Extra blöd

Seit Beginn der Corona-Krise sendet die ARD im Anschluss an die 20-Uhr-Tagesschau ein sog. „ARD extra“. An den ersten Tagen war das noch durchaus informativ und interessant. Man erfuhr aktuelle Zahlen, das Virus wurde erklärt, Wissenschaftler kamen zu Wort, Journalismus eben, wie man ihn sich vorstellt.

Inzwischen wird diese Sendung täglich unerträglicher. Während die Bevölkerung zu über 95% überraschend vernünftig ist und die alltäglichen Lebenseinschränkungen für richtig und notwendig hält, hat die ARD offensichtlich beschlossen, in seltenem Einklang mit Trump ein Ende der Notmaßnahmen herbeireden zu wollen.

Das groß aufgemachte Problem: „Wie lange hält (nach gerade einmal 6 Tagen!) eine Gesellschaft diese „Isolation“ aus?“

Da werden aus der Reihe vieler vernünftiger Politiker-Statements ausgerechnet die zwei dümmsten rausgepickt, die davon faseln, dass man nach Ostern die besonderen Risikogruppen (meint die Alten) „schützen (meint wegsperren) müsse, dann könne man den Alltag wieder „normalisieren“.

Vom verfassungsrechtlichen Unsinn und vom Zynismus solcher Äußerungen einmal abgesehen: Längst gibt es, und da sind sich die ernstzunehmenden Wissenschaftler alle einig, fundierte Studien, die berechnen, dass genau diese Maßnahme die gefährlichste sei, weil man im Gegensatz zu den Alten bei den jüngeren Infizierten diese Infektion oft kaum oder gar nicht merkt, diese also unentdeckt massenweise andere Menschen anstecken, bis die Krankheitsfälle (auch jüngere Jahrgänge sind davor ja nicht gefeit) auch bei den angeblichen Nicht-Risikogruppen epidemische Ausmaße annehmen wird.

Da können die in der Sendung nach wie vor auftretenden Wissenschaftler noch so vehement und vernünftig dagegen anargumentieren, aus irgendeinem Grund glauben die ARD-Journalisten inzwischen, dass alle anderen Folgen der „Isolation“ schwerwiegender seien. FDP-Lindner hat inzwischen auch wieder zu alter Form zurückgefunden und darf in der ARD massive Staatshilfen (das ist neu) und gleichzeitige schnellstmögliche „wirtschaftliche Freiheit“ (das ist die alte Lobbypolitik, jetzt verdoppelt) fordern. Er argumentiert mit großem Pathos, „der Mensch“ sei nicht „geschaffen“ für längere Isolation.

Mit Verlaub: Der Mensch ist auch nicht dafür geschaffen, sich solchen Unsinn anzuhören und muss es trotzdem.

Da wird über die schlimmen Folgen des unterdrückten Freiheitsdrangs der Jugend geweint und als Beleg sollen drei Berliner Jugendliche herhalten: Zwei Studentinnen, die unter Quarantäne gestellt wurden, aber im „Fensterinterview“ dummerweise immer wieder betonen, wie wichtig diese Maßnahme sei und dass sie ja gut versorgt würden. Und ein 21-jähriger mit sehr schwerwiegendem Krankheitsverlauf (!), der aus der Isolationsstation des Krankenhauses heraus nur Ärzte und Pfleger lobt und alle seine Bekannten auffordert, zu Hause zu bleiben.

Man wird einfach den Eindruck nicht los, dass die ARD hier ein Problem aufmachen will, aber keine passenden „Opfer“ dazu findet.

Natürlich ist es bescheuert, isoliert zu sein und natürlich sind die Alltagsbeschränkungen lästig und teilweise sicher auch nicht ungefährlich. Aber halt angesichts einer Pandemie unausweichlich. Doch dieses mediale Rumgeheule ist angesichts einer erfreulich sachlichen, vernünftigen, ja geradezu gelassenen Gesellschaft einfach nur erbärmlich und unverantwortlich.

Man soll Elend nicht gegen Elend aufrechnen. Aber wie wäre es, statt hier auf hohem Niveau in Selbstmitleid zu zerfließen, sich einmal wieder um die zu kümmern, denen es wirklich unerträglich dreckig geht und die in der ARD gar nicht mehr auftauchen?

Wie wäre es mit ein paar „ARD extra“ zur Lage an der türkisch-griechischen Grenze?

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