Wissing-Logik

Der Verbrecherclan einer europäischen Stadt (man vermutet sie zu Unrecht im Süden) hat durchgesetzt, dass die Verbrechen seiner Mitglieder, so man sie denn erwischt, nicht mehr individuell abgestraft werden, sondern pauschalisiert. Die Justiz soll eine jährliche Verbrechensbilanz aufstellen und dann eine Gesamtstrafe aussprechen. Der Clan verspricht, für die Gesamtstrafe aufzukommen, was er natürlich nie tut, weil er genau weiß, dass dieses Verfahren juristisch nicht haltbar und die Strafe damit nicht durchsetzbar ist.

Das ist eine Parabel, die komisch klingt.

An geeigneter Stelle könnte man auch einsetzen „FDP“, „Lindner“ oder „Wissing“. Und schon klingt die Parabel weniger komisch:

Die Ampel hatte in ihrem Koalitionsvertrag eine konkrete Senkung des Co2-Ausstoßes vereinbart. Die einzelnen Ministerien sollten regelmäßig Rechenschaft darüber ablegen, wie hoch der von ihnen erzielte Einsparungseffekt von Co2 liegt.

Die Regierung war kaum im Amt, als klar wurde, dass das Verkehrsministerium nicht nur nichts zur Co2-Reduktion beitragen würde, sondern dass im Gegenteil dieses Ressort sogar für eine Erhöhung des Ausstoßes verantwortlich sein wird. Denn Verkehrsminister Wissing stellte alsbald fest, was er zu tun, oder besser, was er nicht zu tun gedachte:

Dass Flugbenzin natürlich nicht besteuert wird, weil das den Gewinn der Luftfahrtkonzerne schmälern könnte.

Dass es kein Tempolimit auf Autobahnen geben würde, wie es FDP-Lindner-Wissing den anderen Ampelparteien abgepresst hatte, ist für ihn ein nicht in Frage zu stellendes Faktum.

Dass er das unselige Dienstwagenprivileg nicht abschaffen werde, das dafür sorgt, dass als Dienstwagen ausgewiesene Fahrzeuge steuerlich begünstigt werden, weshalb rund 80% der SUV-Panzer und „Premium“-Limousinen ihren Co2-Ausstoß steuerbegünstigt als Dienstwagen erledigen.

Dass er nichts an der perversen Regelung ändern werde, dass die Umweltfreundlichkeit eines Autos am Verhältnis von Hubraum zu Co2-Ausstoß bemessen wird, was dazu führt, dass eine Riesenkarosse mit 2500 ccm Hubraum zweieinhalb Mal so viel Schadstoffe ausstoßen darf wie ein 1000 ccm-Wägelchen, aber dennoch als genauso umweltfreundlich gilt.

Dass er gar nicht daran denkt, irgendwelche vernünftigen Größen-, Gewichts- oder Verbrauchsregelungen einzuführen, von einer nach Größe gestaffelten Autobahnmaut, wie das in anderen Ländern üblich ist, ganz zu schweigen.

Dass er es richtig findet, den (immerhin vorgeschriebenen) Durchschnittswert für den Schadstoffausstoß pro Marke dadurch zu drücken, dass 2,5-Tonnen-Elektro-Panzer als Wagen mit null Emissionen gerechnet werden, obwohl diese allein bei der Produktion mehr Schadstoffe verursachen als ein Kleinwagenauf einer Strecke von 200 000 Kilometern.

Was FDP-Lindner-Wissing tun oder zu tun gedenken, geht deutlich kürzer:

Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts fiel dem Finanzminister als erstes ein, die staatliche Förderung für E-Autos ersatzlos zu streichen, wodurch deren Absatz sofort (auch im Zusammenhang mit einer völlig unzureichenden Ladesäulenstruktur) einbrach – zugunsten umweltfeindlicher Verbrenner-Autos.

Welche in Europa nur deswegen nicht verboten werden, weil die FDP die sog. „Technologieoffenheit“ durchgesetzt hat und von sog. E-Fuels träumt, synthetisch hergestellten Kraftstoffen. Deren Herstellungskosten schätzen Experten auch langfristig 16 mal höher als herkömmliche Kraftstoffe: Spezialsprit für Porschefahrer Lindner und seine Klientel. Vergleichbar liegen die Kosten für die Herstellung von Wasserstoff, der für den privaten PKW-Verkehr höchstwahrscheinlich niemals zum Einsatz kommen wird.

Ein weiterer Traum von FDP-Lindner-Wissing sind riesige Solaranlagen in Nordafrika auch zur Herstellung von Kraftstoffen, die dann nach Europa exportiert werden sollen. Was natürlich unterstellt, dass die Nordafrikaner niemals nie nicht auf die Idee kommen werden, mit ihrem eigenen Strom eine ordentliche Produktion aufzubauen, statt diesen nach Europa zu verscherbeln.

Was FDP-Lindner-Wissing sehr kurzfristig angehen werden, sind Strafzölle für kleine, erschwingliche E-Autos aus China. Denn das geht ja wirklich nicht an, dass die Deutschen vernünftige kleine Autos kaufen und unsere „Premium-Industrie“ auf ihren Riesenkutschen sitzenbleibt.

Für die Energiebilanz des Verkehrssektor ist das natürlich alles eine Katastrophe. Um das zu verschleiern, haben FDP-Lindner-Wissing den anderen beiden Koalitionsparteien ein Gesetz aufgenötigt, das nicht mehr die einzelnen Ressorts rechenschaftspflichtig macht, sondern nur noch eine „Gesamtbilanz“ erfordert.

Die Folgen sind dieselben wie beim Verbrecherclan aus der Parabel am Anfang.

Die Deutschen wollten, erklärte der Verkehrsminister neulich wider besseres Wissen, kein Tempolimit auf der Autobahn, weshalb dieses nicht durchsetzbar sei.

Um das neue Gesetz, das den zynischen Namen „Klimaschutzgesetz“ trägt, durchzusetzen, drohte Wissing angesichts seiner verfehlten Klimapolitik mit Wochenend-Fahrverboten auf allen deutschen Straßen.

Für so ein Verhalten muss es doch, verdammt noch mal, einen medizinischen Fachbegriff geben.

Der Krieg und das Völkerrecht

Selten ist wohl ein Autor so missverstanden und anschließend so missbraucht worden wie Freiherr Adolph von Knigge. Der alte Aufklärer muss heutzutage herhalten als Gewährsmann für Tischsitten und Tanzstundenbenehmen – über beides hat er nie geschrieben. Er hat versucht, rationale Regeln über den „Umgang mit Menschen“ (so auch der Titel seines Hauptwerkes) aller Art aufzustellen und ist dabei u.a. zu dem Ergebnis gekommen, dass mit „Pfaffen vernünftigerweise gar nicht umzugehen“ sei. Er hält es auch für problematisch, Regeln für Verliebte aufzustellen, denn das sei so, als würde man „einem, der die Kolik hat, vorschreiben, nach Noten zu brüllen“.

Und damit sind wir beim Thema.

Bundeskanzler Scholz weigert sich, der Ukraine den Taurus-Marschflugkörper zu liefern mit dem Argument, dass so mit deutschen Waffen russisches Territorium angegriffen und Deutschland zur Kriegspartei werden könnte, was auf alle Fälle vermieden werden müsse.

Er stößt damit bei Teilen seiner Koalition auf heftigen Widerspruch. Die Grünen und die FDP finden ausgerechnet hier sonst kaum mehr wahrnehmbare Berührungspunkte:

So schmieden Anton Hofreiter von den Grünen, von dem man immer ein bisschen den Eindruck hat, er habe den Verstand verloren, seit er nicht Minister geworden ist, und Strack-Zimmermann von der FDP, bei der es diesbezüglich nichts gab, was hätte verloren gehen können, eine ziemlich gruselige KriegerInnen-Allianz.

Das Völkerrecht, posaunen beide unisono immer wieder, erlaube einem angegriffenen Staat, sich zu verteidigen und anderen Staaten, diesen zu unterstützen. Selbst durch einen Einsatz deutscher Taurus-Marschflugkörper mit Hilfe deutscher Soldaten werde Deutschland völkerrechtlich nicht Kriegspartei, erklären sie und finden Unterstützung bei etlichen rechten Staats- und Militärrechtlern.

