Woker Kapitalismus

Was das hässliche Modewort „woke“ eigentlich bedeutet, weiß offensichtlich niemand: Laut Duden bedeutet es „In hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung“, wobei darauf hingewiesen wird, dass es auch was ganz anderes bedeuten kann. Neulich war im SPIEGEL zu lesen, dass selbst ein Staatshaushalt „woke“ sein kann. „Woke“ taugt auch als Schimpfwort der Rechten für alles, „was irgendwie als liberal, verweichtlicht und politisch korrekt“ angesehen werden könnte (SPIEGEL 52/S.64). „Woke“ ist also offensichtlich alles, was irgendwie links von Donald Trump einzuordnen ist.

So ein Begriff bringt weder Präzision noch gedankliche Klarheit in einen Sachverhalt, vielmehr taugt er explizit dazu, auf solches zu verzichten und sehr vage und nebulös zu argumentieren. Ist ja auch viel einfacher, als seinen Gegenstand klar und fassbar zu durchdenken.

Mit der Verbreitung dieses „Nur-nicht-nachdenken-Begriffs“ setzt sich auch die gedanklich zugehörige, schwammig nebulöse Gedankenführung in öffentlichen Texten durch.

Ein typisches Beispiel ist die Titelgeschichte der Ausgabe des SPIEGEL vom 30.12.21 (daraus alle Zitate):

Hatte Marx doch recht?“ titelt der SPIEGEL, um anschließend die Frage aufzumachen, wie sich der Kapitalismus „erneuern lässt“. Da mag jemand, der sich irgendwie mal mit Marx beschäftigt hat, stutzen: Seit wann war es ein Anliegen von Marx, den Kapitalismus zu „erneuern“?

Der würde sich ohnehin ordentlich wundern, wofür alles er in diesem Artikel als Gewährsmann missbraucht wird. So vermuten die SPIEGEL-Autoren, der milliardenschwere Hedgefond-Verwalter Ray Dalio lese neuerdings morgens das „Kapital“, denn: Da es „von Chancengleichheit kaum mehr eine Spur“ gebe, gehöre „der Kapitalismus dringend und grundlegend reformiert“, lässt Dario laut SPIEGEL verlauten. Im „Kapital“ von Marx dürfte er diesen Gedanken allerdings kaum gefunden haben, Chancengleichheit im Kapitalismus…

Sogar die Financial Times wird laut SPIEGEL marxistisch, weil sie fordert, dass der Neoliberalismus „von der Weltbühne abtrete(n)“ müsse. „Der Staat müsse jetzt ran“. Auch diese Forderung wird bei Marx kaum zu finden sein. Im selben Kontext wähnen die SPIEGEL-Autoren, es sei jetzt eine „echte Chance da, einen sanfteren Kapitalismus zu entwickeln. Gerechter. Nachhaltiger.“ Immerhin wird hier nur indirekt suggeriert, das habe etwas mit Marx zu tun.

Besonders die „jungen Menschen … in den Industrieländern“, entdeckt das Blatt, würden immer kapitalismuskritischer. Aber, ist den Autoren wichtig, „nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil die Mietpreise explodieren“. Wo auch immer sie da einen Gegensatz entdecken.

Ein japanischer Autor wird zitiert, der mit großem Erfolg behauptet, es bräuchte jetzt ein „postkapitalistisches System“, in dem die „gesellschaftliche Produktion verlangsamt und der Wohlstand gezielt umverteilt werde“. Hat er angeblich bei Marx gefunden. Vielleicht in der neuen japanischen Fassung, die sich bei japanischen Jugendlichen „erstaunlicher Beliebtheit“ erfreut, wie der SPIEGEL voller Anerkennung feststellt: das „Kapital als Manga“, also als Comic.

Marx hat tatsächlich auf den gigantischen Ressourcenverbrauch durch den Kapitalismus hingewiesen. Aber ihm daraus „Ideen für eine gerechtere, grünere – und trotzdem noch marktwirtschaftliche – Ordnung“ zu unterstellen, ist einfach kess.

Zum krönenden Abschluss wird Minouche Shafik zitiert, die Direktorin der Londoner School of Economis, laut der „das ganze Modell, der Kapitalismus, weiterentwickelt werden müsse. Wahrscheinlich sogar radikal“.

