Partner zu regieren, der nur die Interessen seiner Klientel und das eigene Überleben zum Ziel hat, so erklärte Kanzler Scholz die Entlassung Lindners. Da hat er wohl Recht. Befremdlich eigentlich nur, dass ihm das erst so spät aufgefallen ist. Hier im Blog wurde derselbe Gedanke seit Jahren geäußert, zuletzt am 13 August wörtlich so:

Es ist nicht klug, sich auf Koalitionen mit einer Partei einzulassen, deren einziger politischer Programmpunkt das eigene Überleben ist, koste es, was es wolle.

Auch auf Bundesebene scheint ein wahltaktisches Manöver eingeleitet zu sein: Mit Vorschlägen, die auf direkte Konfrontation mit den Koalitionspartnern aus sind, entzweit man die Koalition bewusst immer mehr, um sie (möglichst kurz vor der Wahl, dann steht man auch nicht als „Kanzlermörder“ da) platzen zu lassen. Dann kann man aus der Opposition heraus die „verantwortungslose“ Politik von SPD und Grünen anprangern und als vermeintlicher Retter der „bürgerlichen Freiheiten“ wahlkämpfen.“

Bis auf das Timing war das schon recht treffend und kann jetzt inhaltlich präzisiert werden:

Der Chef des kleinsten Koalitionspartners schlägt in einem „Strategiepapier“ vor, dass die Ampel ab sofort praktisch alles anders machen oder abbrechen sollte, was sie (zusammen mit ebenjenem Chef) im Koalitionsvertrag beschlossen hat: Die Auflösung des Klima- und Transformationsfonds (aus dem Umweltschutzmaßnahmen gefördert werden, kein Kohleausstieg, mehr Erdgasförderung, Klimaziele entsprechend auf den Sanktnimmerleinstag verschieben, Ausstieg aus der Förderung der erneuerbaren Energien und dem Lieferkettengesetz. Gleichzeitig soll der Solidaritätszuschlag für Spitzenverdiener abgeschafft und die Körperschaftssteuer gesenkt werden, was kurzfristig erst einmal 8 Milliarden Defizit zusätzlich im Staatshaushalt bedeutete. Gegenfinanziert werden soll das ausschließlich aus dem Sozialetat: Höhere Abschläge bei frühzeitiger Verrentung, Kürzungen beim Bürgergeld, besonders im Bereich der Wohnungskosten, was „individuelle Schlechterstellungen gegenüber dem Status qo“ (…) unvermeidlich“ mache, so das Papier. Und natürlich massive Streichungen bei Asylbewerbern.

Zusammengefasst: Verzicht auf ökologische Politik und Entlastung bei den Reichsten auf Kosten der Ärmsten.

Dieses Papier, das die Beschlüsse des Koalitionsvertrages ins Gegenteil verkehren wollte, legte der Chef der (noch) 8%-Partei im Koalitionsausschuss vor und beschwerte sich anschließend weinerlich, der Kanzler habe das nicht einmal als „Beratungsbasis“ zugelassen und auf der Reform der Schuldenbremse bestanden, um weiterhin Ukraine-Hilfen bezahlen zu können. Die lehnt Linder zwar nicht ab, möchte sie aber durch „Umschichtungen und Priorisierungen“ im Haushalt finanzieren – also ebenfalls auf Kosten des Sozialstaats.

Und diese menschgewordene Peinlichkeit wirft jetzt Scholz einen „gezielt inszenierten Koalitionsbruch“ vor. Beleg dafür sei, dass der Kanzler seine Entlassung in einer 13-minütigen, offenbar vorbereiteten Rede begründet habe.

Lindner, der seit Wochen mit Oppositionspapieren um sich wirft und „vom Herbst der Entscheidungen“ raunt, sollte eigentlich wissen, dass Scholz diesen Fall der Fälle nicht unvorbereitet auf sich zukommen lässt.

Inzwischen ist bekannt, dass der Kanzler im Koalitionsausschuss eine zweite Rede dabei hatte, in der er sich und die Koalitionäre für ihr Verantwortungsbewusstsein gelobt hätte, wenn es denn noch einmal zu einer Einigung gekommen wäre, also durchaus offen in diese Gesprächsrunde gekommen ist.

Was sich Lindner zu diesem Zeitpunkt von seinem Regierungsausstieg verspricht, ist rätselhaft. Deutlich wird, dass er – schon im Wahlkampfmodus angekommen – sich als Hüter der Verfassung profilieren will. Wird ihm wohl nichts nützen, weil hoffentlich die Jugendlichen kein zweites Mal auf seine pseudomoderne Tour hereinfallen werden und auch sonst niemand einen Politiker wählen sollte, der immer dann, wenn seine Klientel nicht bevorzugt wird, hinschmeißt.

Schnelle Neuwahlen, wie jetzt von allen Parteien außer SPD und Grünen gefordert werden, wären übrigens nicht nur für die FDP eine Katastrophe (fast überall hört man Erleichterung durch, dass Lindner endlich weg ist): Man stelle sich vor, wie in dieser Zeit der weltweiten Krisen es statt deutscher Politik nur noch Wahlkampf gibt – und anschließend einen in der internationalen Politik völlig unerfahrenen Kanzler Merz, der oft genug bewiesen hat, dass es ihm an diplomatischem Geschick fehlt.

Fazit: Da wollt der Schwanz mit dem Hund wedeln, und weil der Hund das nicht mitgemacht hat, ist er abgefallen. Aber lieber einen Hund ohne Schwanz als einen Schwanz, der dem Hund die Richtung diktieren will.

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