Mag sein, dass sie formalrechtlich damit sogar richtig liegen. Dennoch ist diese Argumentation einfach nur absurd. Kann sich irgendwer an einen Krieg erinnern, in dem das Völkerrecht oder auch nur das Kriegsrecht nach den Den Haager Verträgen eingehalten wurde? Ist die Vorstellung, irgendwer beschließe, ein Land zu überfallen und dabei hunderttausende Tote in Kauf zu nehmen, sich aber dabei an irgendwelche rechtlichen Regeln zu halten, nicht einfach ein verrücktes Hirngespinst?

Die Den Haager Kriegsregeln (die heute offiziell noch gelten) wurden übrigens um 1900 gemeinsam von den imperialistischen Mächten Europas beschlossen, um ihren Eroberungskriegen einen „sauberen“ Anstrich geben zu können. Bis heute gibt es ja Kreise in Deutschland, die behaupten, die Wehrmacht habe einen „korrekten“ Krieg nach der Haager Landfriedensordnung geführt.

Wahrheitsgehalt knapp unter einem Prozent.

Sich in dem Konflikt mit Russland, das durch den Überfall auf die Ukraine klargestellt hat, dass ihm internationales Recht am Wertesten vorbeigeht und genau das auch durch permanente Massaker und Verstöße gegen ebendieses Recht demonstriert, auf exakt diese missachteten Regeln zu berufen, um damit massiveres deutsches Eingreifen in diesem Krieg zu fordern, ist letztlich einfach verlogen – und das wissen Hofreiter und Strack-Zimmermann auch.

Die Frage ist natürlich, worin – neben der eigenen Geltungssucht – der Grund für diese rigorosen Forderungen liegt.

Glaubt man, Putin mit einer Demonstration der Stärke abschrecken zu können, wo dieser doch in jeder Ansprache demonstriert, das ihn die aberwitzig hohen Opferzahlen unter seinen Soldaten völlig kalt lassen und er bereit ist, sein ganzes Land auf reine Kriegswirtschaft umzustellen?

Oder glaubt man tatsächlich, Putin würde sich im Zweifel der Interpretation des Völkerrechts von Hofreiter und Strack-Zimmermann anschließen und sich dadurch von einem Gegenschlag abhalten lassen?

Das wäre nun wirklich, wie einem, „der die Kolik hat“, ein Liederbuch unter die Nase zu halten.

Aufstand der Bornierten

Wir ernähren euch mit unserem Blutschweiß!“

Ähnliche Landser- und Fascho-Sprüche waren – neben den üblichen Ampeln am Galgen und den nur unwillig getarnten Aufforderungen, Gewalttaten gegen Grüne zu begehen – auf zahlreichen Plakaten, befestigt an tonnenschweren Traktoren, bei den Bauerndemos zu sehen. In erstaunlichem Einvernehmen mit den Polizeikräften „blockierte“ man dabei den Verkehr „nicht“ (schließlich sei man ja nicht wie die „Klimakleber“), sondern brachte ihn zum Beispiel durch Traktorenketten, die im Kriechgang durch Kreisverkehre zuckelten, zum Erliegen.

Der gesamte Bauernstand sei in seiner Existenz bedroht durch das schrittweise Kürzen der Agrardieselsubventionen, und dann müsse man „das Essen importieren!“, wie auch zu lesen war. Igitt!

Dem Hinweis, dass schon im Koalitionsvertrag vor zwei Jahren angekündigt worden sei, dass die Regierung umweltfeindliche Subventionen wie z.B. für Diesel zurückfahren wolle (was ihr erst wieder eingefallen ist, nachdem das Bundesverfassungsgericht die illegalen Schattenhaushalte verboten hat) wurde spitzfindig mit der Behauptung entgegengetreten, es gäbe gar keine Subventionen für die Landwirtschaft, sondern nur „Ausgleichszahlungen“ für vom Staat auferlegte Verpflichtungen wie z.B. das Anlegen von Blühstreifen.

Da muss der 360 Hektar große Landwirtschaftsbetrieb von Bauernpräsident Rukwied wohl in Gänze aus Blühstreifen bestehen, wenn er dafür allein von der EU jährlich ca. 110 000 Euro einstreicht (neben mindestens 170 000 Euro für diverse Aufsichtsratsposten bei diese Blühstreifen nutzenden Betriebe wie z.B. Baywa und Südzucker).

Doch schnell konnte diese Argumentation niemand mehr ernst nehmen: Hatte man zunächst gejammert, die Landwirtschaft müsse ganz allein für das „Finanzchaos der Ampel“ „bluten“, zeigte man sich dann doch erfreut, als sich plötzlich Spediteure, Handwerker und der mindestens schon dreimal das Ende der deutschen Gastronomie beschwörende Gaststättenverband den Protesten anschlossen. Alle wollen weniger Steuern zahlen, damit das deutsche Volk nicht jämmerlich verhungert.

Dagegen meldeten sich vermehrt auch andere Stimmen aus bäuerlichen Betrieben, besonders aus der Bio-Landwirtschaft, die darauf hinwiesen, dass keine einziger Bauernhof wegen der Kürzung der Subventionen pleite ginge (große verdienen eh genug und kleine sind kaum betroffen) und es grundsätzlich ein falsches Geschäftsmodell für Privatunternehmen sei, sich ihre Arbeit vom Staat bezahlen zu lassen statt von den Kunden wie Aldi, Lidl usw., deren Besitzer nicht zufällig zu den 10 reichsten Deutschen überhaupt gehören. Gegen die müsse man demonstrieren und faire Abnahmepreise erzwingen. Wie vernünftig! Vielleicht sollte man ergänzend auch noch den Finanzminister ins Visier nehmen, der mit seinem Beharren auf der ökonomisch vollkommenen unsinnigen Schuldenbremse das ganze Desaster ja erst verursacht (dieser wurde ohne ein einziges Argument in bewährter Pediga-Manier mit „Hau ab!“ und „Lügner!“ niedergebrüllt). Aber die Lebensmittelkonzerne wurden von den Bauern sogar in Schutz genommen, die könnten ja nichts dafür, das sei der „Weltmarkt“, dieser überwiegend ausländische …

Es geht also offensichtlich gar nicht so sehr um das Geld alleine. Es geht schlicht „gegen die Ampel“, der alle jahrzehntealten Fehler deutscher Politik aufgebürdet werden, bis hin zur maroden Deutschen Bahn, für die bis vor zwei Jahren fünf CSU-Minister in Reihe zuständig waren. Vorgeworfen wird der Ampel vage eine „links-grüne“ oder auch „links-grün-versiffte“ Ideologie. Gemeint sind alle Maßnahmen, die in irgendeiner Form mit Klimaschutz zu tun haben, dessen Notwendigkeit viele Bauern bis heute leugnen, selbst wenn sie, wie in Unterfranken, inzwischen den halben Main leerpumpen, um ihre Felder zu bewässern.

Mit verblüffender Borniertheit wird verkündet, allen voran vom bayerischen Bauernführer Aiwanger, die Bauern seien schon immer die besten Klimaschützer und Bewahrer der Artenvielfalt gewesen, was angesichts fast überall abgeholzter Hecken zwischen den Feldern und quadratkilometergroßer Monokulturen in Norddeutschland, zwangsläufig verbunden mit einem massiven Einsatz von Pestiziden, ziemlich kühn klingt.

Aber genau deshalb werden die Grünen zum Hauptgegner, weil deren wenigstens in Ansätzen noch vorhandene klimapolitische Vorstellungen schlicht mit dem unbegrenzten Gewinnstreben der Bauern kollidieren. So wird jede Düngemittelverordnung als schwerwiegender (und selbstverständlich ruinöser!) Eingriff in die „Berufsfreiheit“ bejammert. „Berufsfreiheit“ meint hier z.B., nach eigenem Gutdünken die Böden und auch das Grundwasser vergiften zu dürfen. Die landwirtschaftlich ahnungslosen „Städter“, doziert der Vorsitzende der bayerischen Freien Wähler, ausnahmsweise mal ohne ein frisch gewaschenes Ferkel auf der Schulter, hätten sich da rauszuhalten und den Bauern nichts vorzuschreiben.