Übrigens: Womit Marx recht hatte, taucht in der ganzen Titelgeschichte nicht auf, nämlich in seiner Analyse der Widersprüche dieser Wirtschaftsform, an denen sie zu Grunde gehen würde. Genau das passiert ja offenkundig gerade. Allerdings sind diese Widersprüche laut Marx „antagonistische“, das meint unauflösbare, die auch nicht durch Kompromisse oder Reformen aus der Welt geschafft werden könnten.

Deshalb kann es für ihn auch kein „Kapitalismus-Upgrade zu einer nachhaltigeren Version“, geben, sondern nur die Abschaffung des Kapitalismus und seine Überführung in ein sozialistisches/kommunistisches System. Wer das nicht will, sondern lieber von einem „ökologischen Wachstum“ zur Rettung des Kapitalismus träumt, sollte sich jedenfalls nicht auf Marx berufen.

Denn Marxismus ist gar nicht woke. Auch nicht irgendwie.

Moral und Gas

Man erinnert sich: Vor der Bundestagswahl 2021 lagen die Grünen in Meinungsumfragen zeitweise bei knapp 23 Prozent, ein grüner Kanzler/eine grüne Kanzlerin schien durchaus im Bereich des Möglichen. Die Grünen entschieden sich für Annalena Baerbock als Kandidatin, der in der Bevölkerung deutlich angesehenere Robert Habeck hatte das Nachsehen. Das dürfte mit ein Grund dafür sein, dass das Wahlergebnis mit 14,8% für die Grünen eher ernüchternd ausfiel. Die für Außenstehende ohnehin manchmal befremdlich erscheinenden Entscheidungsprozesse bei den Grünen ergaben anschließend, dass Baerbock das Außen-, Habeck das Wirtschaftsministerium übernahm. Beides gerade in Krisenzeiten tatsächlich schwergewichtige Funktionen.

In den ersten Monaten der neuen Ampelkoalition passierte nun Erstaunliches: Baerbock verkündete eine „wertegeleitete, feministische Außenpolitik“. Bald zeigte sich, wie sie diese Attribute umzusetzen gedachte:

Laut, schrill, oft unangenehm schulmeisterlich und (vorsichtig ausgedrückt) wenig diplomatisch erklärte sie der Welt, dass sie und die Bundesrepublik Deutschland nichts mehr dulden würde, was nicht ihren Wertvorstellungen entspräche. Natürlich war Putin erstes Angriffsziel ihrer Politik, und natürlich inhaltlich korrekterweise. Ihre vorschnelle und auch vorlaute Forderung nach Lieferung einer großen Zahl von Kampfpanzern an die Ukraine zerschellte allerdings am besonnenen Bundeskanzler, den die Mehrzahl der deutschen Medien deshalb als „zögerlich“ oder „ängstlich“ abwertete.

Dieselben Medien zeigten sich sehr erfreut über die Außenministerin, die „klare Kante“ zeige und so die von ihr definierten Prinzipien von Außenpolitik konsequent verfolge.

Tut sie das wirklich?

Beim allgemeinen Rätselraten, wie man sich ihre „feministische Außenpolitik“ vorzustellen habe, konnte man doch zumindest erwarten, dass sie ihren außenpolitischen Furor nicht nur gegen Putin, sondern auch gegen Staaten richtete, bei denen Frauen systemisch unterdrückt, ausgebeutet, misshandelt werden. Zielobjekte gäbe es da auf der Welt genug. Nichts dergleichen passiert. Und selbst für die Frauen im Iran, die gerade unter Einsatz ihres Lebens versuchen, ein strukturell frauenverachtendes Regime zu stürzen, gibt es außer ein paar warmen Worten und halbherzigen Sanktionen gegen ein paar Köpfe der Regierung keine Unterstützung. Offensichtlich ist der Erhalt eines gegen alle vorgeblichen Zielen der neuen deutschen Außenpolitik verstoßendes, aber in Schach zu haltendes Mullah-Regime im Nahen Osten als „Stabilitätsfaktor“wichtiger als alle Frauen- und Menschenrechte.

