Gelesen: Ein Scheiß-Buch

Eigentlich ist das ja eine ganz witzige Idee mit den öffentlichen Bücherschränken, aus denen man sich kostenlos bedienen und in die man nicht mehr benötigte Bücher einstellen kann.

Beides kann und darf jeder – deswegen ist der Griff in so einen Schrank schon mal auch, hm, ein Griff ins Klo.

Ich zog „Lebensborn e.V.“ von Will Berthold heraus, der Buchrücken täuscht ein Sachbuch vor, Verlag Lingen hätte mich allerdings, zugegeben, schon stutzig machen müssen.

Beim Aufschlagen stellt sich heraus, dass es sich um einen der berüchtigten „Tatsachenromane“ handelt, bei denen aus wenig Tatsache viel Roman gemacht wird. Das allein ist bei dem vorliegenden Buch schon übel: Die Faszination des Grauens, die die von der SS installierte Arier-Zuchtanstalt „Lebensborn“ bei vielen hervorruft, verspricht dem ohnehin sehr geschäftstüchtigen Autor hohe Auflagen. Dass das bereits 1975 erschienene Buch derzeit einen kleinen Boom hat, wie man auf den Webseiten des Internetbuchhandels deutlich erkennen kann, lässt befürchten, dass das heute nicht mehr nur die Faszination des Grauens ist.

Dass der Autor (Jahrgang 1924 und selbst Weltkriegsteilnehmer) mit dem Buch auch ein Anliegen hat, und zwar ein ganz übles, wird schnell klar:

Die Protagonisten des Romans, ein junges Liebespaar, beide stramme, aber, wie schnell sehr deutlich wird, hochanständige Nationalsozialisten, geraten aus Führertreue in ein Lebensbornheim und finden das, da sie ja anständig sind, sehr unmoralisch. Offensichtlich waren die meisten Nazis so anständig, denn viele zeigen sich vom „Lebensborn“ abgestoßen. Schuld an den „Auswüchsen“ im beschriebenen Heim ist ein rabiater, dem ungezügelten Alkoholkonsum verfallener SS-Offizier, was zumindest nahelegt, dass bei einem weniger besoffenen Heimleiter alles gar nicht so schlimm wäre.

Wehrmachtssoldaten sind ohnehin ein Ausbund von Tugend und Tapferkeit, die treu „ihrem Vaterland“ dienen. Erst als sie von den Lebensborn-Heimen hören, befällt einige der Zweifel, ob das noch das Vaterland ist, das mit Haut und Haar in der Sowjetunion zu „verteidigen“ sie so gerne bereit waren. Vor den Lebensbornenthüllungen hatten sie offensichtlich mit den Nazis keine Probleme.

Besonders edel sind die Kampfflieger wie der männliche Teil des Protagonistenpaars. Wird er in einen Luftkampf verwickelt, klingt das so: „Klaus schlägt Haken auf Haken, er wehrt sich gegen drei tollwütige Hunde…“. Sein Chef, ebenfalls durch die Lebensborn-Geschichten von den Nazis enttäuscht, wählt gar den Freitod. Aber nicht, ohne dabei in einer Art Kamikaze-Flug einen „Tommy“, wie die Engländer im Buch stilsicher genannt werden, „vom Himmel zu holen“. Dazu liebt er seinen Beruf doch zu sehr.

Zurück ins Heim: Der alkoholisierte Chef lässt dem weiblichen Teil des inzwischen verlobten Paares, Doris, ihr im Lebensborn entstandenes Kind heimlich wegnehmen und schiebt ihr stattdessen ein Polenkind unter, das Doris liebe- und verantwortungsvoll aufzieht. Eine deutsche Mutter ist eben eine deutsche Mutter, egal, gegen wen.

Gleich nach dem Krieg, als alles wieder gut war, geschieht nun Folgendes: Das echte Kind wird gefunden und fühlt sich beim Anblick der Mutter und auch des Vaters, den es nie gesehen hat, geradezu magisch angezogen von seinen Eltern. Die Kraft des deutschen Vater- und Mutterblutes. Das polnische Kind hat, als seine wirkliche Mutter auftaucht, solch edle Regungen nicht. Die Polenmutter muss ihr Kind am Arm packen und gewaltsam wegziehen von seinen deutschen Pflegeeltern.

Ich weiß, Bücherverbrennungen haben einen schlechten Ruf, aber was soll man machen?

2 Gedanken zu „Gelesen: Ein Scheiß-Buch“

  1. Hallo,

    als treuer Polplot Leser seit (quasi) Tag 1 freue ich mich immer, wenn eine der Mails im Posteingang vom Polplot Newsletter stammt. Mir ist aufgefallen, dass schon seit längerer Zeit keine Literaturkritiken mehr hochgeladen wurden. Falls über die Zeit der Eindruck entstanden sein sollte, dass Literaturkritiken bei der Leserschaft nur auf wenig Resonanz/ Begeisterung stoßen, würde ich dem mit diesem Kommentar gerne entgegenwirken: Ich lese die literarischen Artikel genauso gerne wie die politischen und würde mich daher auch wieder über die ein oder andere Buchrezension freuen – auch ein bisschen eigennützig, um den Anteil der Bücher, die ich enttäuscht nach dem ersten Drittel weglege, künftig etwas zu verringern 🙂

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