In dieselbe Richtung geht übrigens der Protest der Handwerker und Spediteure, der sich vor allem an der Erhöhung der LKW-Maut festmacht: Das sei ruinös und man wolle weitermachen wie schon immer. Darum geht es. Weitermachen wie schon immer, Veränderungen und Notwendigkeiten ignorieren.

Kann ja auch praktisch sein: Wenn hier etliche Tierarten wegen der Hitze und Trockenheit aussterben, folgen ja tödliche Stechmücken und andere Wüstenbewohner aus Nordafrika. Die Artenvielfalt bleibt gleich.

Wenn der Müller-Thurgau vertrocknet, pflanzen wir halt Bordeuax-Weine an.

Und wenn bei uns Orangen und Zitronen wachsen, müssen wir die nicht mehr aus dem Ausland importieren. Ist doch gut.

Und Bananen brauchen wir eh mehr, wegen der vielen ungefiltert illegal immigrierenden Schwarzen.

Passt doch.

Genial: Asylproblem gelöst!

Jetzt ist sie tatsächlich wieder auferstanden, die deutsche Leitkultur. Zwar müffelt sie inzwischen ziemlich verwest, aber viele, die sie mit ausgegraben haben, riechen das offensichtlich gern.

Die CDU hat unter ihrem Langen Vorsitzenden (selbsternannter Mittelständler mit nur zwei Privatflugzeugen, aber deutlich mehr Millionen auf der Bank) ein Grundsatzprogramm entworfen, nach dessen Leitsätzen sie demnächst Deutschland regieren möchte. Zur Migrationspolitik ist (laut Parteitagsdelegierten von Merz persönlich eingebracht) folgender Satz zu finden:

Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden.“

Nun konnte sich schon damals, 1998, als Jörg Schönbohm diesen Begriff in die öffentliche Debatte brachte, niemand so recht etwas darunter vorstellen. Die Idee, dass damit z.B. demokratische Traditionen und Werte zu verstehen seien, wurde verworfen, weil diese Punkte ja nicht gerade originär deutsch seien. Also richtete man den Fokus mehr auf „Kultur“ – und tat sich erst recht schwer: Bayerische Volkstänze und Biergartenrituale konnte man ja schwer Hamburgern verordnen (da hatten die mit ihren Fischbrötchen schon mehr Erfolg). Nach heftigem Sinnen kam man zu der Feststellung, dass es gar keine gemeinsame deutsche Kultur gibt, die leiten könnte. (Da könnte wohl auch die Erkenntnis angeklopft haben, dass es auch gar keine gemeinsame deutsche Nationalgeschichte gibt, aber das hat man dann doch lieber wieder vergessen). Und so hat man die deutsche Leitkultur begraben.

Jetzt ist sie wieder da (s. oben).

Das Rätselraten war groß. Einig war man sich schnell, was nach den Worten des Langen Vorsitzenden NICHT zur deutschen Leitkultur gehört: Politiker, die wie Klempner arbeiten, Schwule, weil die seiner Meinung nach meistens Kinderschänder sind, Asylsuchende, die zum Zahnarzt gehen und dort Deutschen ihre Termine wegnehmen, Kinder von Ausländern, die sich wie „kleine Paschas“ ausführen und ukrainische Sozialschmarotzer.

Aber reicht das tatsächlich? Sollte nicht auch ein bisschen positive Orientierung dabei sein?

Schon ist er hilfreich zur Stelle, der Lange Vorsitzende:

Wenn wir von Leitkultur sprechen, von unserer Art zu leben, dann gehört für mich dazu, vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen.“

Wums.

Da hat er doch mindestens drei Klappen mit einer Fliege erschlagen, er ist ja nicht blöd, der Friedrich:

Natürlich ist der Satz nicht so gedacht, dass jetzt für die nach seiner Rechnung Abermillionen Asylbewerber deutsche Tannenbäume abgehackt und denen zum Kauf angeboten werden: Erstens haben die ja gar kein Geld zum Weihnachtsbaumkaufen und zweitens würden die deutschen Weihnachtsbäume dafür auch gar nicht reichen. Deutsche Tannen sind für deutsche Käufer gedacht.

Also bleibt den Asylbewerbern nur die Möglichkeit, sich ihren Weihnachtsbaum selbst mitzubringen. Das mag zwar auf den innereuropäischen Schleuserrouten etwas komisch ausschauen, aber ein Problem ist schon mal gelöst: Nichts, was in Afrika wächst, könnte auch nur annähernd als deutscher Weihnachtsbaum durchgehen. Also Schnellverfahren in den neuen außereuropäischen Asylzentren: „Das soll ein Weihnachtsbaum sein?? Damit brauchst du gar nicht erst versuchen, nach Deutschland zu kommen“.

Wer jetzt meint, dass das aber doch nur die afrikanische Asylantenschwemme aufhält, muss wissen: Friedrich denkt gerne in Bildern. Und so ist das mit dem Weihnachtsbaum auch zu verstehen: als Symbol. Selbstverständlich gehört zur deutschen Leitkultur auch der regelmäßige Kauf und Verzehr von Schweinebraten. In Wahrheit kaufen die Deutschen nämlich viel öfter Schweinebraten als Weihnachtsbäume. Und schon ist auch die Flut aus dem Osten gestoppt:

An den Ostgrenzen der EU (in Belaruss und der Ukraine, Russland macht ja nicht mit, der soll gar nicht erst versuchen, rüberzukommen, wenn er mal fällig ist, der Putin), werden Asylzentren errichtet, in denen jedem Asylbewerber ein Schweinebraten vorgesetzt wird. Das sind ja alles Moslems dort drüben. Weigert sich einer, ihn zu essen, hat er in Deutschland sowieso nicht zu suchen. Isst er ihn aber, ist das noch schlimmer: Aus purem Sozialschmarotzertum verrät er seine Religion, und Gottlosigkeit gehört nun ganz gewiss nicht zur deutschen merzschen Leitkultur. Wobei sich die Behörden in diesem Zusammenhang auch gerne fragen dürfen, ob das überhaupt eine Religion ist, was die da drüben haben und nicht einfach Terrorismus.

So. Südasylanten gestoppt, Ostasylanten gestoppt.

Und wo bleibt die dritte Klappe?

Ist doch auch längst erledigt:

Sollte es wider aller Voraussicht ein Asylbewerber schaffen, diese Hürden zu überwinden, dann ist er bestimmt ein kleiner Pascha, ein Schwuler, ein Sozialschmarotzer, ein Zahnkranker oder ein Klempner.

Was die Ukraine braucht

Alle reden nur noch von Israel und es scheint tatsächlich so, als ob man sich an das Leid, das in der Ukraine tagtäglich neu verursacht wird, irgendwie gewöhnt hat. Dabei sitzen die Menschen dort Schutz suchend in den U-Bahnschächten, müssen täglich damit rechnen, dass sie und ihre Wohnungen bombardiert werden. Der Ausfall von Strom und Heizung im bitterkalten Winter wird wegen der gezielten russischen Angriffe auf die entsprechende Infrastruktur ebenfalls Alltag werden.

Und die westlichen Politiker betonen pflichtschuldigst, dass die Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen werde, dass die Ukraine alles bekomme, was sie braucht.

Was konkret sie allerdings braucht und wofür, darüber schweigt man sich ziemlich aus.

Für jeden ist ersichtlich, dass das, was die Ukraine zurzeit bekommt, natürlich nicht ausreicht, um die von Russland besetzten Gebiete zurückzugewinnen. Es reicht allenfalls, um mit Mühe und Not weitere Eroberungen Russlands zu verhindern. Ist es das, was die Ukraine „braucht“?

Viele europäische Regierungschefs fordern stärkere Waffensysteme für die Ukraine wie z.B. die Taurus-Systeme und blicken dabei – mangels eigenem Besitz – auf Deutschland. Auch deutsche Oppositionspolitiker, Grüne und FDPler fordern dies und blicken dabei auf den Bundeskanzler. Der aber blickt in die USA.

Was ihm wiederum erstaunlicherweise von Unions-Politikern vorgehalten wird, die doch sonst immer erklären, Deutschlands Wohl und Wehe hinge ausschließlich von der NATO und deren Führungsmacht USA ab. Und damit auch richtig liegen.

