Eva Menasse lebt zwar seit längerem in Berlin, ist aber gebürtige Wienerin und hat sprachlich nichts vergessen. Nicht nur, dass sie leidenschaftlich Austriazismen verwendet (für die es immerhin ein Glossar gibt), auch der insgesamt dem österreichischen Alltagsdeutsch angenäherte Stil und die oft derben dialektalen wörtlichen Reden (da „safteln“ schon mal Leichen im „Holzpyjama“) machen das Lesen für einen „Piefke“ nicht einfach. Doch gerade diese Sprache verleiht dem Roman die gewünschte Aura zwischen „Schmäh“ und Gruseligkeit.
Dunkelblum ist eine österreichische Kleinstadt, fast eher ein Dorf an der ungarischen Grenze. Angesichts der eindringlichen Milieuzeichnungen hätte der Ort dieses symbolisch überlasteten Namens eigentlich nicht bedurft.
Man lebt in Dunkelblum in überwiegend kleinbürgerlicher Spießigkeit, trinkt den selbst produzierten Wein und beäugt alles Neue und Fremde außerordentlich misstrauisch. Schnell wird klar, dass dieser Argwohn Fremden gegenüber auch mit der Angst verbunden ist, Fremde könnten sich für die Geschichte Dunkelblums interessieren – die sich die Dunkelblumer gegenseitig beharrlich verschweigen.
Mit der Grenzöffnung 1989 endet die Abgeschiedenheit des Örtchens im Niemandsland; alte, durch den eisernen Vorhang getrennte Beziehungen werden wieder möglich und rufen Erinnerungen hervor. Eine neugierige studierende Tochter eines alteingesessenen Winzers, der sich mit modernen Weinbautechniken unbeliebt macht, möchte mehr über die Familiengeschichte ihrer Männerbekanntschaften erfahren; einer der vielen Juden, die „damals ihren Koffer aus der Stadt tragen mussten“, kehrt zurück und wird eher gegen seinen Willen in die einsamen Versuche eines der überlebenden Juden, jetzt Inhaber eines Reisebüros, verwickelt, eine Ortschronik zu schreiben. Der große, längst von Gestrüpp überwucherte Judenfriedhof weckt plötzlich das Interesse von Studenten und Studentinnen aus der Hauptstadt.
Und so wird sich erinnert, wie der Besitz, vor allem die Ländereien der ausgewiesenen Juden, noch ehe sie den Ort verlassen hatten, schon dem Eigentum der Dunkelblumer zugeschlagen wurde; wie sich Intellektuelle die Gewaltbereitschaft ungebildeter Jugendlicher zunutze machten, um einen durchaus einträglichen Herrschaftsterror (ganz im Sinne der Partei) in dem Städtchen zu errichten.
Als der kurz vor der Pensionierung stehende Landarzt, der durch seine über 30-jährige Hausarzt-Praxis Dunkelblum kennt wie kaum ein anderer, erfährt, dass auf einem Gelände, auf dem jüngst ein Skelett gefunden wurde, die Fundamente für einen Wasserspeicher in die Erde gelegt werden sollen, erbleicht er.
Natürlich ist Dunkelblum ein symbolischer Ort, es gibt tausende Dunkelblums, erst recht in Deutschland. Orte, in denen über die Vergangenheit geschwiegen wurde und wird. Orte, in denen man genauso schweigend hinnahm, dass ortsbekannte Nazigrößen später als Bürgermeister und Lehrer reüssierten. Orte, die große Judensiedlungen und –friedhöfe besaßen, in denen nach dem Krieg aber kein einziger Jude mehr lebte. Dafür wenige Bauern mit erstaunlich großem Landbesitz, die dann im Kirchenvorstand und dem Gemeinderat saßen, um (zusammen mit dem Herrn Bürgermeister und dem Herrn Pfarrer) über die Vergangenheit zu schweigen.
Empfohlen nicht nur für Menschen, die sich erinnern wollen, sondern gerade auch für jüngere, die hier einen tiefen und authentischen Einblick in diesen Teil der deutschen Geschichte erleben können.