Die Lage des Rechts

Mag sein, dass es irgendwann die Idee gab, das Recht könne schwache Menschen vor der Willkür der Reichen und Mächtigen schützen. Dann hat man aber sehr schnell gelernt, dass das Recht sich noch viel besser dazu eignet, die Interessen der Reichen und Mächtigen durchzusetzen – indem man sie einfach zum Recht erklärt.

Wenn der Bürger in seinem Garten einen einzigen gesunden Baum fällt, kriegt er jede Menge Ärger. So ist die Rechtslage.

Wenn RWE das letzte Viertel eines ehemals 400 Hektar großen Waldstückes vom Hambacher Forst rodet, kriegen die jede Menge Ärger, die versuchen, die Bäume zu retten. So ist die Rechtslage nämlich auch.

Man kann es sich kaum vorstellen: Im Hitzesommer 2018 soll ein Wald gerodet werden, um Braunkohle (!) abzubauen. Eine Idee, die im 19. Jahrhundert vielleicht noch als legitim angesehen werden konnte – heute ist sie nur noch legal, der Rechtslage entsprechend eben.

Gleichzeitig tagt die sogenannte Braunkohlekommission, die sich, so war aus gut informierten Kreisen zu hören, für den gänzlichen Verzicht auf Braunkohle aussprechen werde. Was gar nicht sein kann, empören sich wirtschafts- und braunkohlefreundliche Politiker, weil die Kommission doch ergebnisoffen beraten sollte, sonst wäre sie ja völlig sinnlos. Dass der Wald geräumt und gerodet werden muss, ist allerdings nicht mehr offen. Das müsse sein, sagt RWE, weil sie schließlich ja schon mit dem Roden und Abbauen angefangen hätten, und wenn sie jetzt aufhörten, gerieten ihre schweren Maschinen einander ins Gehege. Vermutlich entstünde dabei eine übel komplexe Braunkohleabbaumaschinengemengenlage, gegen die die Rechtslage geradezu absurd einfach ist.

Fast. Für den derzeitigen massiven Räumungseinsatz braucht es nämlich auch eine Begründung – selbst wenn sie ähnlich tolldreist an der Haaren herbeigezogen ist, wie man das eigentlich in Deutschland so nur in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gekannt hat – und neuerdings von der AfD wieder kennt: In den Baumhäusern fehle ein Brandschutz. Ja dann.

Die Ausführung dieses „Arguments“ könnte so lauten:

Es ist arg heiß und trocken geworden im Wald.

Durch zündelnde Baumhausbewohner herrscht deshalb höchste Waldbrandgefahr.

Wir wollen aber nicht, dass der Wald brennt, sondern die Braunkohle, die unter dem Wald liegt.

Deswegen müssen wir den Wald roden, dann kann der nicht mehr brennen und wir können die Braunkohle verschüren.

Wer sich dieser Argumentation nicht anschließen mag und – Rechtslage hin oder her – trotzdem den Wald schützen möchte, ist aber, so weiß der nordrheinwestfälische Innenminister Reul, gar kein Baumschützer, sondern jemand, der „unseren Staat abschaffen“ wolle.

Komisch. Im Artikel 14 unserer Verfassung steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Dadurch, dass man im 21. Jahrhundert Wälder rodet, um Braunkohle zu verfeuern? Das glaubt ja nicht mal RWE. Eher verlässt man sich einfach darauf, dass man (Politik, Wirtschaft und leider auch viele Gerichte) sich stillschweigend darauf geeinigt hat, dass im zweiten Satz „der Allgemeinheit“ faktisch längst durch „der Großaktionäre“ ersetzt wurde.

Manchmal liegt die Rechtslage verdammt schief. Man könnte sie auch zurechtrücken.

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