Jedenfalls tut der Kanzler nichts ohne Absprache mit den USA, und die sind dagegen, der Ukraine Raketen oder Marschflugkörper mit großer Reichweite zu schicken. Das kann mehrere Gründe haben:

Denkbar ist tatsächlich ein gewisses Maß an Misstrauen der Ukraine gegenüber, die Befürchtung, sie würde solche Waffen trotz gegenteiliger Versprechungen dazu nutzen, Ziele in Russland oder gar direkt in Moskau anzusteuern. Amerikanische Raketen auf Moskau: Da wäre tatsächlich damit zu rechnen, dass Putin die rote Linie übertreten sieht, die er von Anfang an betont hat: eine existenzielle Bedrohung Russlands. Es ist nicht auszuschließen, dass er dann zu weltzerstörenden Maßnahmen greift.

Selbst wenn die Langstreckenwaffen nicht auf Russland gerichtet würden, würde deren Lieferung eine neue Qualität der Beteiligung der NATO an diesem Krieg bedeuten. Und offensichtlich ist man sich auch hier nicht so sicher, wie Putin reagieren würde. Dass er sich in diesem Fall offen mit einem NATO-Land anlegen würde, ist zwar unwahrscheinlich. Aber das Arsenal der Kriegsführung ist groß – und wieder ist nicht auszuschließen, dass eine russische Politik der militärischen Nadelstiche außer Kontrolle geraten und eine Katastrophe auslösen könnte.

Und das zu vermeiden hat offensichtlich höchste Priorität in Washington und auch beim Bundeskanzler. Und dafür sollte man eigentlich dankbar sein. Ein Spiel mit dem Feuer, sprich mit einem zumindest teilweise unzurechnungsfähigen Atomwaffen-Besitzer, wie es manche aus den Reihen der Grünen, der FDP und der Union fordern, wäre geradezu verantwortungslos.

Wenn das alles aber so ist, sind das natürlich sehr trübe Aussichten für die Ukraine: Sie wird den Krieg gegen Russland nicht „gewinnen“ können, so lange die NATO nicht mit ganz massiven Angriffswaffen eingreift (was sie aus den oben genannten Gründen nicht tut). Das erklärt auch, weshalb der Kanzler die Formulierung „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen“ im Gegensatz zu anderen deutschen Politikern nicht verwendet. Russland hat nach wie vor so viele Ressourcen, dass es pausenlos Waffen bauen oder kaufen kann und wird so der Ukraine immer überlegen bleiben.

Schon werden Stimmen innerhalb der NATO laut, dass es schon als „Sieg“ gewertet werden könne, wenn man ein weiteres Vordringen Russlands verhindert. Da beschleicht einen doch ein sehr ungutes Gefühl:

Der Westen liefert Waffen, die weitere Geländegewinne Russlands verhindern. Russland stellt – und da ist die autoritäre Regierung logistisch im Vorteil – seine Wirtschaft zu immer größeren Teilen auf Kriegsgerät um, mit dem sie Rückeroberungen der Ukraine stoppen kann. Die Hoffnung, dass in Russland die Stimmung wegen der großen Verluste kippen und sich gegen Putin richten könnte, kann man vergessen: Wird doch dort die Eroberung jeden kleinen Bauerndorfes als großartiger Erfolg der heldenhaften Armee gepriesen – und die Menschen wollen in übergroßer Mehrheit immer noch dran glauben. Eher kippt die Stimmung in der Ukraine, da nicht nur die Waffen für wirkliche Erfolge fehlen, sondern auch (im Gegensatz zu Russland) allmählich die Soldaten.

Hat sich hier nicht längst ein Stellvertreterkrieg auf dem Rücken der ukrainischen UND der russischen Bevölkerung entwickelt?

So lange dieser Krieg läuft, wird Russland kontinuierlich militärisch und wirtschaftlich geschwächt, vielleicht doch auch gesellschaftlich destabilisiert, was den USA natürlich sehr gelegen kommt. Auf der anderen Seite hat Russland großes Interesse daran, dass sich vor allem die europäischen NATO-Länder militärisch verausgaben (was ja offenkundig längst passiert!) und in der Ukraine-Frage zerstreiten (was ja auch längst der Fall ist). Will man das aber wirklich zu einem neuen dreißigjährigen Krieg mit anschließendem „Erschöpfungsfrieden“ (und extrem dezimierter Bevölkerung) werden lassen? Oder wäre es langsam an der Zeit, sich ehrlich zu machen:

Nichts spricht dafür, dass die Ukraine in absehbarer Zeit die von Russland neu annektierten Gebiete oder gar die Krim zurückerobern kann. Es spricht aber längst auch nichts mehr dafür, dass Putin ernsthaft den ursprünglichen Plan, sich die Ukraine vollständig einzuverleiben, weiter verfolgt.

Man kann nun das Abschlachten von Menschen und die Zerstörung von Lebensgrundlagen weiterlaufen lassen und z.B. von deutschen Politikern aus der (immer noch teils mit russischem Öl und Gas geheizten) warmen Stube mit großem moralischen Impetus erklären, ein Angriffskrieg dürfe sich für den Angreifer niemals lohnen, oder mit geringem politischen Sachverstand behaupten, würde Putin nicht aus der Ukraine vertrieben, würde er als nächstes Polen überfallen (wo der doch gerade sieht, dass eine eher halbherzige Unterstützung eines Nicht-Mitgliedsstaats durch die NATO reicht, um seine Pläne zu vereiteln).

Oder man muss in den saueren Apfel beißen und anerkennen, dass in der Weltpolitik das vermeintlich Wahre und Gute eher selten siegt – und sich endlich zu Verhandlungen bereit erklären?

Hilfreich dafür wäre, wenn der Westen nicht weiterhin russisches Gas und Öl und Diamanten kauft, westdeutsche Großunternehmen (KNAUF) nicht weiterhin einen Großteil ihres Gewinns in Russland erwirtschaften (und damit den russischen Staatshaushalt finanzieren) würden, wenn man nicht die für alle möglichen Bankgeschäfte so typische Schleichwege ermöglichen würde usw. So lange Sanktionen gegen Russland dort ihre Grenzen finden, wo die Interessen der deutschen Wirtschaft („unser aller Wohlstand“, wie es in der Aktionärssendung „Wirtschaft vor acht“ in der ARD heißt) beeinträchtigt sein könnten, macht sich der Westen unglaubwürdig (und strategisch auch schwach).

Und den Moralpredigern aus FDP, Grünen und Union darf man deshalb auch die Frage stellen, ob „unser aller Wohlstand“ wirklich ein so schützenswertes Gut ist, dass ihm zuliebe das jahrelange Abschlachten von Menschen ermöglicht bzw. nicht alles getan wird, um das zu beenden.

Vielleicht vertragen sich punktueller fetter Wohlstand und noch fettere Börsengewinne nicht so recht mit der Forderung nach einer friedlichen, guten und gerechten Welt?

Ja, aber

Ja, aber

Jetzt sei nicht die Zeit für ein „Ja, aber“, wird seit dem Überfall der Hamas auf Israel überall geschrieben und gesprochen. Jetzt zeige sich, wie echt die Solidarität mit Israel sei und wer sich mit seinem „Ja, aber“ als heimlicher Antisemit erweise. Bedingungslose Solidarität mit Israel sei jetzt das Gebot der Stunde.

Ja, aber…

Ist „bedingungslose Solidarität“ nicht genau das, was Diktatoren und Autokraten von ihren Untertanen verlangen? Unkritische Unterwerfung unter ihre Herrschaft? Bedingungslose Solidarität in der Politik, also ein Verbot kritischer Analyse, ist einfach eine dumme und undemokratische Forderung.

Die israelische Regierung erklärt die Palästinenser zu „menschlichen Tieren“ und kündigt an, den Gaza-Streifen von Treibstoff, Strom und Wasser vollkommen abzuriegeln (ein erhellendes Beispiel dafür, wie es um die alltägliche Situation der Menschen im Gazastreifen steht). Drei Stunden später erklärt Olaf Scholz, er sei überzeugt, dass sich Israel an das Völkerrecht halte. Und da soll kein

Ja, aber…

erlaubt sein?

Dass die Hamas eine terroristische Verbrecherorganisation ist, hat sie spätestens mit der Geiselnahme und der offenkundig dokumentierten Folterung und Zurschaustellung der Gefangenen bewiesen. Mit Folterern und Geiselnehmern möchte man nichts zu tun haben, sie, soweit die Gräueltaten auch über eventuell gefälschte Fotos hinaus belegbar sind, nach dem Völkerrecht hart bestraft sehen und sie als Akteure aus der Weltpolitik grundsätzlich verbannen.

Ja, aber…

das soll nicht anders gehen als mit einem flächendeckenden Bombardement von zwei Millionen Menschen, die auf engstem Raum eingekesselt, eingesperrt sind? Von einem Staat, der sich noch vor wenigen Monaten rühmte, gezielt mit Lenkraketen jedes Auto im Gazastreifen, das einen Hamas-Führer transportiert, treffen zu können?

Ja, aber…

Israel richte doch inzwischen „humanitäre Fluchtkorridore“ ein, auf denen die Menschen aus dem Norden in den Süden fliehen könnten. Das zeigt doch, dass sich der Krieg nicht gegen die Zivilbevölkerung richtet.

Ja, aber…

gleichzeitig erklärt der routinierte Sprecher des israelischen Verteidigungsministeriums, dass auch keine Stadt im Süden des Gaza-Streifens sicher sei. Nur halt ein bisschen sicherer als der Norden. Und dann wird Rafah bombardiert, die Stadt, die wenige Stunden vorher noch als mögliches Fluchtziel empfohlen wurde. Und zwei „humanitäre“ Treibstofflaster dürfen inzwischen in den Gazastreifen. Zur Versorgung kamen vor dem Krieg täglich 45.

Menschen als Geiseln zu nehmen, als Erpressungsmittel, ist eines der abscheulichsten Verbrechen.

Ja, aber

Menschen gefangenzunehmen und viele Jahre lang ohne Prozess gefangenzuhalten, darunter nach eigenen israelischen Angaben über 500 KInder und Jugendliche, die an Protesten gegen die illegalen Siedlungen im Westjordanland teilgenommen und z.T. Steine auf israelische Panzer geworfen haben: Da soll man jetzt plötzlich differenzieren, da kommt ein

Ja, aber

das kann man doch nicht gleichsetzen. Ist vermutlich richtig. Aber dieselbe Differenzierung muss doch auch in den anderen Punkten möglich sein.

UNO-Generalsekretär Guterres hat doch Recht mit seinem Hinweis, dass dieser Konflikt nicht erst am 7. Oktober 2023 angefangen, sondern eine lange Vorgeschichte hat (Die übrigens im SPIEGEL 46/2013 weitestgehend korrekt und verständlich dargestellt ist). Da kann auch ein Nicht-Historiker erkennen, dass an dieses Pulverfass „Naher Osten“ eigentlich schon immer Lunten aus verschiedenen Richtungen angelegt werden.

Ja, aber

Deutschland hat nun einmal wegen seiner Geschichte eine besondere Verantwortung für das jüdische Volk. Das ist uneingeschränkt richtig. Und dennoch folgt auch hier ein

Ja,aber:

Muss man nicht auch sehen, dass die Vertreibung der Juden im Holocaust als unmittelbare Folge auch die Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat zur Folge hatte? Ist es zulässig, die Verantwortung nur für einen Teil übernehmen zu wollen?

Wenn Netanjahu erst von der „großen Rache“ spricht, dann auf massiven Druck der Amerikaner ein paar symbolische Hilfsmittelchen erlaubt, um einen Tag später öffentlich zu erklären, Israel bemühe sich ja um den Schutz der Zivilisten, sei dabei aber „nicht besonders erfolgreich“ und offensichtlich keinerlei Vorstellungen hat, wie es nach diesem Krieg mit dem Gaza-Streifen weitergehen soll, dann ist doch ein kräftiges

Ja aber

das mindeste, was man einwenden muss.

Für den Verfasser hört hier die Solidarität mit der Regierung Netanjahu auf – nicht mit dem jüdischen Volk, das in großer Mehrheit schon längst nicht mehr hinter seiner Regierung steht. Um nicht in den Ruch des Antisemiten zu kommen und von Mainpost-Journalisten wie Rudi Wais angepöbelt zu werden (der bezeichnet Kritik an der israelischen Regierung als „Antisemitismus hinter der Maske des Gutmenschen“), sei hier noch einmal erklärt:

Der Verfasser steht voll zur moralischen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem jüdischen Volk. Der Verfasser ist der Meinung, dass es richtig und notwendig war, dem jüdischen Volk einen eigenen Staat einzurichten (auch wenn man das weiß Gott anders hätte machen müssen und wenn das selbst bei orthodoxen Juden sehr umstritten war). Die Solidarität endet bei einer israelischen Reaktion, die, wie der SPIEGEL zu Recht titelt, den Hass auf hundert Jahre zementieren und im Nahen Osten zu andauernder Gewalt führen wird, was ja auch nicht im Sinne des jüdischen Volks sein kann. Und die übrigens, für alle zurzeit hörbar, den blödesten und dumpfsten Antisemitismus in Deutschland auch noch befördert: Der Staat, der mit großer moralischer Geste weltweit auftritt, muss sich sagen lassen, dass er offensichtlich zwei verschiedene Arten von Menschenrechten kennt: die, für die man vehement eintritt, siehe z.B. das Lieferkettengesetz, und die, bei denen man („wegen der Juden“) lieber wegschaut.

Auch hier ist ein „Ja, aber“ das mindeste, was man für das jüdische Volk tun kann.

Der Markt nimmt 10 Milliarden

Intel will eine Chipfabrik in Brandenburg bauen. Das freut den Bundeskanzler und den brandenburgischen Ministerpräsidenten, denn:

Wir dürfen nicht zulassen, dass wichtige Zukunftstechnologien nur noch in Asien produziert werden“ (Haseloff).

Wir dürfen uns technologisch nicht immer weiter von China abhängig machen“ Scholz).

Also zahlt der Staat erst einmal 10 Milliarden Euro, damit Intel wirklich in Brandenburg baut und nicht in den USA (die sicher genauso viel zahlen würden). Dazu werden (wie bei der Tesla-Fabrik in Grünheide) jede Menge Sonderregelungen gelten wie z.B. eine vorläufige Baugenehmigung, die dann nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, aufgeweichte Umweltschutzregeln und vieles mehr.

Sind das nun die „entfesselten Marktkräfte“, von denen Lindner im Wahlkampf immer gefaselt hat und heute noch faselt („Technologieoffenheit“, der Markt mit seiner „Innovationskraft“ wird’s schon regeln).

Vielleicht funktioniert „der Markt“ ja irgendwie zu Zeiten, in denen man kommod seine Geschäfte machen kann und es dabei „nur“ auf Kosten der Arbeiter geht. Sobald aber irgendein Problem auftaucht, ruft die Wirtschaft laut nach dem Staat, denn die „Innovationskraft“ ist offensichtlich nicht für Situationen da, in denen beim Geschäftemachen plötzlich Risiken auftreten könnten.

Gerät eine Branche in die Krise und müsste nach den Regeln des Marktes deshalb Leute entlassen, übernimmt der Staat via Kurzarbeitergeld den Großteil des Lohnes. Das ist schön für die Arbeiter, die weiterhin ihr Geld gekommen und schön für die Unternehmer, die ihr Personal behalten können, teils sogar, ganz ohne Lohn zu bezahlen.

Wird wegen einer internationalen Krise der Sprit vorübergehend knapp – und ganz nach den Regeln des Marktes – entsprechend teuer, führt das mitnichten dazu, dass jetzt marktwirtschaftlich wegen des hohen Preises die Nachfrage sinkt. Der Staat schüttet einen „Tankbonus“ aus – für alle natürlich – und sorgt so (ökologisch völlig unsinnig) dafür, dass alle genau so viel Sprit kaufen wie früher, die Energiekonzerne, die ein Stück vom Tankbonus gleich für sich abgezweigt haben, noch höhere Gewinne machen als bisher und dass die oberen 10% der Bevölkerung weiterhin genau so viel Co2 in die Luft pusten dürfen wie die unteren 50% zusammen.

Übrigens: Wenn die Mär, „Angebot und Nachfrage regeln den Preis“ auch nur ansatzweise stimmen würde, müssten die dringlichst gesuchten Facharbeitskräfte längst ein Vielfaches der bisherigen Löhne verdienen. In Wahrheit dürfen sie ein bisschen an einer work-life-balance basteln. Stattdessen begibt sich fast die ganze Bundesregierung auf Anwerbetour quer durch alle Kontinente, um aus den ärmeren Ländern Arbeitskräfte weg- und nach Deutschland zu locken.

Wie die Wirtschaft die Rolle des Staates bei ihrer Gewinnmaximierung sieht, hat Industriepräsident Russwurm beim „Tag der Industrie“ deutlich gemacht: Er hat dem Staat(!) den Facharbeitermangel vorgeworfen. Wie war das in den letzten Jahrzehnten? Weite Teile der deutschen Wirtschaft haben sich geweigert, Fachkräfte auszubilden – trotz staatlicher Ausbildungsprämien. Schließlich war es billiger, diese aus den ehemaligen Ostblockstaaten einzustellen. Jetzt brauchen die ihre Leute plötzlich selbst.

Vermutlich stellt Russwurm sich das so vor:

Der Staat bildet junge Leute aller Branchen aus und überreicht sie, wenn ihre Arbeitskraft zum Gewinne machen reicht, den Arbeitgebern. Das funktioniert aber nur, wenn der Staat zusätzlich die Differenz, die sich aus dem Arbeitspreis, der sich aufgrund der hohen Nachfrage ergibt und dem, was die Unternehmer zu zahlen bereit sind, übernimmt.

So geht Marktwirtschaft in der Krise.

Zeitenwende schon vermasselt

Jetzt haben wir dem neuen Jahr eineinhalb Monate Bewährungszeit gegeben, und schon hat’s das Jahr so gut wie vermasselt. Dabei hat doch alles so gut angefangen. Die letzte gute Nachricht des Jahres 2022 dominierte den Beginn des neuen:

Freundlich, wie sie nun mal ist, hat die taz ihm noch einen netten Wunsch nachgeschickt:

 

(Beide Fotos sind hier auch ausdrücklich zum Zwecke der Bewerbung der spendierenden Zeitschriften „titanic“ (oben) und „taz“ (unten) eingefügt).

Durchaus zu den guten Nachrichten darf auch das köstliche Gezänk im Vatikan nach der Himmelfahrt des Ex-Papstes gezählt werden: Während dessen ehemaliger Privatsekretär kräftig gegen Franziskus keilt, erklärt dieser scheinheilig, dass er im Gegensatz zu Gänswein für Friedfertigkeit stehe. Zum Beweis keilt er zurück: „Das Geschwätz ist eine tödliche Waffe: Es tötet, es tötet die Liebe, es tötet die Gesellschaft, es tötet die Geschwisterlichkeit“, lässt er Gänswein via Predigt wissen.

Hübsch auch der ganz und gar unchristliche Streit um eine Wohnung im Vatikan, die Gänswein seiner Meinung nach zustehe, die ihm aber der (noch lebende) Papst vorenthalten habe: „Das missfiel mir“, schreibt der Ex-Privatsekretär in seinem „Enthüllungsbuch“, „weil ich spürte, dass jemand dahintersteckte, der die Wohnung übernehmen wollte“.

Da fliegt viel heiliger Dreck hin und her.

Den Übergang von den guten zu den schlechten Nachrichten lieferte die bayerische Dreckschleuder Holetschek, der RKI-Chef Wieler als „das Gesicht der Pandemie“ bezeichnete. Das Gesicht ist inzwischen zurückgetreten.

Daraufhin demonstrierte das neue Jahr eindrucksvoll, dass es sich von Rücksichten, Heucheleien, Menschlichkeit oder gar Vernunft in seinem weiteren Werdegang nicht mehr beeindrucken lassen wird:

Ein Ölboss aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Sultan Sultan Ahmed al-Dschaber, wird Chef der UN-Klimakonferenz 2023, die in Dubai, dem weltbekannten Zentrum für nachhaltige und ressourcenschonende Wirtschaftspolitik, ihren passenden Rahmen finden wird.

Einen weiteren Erfolg kann der Umweltschutz in Lützerath verbuchen: Lützerath darf abgebaggert werden, obwohl jeder weiß, dass es die darunterliegende Braunkohle (hust!) nicht braucht. Argument: RWE und der Rechtsstaat wollen das so. RWE will das, weil es die Kontrolle über diese lästigen erneuerbaren Energien noch nicht hat und man doch schon mühsam so viel Wald gerodet hat, und der Rechtsstaat will nun mal, dass einer der reichsten deutschen Konzerne das auch bleibt.

Auch hier wird nicht mehr rumgelogen. Wirtschaftsminister Habeck ist einer der letzten, der noch versucht, die Brutalitäten des Kapitalismus schönzureden: die staatliche Unterpflüg-Genehmigung sei gut, schließlich würden fünf andere Dörfer stehenbleiben. Wie schön! Ob das einen Richter beeindrucken würde, wenn der Mörder sagt, er habe nur einen umgebracht, es hätten ja auch sechs sein können?

Noch ehrlicher wird der Anwalt von RWE. Nachdem man die Bewohner von Lützerath durch immerwährendes Baumsägen-Massaker rund ums Dorf, durch ständige Bodenerschütterungen wegen der direkt angrenzenden Kohlegrube und durch wiederholtes Abschalten der Versorgungsleitungen aus „technischen Gründen“ aus dem Dorf vertrieben hat, erklärt der einfühlsam, dass er „den Wirbel um ein paar verlassene Häuser“ eh nicht verstehe. Außerdem GEHÖRE das Dorf RWE.

So ist das. Grundherrschaft war früher ein Privileg des Adels, jetzt ist es eines der Konzerne. Während die Adeligen nur ihre Untertanen ausbeuten konnten, schaffen die Konzerne das viel flächendeckender: Neben der üblichen Ausbeutung der Arbeiter ist bei ihnen die ganze Gesellschaft dabei: Bei der sogenannten Strompreisgrenze zahlen Privatpersonen bis zu 40 Cent pro Kilowattstunde. Damit wird die Bevölkerung gezwungen, den bei 13 Cent gedeckelten Strompreis für die Industrie zu subventionieren. Weil der Rechtsstaat will (siehe oben…)

Das alles passt gar nicht so zu der „Zeitenwende“, die uns der Bundeskanzler immer einreden will. Die funktioniert ja noch nicht mal beim Militär.

Der omnipräsente olivgrüne Selensky versucht nach wie vor mit aller Macht und List, die NATO und besonders Deutschland in den Ukrainekrieg hineinzuziehen (sofort nach der Zusage von Kampfpanzern kam die Forderung nach Kampfjets, nach ein paar Monaten wird wohl wegen der bis dahin eingetretenen Verluste die Bitte um westliche Soldaten folgen).

Allzu bereitwillig, ja geradezu begeistert lassen sich viele auf alle bisher gestellten Forderungen ein. Das journalistische Sturmgeschütz des Krieges, der SPIEGEL, versteigt sich in einem nationalen Rausch zu der Aussage, der deutsche Kanzler dürfe sich nicht mehr „hinter Biden (…) verstecken“, die Bundeswehr müsse sich den „Osteuropäern als Ankerstreitkraft anbieten“, dann könnten „die kleineren osteuropäischen Länder mit ihren Streitkräften in die Bundeswehr aufgenommen werden“ (ernsthaft so formuliert: SPIEGEL 7/2023, S. 6).

Slowenien in die Bundeswehr! Denn dann, da ist sich dieser unsägliche Konstantin von Hammerstein einfach sicher, brauche Deutschland auch keine Atomwaffen, denn dann „reichen schlagkräftige konventionelle Streitkräfte völlig aus, (…) um Russland glaubwürdig abzuschrecken“.

Sorry, der Mann dreht doch völlig am Rad! Wenn die USA mal keine Lust mehr haben, Europa zu verteidigen, übernimmt Deutschland die osteuropäischen Staaten „in die Bundeswehr“ und „schreckt Russland ab“. Weder Atomwaffen, noch die NATO noch die westeuropäischen Länder spielen bei dieser Strategie eine Rolle. Ob der die Zeitenwende als eine Wende rückwärts interpretiert?

Wie es um die militärische Führungsrolle Deutschlands (die der Bundeskanzler NICHT „rhetorisch (…) beansprucht“, hier lügt Hammerstein) aussieht, kann man jeden Tag aus der Presse erfahren. Erst verspricht man großspurig Kampfpanzer, um dann festzustellen, dass man eigentlich gar keine hat und erst uraltes Gerümpel „ertüchtigen“ muss. Die als Ersatz für die gelieferten Gepard-Schützenpanzer vorgesehenen Hightech-Marder blieben bei einer Übung zu 100% (18 von 18) liegen.

Gar nicht so schlimm, befand der Hersteller Rheinmetall, der seinen Sitz zufällig im Wahlkreis der FDP-Haubitze Strack-Zimmermann hat. Bei 17 Fällen seien es ja nur leichtere Mängel gewesen.

Das dürfte den Soldaten der „Ankerstreitmacht“ im Kampfeinsatz ziemlich egal sein, ob ihr Gefährt wegen schwerer oder leichterer Mängeln stehenbleibt.

Auch bei der Digitalisierung ist die „Zeitenwende“ schon eindrucksvoll gescheitert: Zur Festsetzung eines aktualisierten Grundsteuersatzes werden sämtliche Immobilienbesitzer aufgefordert, entsprechende Daten per Formular beim Finanzamt einzureichen. Gemarkung, Flurstück, Grundstücksgröße usw. Daten, die alle entweder das Grundbuchamt oder gar das Finanzamt selbst bereits hat. Wie sonst könnte es mir quadratmetergenau meine „Kanaleinleitungsgebühr“ berechnen? Die Daten, die man nicht wisse, könnten die Bürger doch einfach beim Grundbuchamt erfragen, bescheidet der bayerische Finanzminister. Und dann ans Finanzamt schicken. Oder vielleicht die Grundstücksgröße beim Finanzamt erfragen, den Wert ins Formular eintragen und ans Finanzamt zurückschicken?

Offensichtlich ist es der Bürokratie nicht zuzumuten, vorhandene Daten auszutauschen.

Ein taz-Karikaturist hat das wunderschön auf den Punkt gebracht: Ein Mann steht im Zimmer, in der linken Hand einen Briefumschlag, in der rechten das Schreiben, und erklärt seiner Frau: „Ein Schreiben vom Amt. Die möchten wissen, wie wir heißen und wo wir wohnen.“

Woker Kapitalismus

Was das hässliche Modewort „woke“ eigentlich bedeutet, weiß offensichtlich niemand: Laut Duden bedeutet es „In hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung“, wobei darauf hingewiesen wird, dass es auch was ganz anderes bedeuten kann. Neulich war im SPIEGEL zu lesen, dass selbst ein Staatshaushalt „woke“ sein kann. „Woke“ taugt auch als Schimpfwort der Rechten für alles, „was irgendwie als liberal, verweichtlicht und politisch korrekt“ angesehen werden könnte (SPIEGEL 52/S.64). „Woke“ ist also offensichtlich alles, was irgendwie links von Donald Trump einzuordnen ist.

So ein Begriff bringt weder Präzision noch gedankliche Klarheit in einen Sachverhalt, vielmehr taugt er explizit dazu, auf solches zu verzichten und sehr vage und nebulös zu argumentieren. Ist ja auch viel einfacher, als seinen Gegenstand klar und fassbar zu durchdenken.

Mit der Verbreitung dieses „Nur-nicht-nachdenken-Begriffs“ setzt sich auch die gedanklich zugehörige, schwammig nebulöse Gedankenführung in öffentlichen Texten durch.

Ein typisches Beispiel ist die Titelgeschichte der Ausgabe des SPIEGEL vom 30.12.21 (daraus alle Zitate):

Hatte Marx doch recht?“ titelt der SPIEGEL, um anschließend die Frage aufzumachen, wie sich der Kapitalismus „erneuern lässt“. Da mag jemand, der sich irgendwie mal mit Marx beschäftigt hat, stutzen: Seit wann war es ein Anliegen von Marx, den Kapitalismus zu „erneuern“?

Der würde sich ohnehin ordentlich wundern, wofür alles er in diesem Artikel als Gewährsmann missbraucht wird. So vermuten die SPIEGEL-Autoren, der milliardenschwere Hedgefond-Verwalter Ray Dalio lese neuerdings morgens das „Kapital“, denn: Da es „von Chancengleichheit kaum mehr eine Spur“ gebe, gehöre „der Kapitalismus dringend und grundlegend reformiert“, lässt Dario laut SPIEGEL verlauten. Im „Kapital“ von Marx dürfte er diesen Gedanken allerdings kaum gefunden haben, Chancengleichheit im Kapitalismus…

Sogar die Financial Times wird laut SPIEGEL marxistisch, weil sie fordert, dass der Neoliberalismus „von der Weltbühne abtrete(n)“ müsse. „Der Staat müsse jetzt ran“. Auch diese Forderung wird bei Marx kaum zu finden sein. Im selben Kontext wähnen die SPIEGEL-Autoren, es sei jetzt eine „echte Chance da, einen sanfteren Kapitalismus zu entwickeln. Gerechter. Nachhaltiger.“ Immerhin wird hier nur indirekt suggeriert, das habe etwas mit Marx zu tun.

Besonders die „jungen Menschen … in den Industrieländern“, entdeckt das Blatt, würden immer kapitalismuskritischer. Aber, ist den Autoren wichtig, „nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil die Mietpreise explodieren“. Wo auch immer sie da einen Gegensatz entdecken.

Ein japanischer Autor wird zitiert, der mit großem Erfolg behauptet, es bräuchte jetzt ein „postkapitalistisches System“, in dem die „gesellschaftliche Produktion verlangsamt und der Wohlstand gezielt umverteilt werde“. Hat er angeblich bei Marx gefunden. Vielleicht in der neuen japanischen Fassung, die sich bei japanischen Jugendlichen „erstaunlicher Beliebtheit“ erfreut, wie der SPIEGEL voller Anerkennung feststellt: das „Kapital als Manga“, also als Comic.

Marx hat tatsächlich auf den gigantischen Ressourcenverbrauch durch den Kapitalismus hingewiesen. Aber ihm daraus „Ideen für eine gerechtere, grünere – und trotzdem noch marktwirtschaftliche – Ordnung“ zu unterstellen, ist einfach kess.

Zum krönenden Abschluss wird Minouche Shafik zitiert, die Direktorin der Londoner School of Economis, laut der „das ganze Modell, der Kapitalismus, weiterentwickelt werden müsse. Wahrscheinlich sogar radikal“.

Übrigens: Womit Marx recht hatte, taucht in der ganzen Titelgeschichte nicht auf, nämlich in seiner Analyse der Widersprüche dieser Wirtschaftsform, an denen sie zu Grunde gehen würde. Genau das passiert ja offenkundig gerade. Allerdings sind diese Widersprüche laut Marx „antagonistische“, das meint unauflösbare, die auch nicht durch Kompromisse oder Reformen aus der Welt geschafft werden könnten.

Deshalb kann es für ihn auch kein „Kapitalismus-Upgrade zu einer nachhaltigeren Version“, geben, sondern nur die Abschaffung des Kapitalismus und seine Überführung in ein sozialistisches/kommunistisches System. Wer das nicht will, sondern lieber von einem „ökologischen Wachstum“ zur Rettung des Kapitalismus träumt, sollte sich jedenfalls nicht auf Marx berufen.

Denn Marxismus ist gar nicht woke. Auch nicht irgendwie.

Moral und Gas

Man erinnert sich: Vor der Bundestagswahl 2021 lagen die Grünen in Meinungsumfragen zeitweise bei knapp 23 Prozent, ein grüner Kanzler/eine grüne Kanzlerin schien durchaus im Bereich des Möglichen. Die Grünen entschieden sich für Annalena Baerbock als Kandidatin, der in der Bevölkerung deutlich angesehenere Robert Habeck hatte das Nachsehen. Das dürfte mit ein Grund dafür sein, dass das Wahlergebnis mit 14,8% für die Grünen eher ernüchternd ausfiel. Die für Außenstehende ohnehin manchmal befremdlich erscheinenden Entscheidungsprozesse bei den Grünen ergaben anschließend, dass Baerbock das Außen-, Habeck das Wirtschaftsministerium übernahm. Beides gerade in Krisenzeiten tatsächlich schwergewichtige Funktionen.

In den ersten Monaten der neuen Ampelkoalition passierte nun Erstaunliches: Baerbock verkündete eine „wertegeleitete, feministische Außenpolitik“. Bald zeigte sich, wie sie diese Attribute umzusetzen gedachte:

Laut, schrill, oft unangenehm schulmeisterlich und (vorsichtig ausgedrückt) wenig diplomatisch erklärte sie der Welt, dass sie und die Bundesrepublik Deutschland nichts mehr dulden würde, was nicht ihren Wertvorstellungen entspräche. Natürlich war Putin erstes Angriffsziel ihrer Politik, und natürlich inhaltlich korrekterweise. Ihre vorschnelle und auch vorlaute Forderung nach Lieferung einer großen Zahl von Kampfpanzern an die Ukraine zerschellte allerdings am besonnenen Bundeskanzler, den die Mehrzahl der deutschen Medien deshalb als „zögerlich“ oder „ängstlich“ abwertete.

Dieselben Medien zeigten sich sehr erfreut über die Außenministerin, die „klare Kante“ zeige und so die von ihr definierten Prinzipien von Außenpolitik konsequent verfolge.

Tut sie das wirklich?

Beim allgemeinen Rätselraten, wie man sich ihre „feministische Außenpolitik“ vorzustellen habe, konnte man doch zumindest erwarten, dass sie ihren außenpolitischen Furor nicht nur gegen Putin, sondern auch gegen Staaten richtete, bei denen Frauen systemisch unterdrückt, ausgebeutet, misshandelt werden. Zielobjekte gäbe es da auf der Welt genug. Nichts dergleichen passiert. Und selbst für die Frauen im Iran, die gerade unter Einsatz ihres Lebens versuchen, ein strukturell frauenverachtendes Regime zu stürzen, gibt es außer ein paar warmen Worten und halbherzigen Sanktionen gegen ein paar Köpfe der Regierung keine Unterstützung. Offensichtlich ist der Erhalt eines gegen alle vorgeblichen Zielen der neuen deutschen Außenpolitik verstoßendes, aber in Schach zu haltendes Mullah-Regime im Nahen Osten als „Stabilitätsfaktor“wichtiger als alle Frauen- und Menschenrechte.

Inzwischen häufen sich die Fälle, bei denen Baerbock lernt, dass Außenpolitik halt oft andere Aufgaben hat als die von ihr selbst gesetzten Leitlinien durchzusetzen, die Verfolgung von Staats- oder Bündnisinteressen zum Beispiel.

Allerdings gibt es auch Beispiele, wo es doch erfreulich wäre, die groß herausposaunten Werte erst einmal im eigenen Haus zu praktizieren:

Unter Merkel wurde mit Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika, in der zigtausende Menschen umgebracht, indigene Völker fast ausgerottet wurden, ein geradezu erbärmliches Abkommen zur „Wiedergutmachung“ ausgehandelt: Namibia soll im Verlauf von 30 Jahren (!) 1,1 Milliarden Euro erhalten. Macht 37 Millionen im Jahr (zum Vergleich: Der Jahreshaushalt der „kleinen Großstadt“ Würzburg mit seinen 127000 Einwohnern beträgt 2022 rund 600 Millionen Euro, also rund das 16-fache). Forderungen aus Namibia, über diese Frage neu zu diskutieren, wurden vom ach so wertegeleiteten Außenministerium mit der Aussage, das Abkommen sei „abschließend ausgehandelt“, kühl abgeschmettert.

Dennoch genießt Baerbock zumindest in den deutschen Medien einen hervorragenden Ruf. Kann es sein, dass das an der derzeitigen, in Politik und Gesellschaft festzustellenden egoistischen Durchsetzungs- , fast möchte man sagen „Haudrauf“-Mentalität liegt, zu der Baerbocks Politikstil recht gut passt?

Den nachgerade gegenteiligen Stil praktiziert Wirtschaftsminister Robert Habeck und erntet dafür in den Medien und in der Öffentlichkeit von allen Seiten Prügel. Sicher, die Entwürfe aus seinem Ministerium z.B. zur Gaspreisbremse waren, sowohl was den Bürokratieaufwand wie auch die soziale Gerechtigkeit betrifft, suboptimal. Dabei wird aber übersehen, dass es Finanzminister oder, hier besser gesagt, FDP-Vorsitzender Lindner ist, der eine sozial gerechte Politik aus einem Guss geradezu penetrant verhindert. Wie soll eine vernünftige Politik gelingen, wenn der Vorsitzende dieser 8%-Partei regelmäßig darauf besteht, dass bei allen staatlichen Maßnahmen Reiche und Superreiche proportional zu ihrem Vermögen genauso profitieren wie die ärmsten in der Gesellschaft, also um ein Vielfaches mehr?

Ähnlich wie Außenministerin Baerbock sah sich Wirtschaftsminister Habeck als Kabinettsneuling vor echte Jahrhundertaufgaben gestellt: Nach den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie galt und gilt es, die Energieversorgung zu sichern.

Habeck hat sich dafür entschieden, die ausfallenden Gaslieferungen aus Russland kurzfristig zu kompensieren – durch Sparmaßnahmen und durch Gaskäufe überall in der Welt, auch bei fragwürdigen autoritären Regimen in der arabischen Region. Besonders die angedeutete Verbeugung vor dem Handelsminister von Katar wurde als „Schmach“, „Unterwürfigkeit“ usw. getadelt.

Prügel für Habeck kommen von vielen Seiten, ernstzunehmende Vorschläge für Alternativen nicht:

Die natürlich richtige Forderung nach beschleunigtem Ausbau der erneuerbaren Energien wird dem Mangel in den nächsten ein, zwei Jahren nicht abhelfen können. Und auch der Vorschlag der Dreifachpullover- und Waschlappenfraktion, einfach die Heizungen runterzudrehen, ist doch arg oberflächlich: Zwar wird immer hübsch verschleiernd erklärt, dass 60% der Energie im privaten Bereich für das Heizen benötigt werden, wieviel das aber vom gesamten Energieverbrauch unter Einbeziehung von Verkehr, Industrie, Handel etc. ausmacht, ist kaum zu eruieren. Dazu kommt, dass auch im privaten Bereich das Heizung-Sparen nur teilweise umsetzbar ist: Menschen haben ein sehr unterschiedliches Wärmebedürfnis: Während der eine bei 22° Raumtemperatur über die „Hitze“ stöhnt, empfindet der andere 19 Grad in Wohnräumen als krankmachend. Und natürlich braucht ein dünner alter, sich nur noch wenig bewegender Mensch viel mehr Wärme als ein junger fitter. Babys und Kleinkinder übrigens auch.

Ein Verzicht auf Gasnachkäufe hätte mit Sicherheit erhebliche wirtschaftliche und damit auch gesellschaftliche Folgen: Neben der Unzufriedenheit wegen kalter Wohnungen trotz hoher Energierechnungen dürfte ein nicht zu vermeidender Anstieg der Arbeitslosigkeit für erhebliche Unruhen sorgen.

Nicht diskutieren muss man über den dümmsten Vorschlag aus den rechten gesellschaftlichen Kreisen: Man solle doch einfach Nordstream 2 aufmachen. Als ob Putin Deutschland dann wieder zuverlässig mit Gas beliefern würde…

Aber gerade diesen Gruppen könnte bei steigender Unzufriedenheit erhebliches und wirklich gefährliches Potential zuwachsen.

Bei allem Ärger über SPD und Grüne, die sich von Lindner am Nasenring herumziehen lassen und bei aller verständlichen Sorge, dass man sich doch wieder gemütlich mit dem neu gekauften Gas einrichtet, statt die Energiewende zu beschleunigen: Es gibt zurzeit zu Habecks Politik keine kurzfristige Alternative. Und wenn der Minister es schafft, Deutschland in seinen ersten eineinhalb Regierungsjahren einigermaßen unbeschadet durch diese schwere Krise zu bringen, hat er keinerlei Häme verdient. Sondern Lob.