Inzwischen häufen sich die Fälle, bei denen Baerbock lernt, dass Außenpolitik halt oft andere Aufgaben hat als die von ihr selbst gesetzten Leitlinien durchzusetzen, die Verfolgung von Staats- oder Bündnisinteressen zum Beispiel.

Allerdings gibt es auch Beispiele, wo es doch erfreulich wäre, die groß herausposaunten Werte erst einmal im eigenen Haus zu praktizieren:

Unter Merkel wurde mit Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika, in der zigtausende Menschen umgebracht, indigene Völker fast ausgerottet wurden, ein geradezu erbärmliches Abkommen zur „Wiedergutmachung“ ausgehandelt: Namibia soll im Verlauf von 30 Jahren (!) 1,1 Milliarden Euro erhalten. Macht 37 Millionen im Jahr (zum Vergleich: Der Jahreshaushalt der „kleinen Großstadt“ Würzburg mit seinen 127000 Einwohnern beträgt 2022 rund 600 Millionen Euro, also rund das 16-fache). Forderungen aus Namibia, über diese Frage neu zu diskutieren, wurden vom ach so wertegeleiteten Außenministerium mit der Aussage, das Abkommen sei „abschließend ausgehandelt“, kühl abgeschmettert.

Dennoch genießt Baerbock zumindest in den deutschen Medien einen hervorragenden Ruf. Kann es sein, dass das an der derzeitigen, in Politik und Gesellschaft festzustellenden egoistischen Durchsetzungs- , fast möchte man sagen „Haudrauf“-Mentalität liegt, zu der Baerbocks Politikstil recht gut passt?

Den nachgerade gegenteiligen Stil praktiziert Wirtschaftsminister Robert Habeck und erntet dafür in den Medien und in der Öffentlichkeit von allen Seiten Prügel. Sicher, die Entwürfe aus seinem Ministerium z.B. zur Gaspreisbremse waren, sowohl was den Bürokratieaufwand wie auch die soziale Gerechtigkeit betrifft, suboptimal. Dabei wird aber übersehen, dass es Finanzminister oder, hier besser gesagt, FDP-Vorsitzender Lindner ist, der eine sozial gerechte Politik aus einem Guss geradezu penetrant verhindert. Wie soll eine vernünftige Politik gelingen, wenn der Vorsitzende dieser 8%-Partei regelmäßig darauf besteht, dass bei allen staatlichen Maßnahmen Reiche und Superreiche proportional zu ihrem Vermögen genauso profitieren wie die ärmsten in der Gesellschaft, also um ein Vielfaches mehr?

Ähnlich wie Außenministerin Baerbock sah sich Wirtschaftsminister Habeck als Kabinettsneuling vor echte Jahrhundertaufgaben gestellt: Nach den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie galt und gilt es, die Energieversorgung zu sichern.

Habeck hat sich dafür entschieden, die ausfallenden Gaslieferungen aus Russland kurzfristig zu kompensieren – durch Sparmaßnahmen und durch Gaskäufe überall in der Welt, auch bei fragwürdigen autoritären Regimen in der arabischen Region. Besonders die angedeutete Verbeugung vor dem Handelsminister von Katar wurde als „Schmach“, „Unterwürfigkeit“ usw. getadelt.

Prügel für Habeck kommen von vielen Seiten, ernstzunehmende Vorschläge für Alternativen nicht:

Die natürlich richtige Forderung nach beschleunigtem Ausbau der erneuerbaren Energien wird dem Mangel in den nächsten ein, zwei Jahren nicht abhelfen können. Und auch der Vorschlag der Dreifachpullover- und Waschlappenfraktion, einfach die Heizungen runterzudrehen, ist doch arg oberflächlich: Zwar wird immer hübsch verschleiernd erklärt, dass 60% der Energie im privaten Bereich für das Heizen benötigt werden, wieviel das aber vom gesamten Energieverbrauch unter Einbeziehung von Verkehr, Industrie, Handel etc. ausmacht, ist kaum zu eruieren. Dazu kommt, dass auch im privaten Bereich das Heizung-Sparen nur teilweise umsetzbar ist: Menschen haben ein sehr unterschiedliches Wärmebedürfnis: Während der eine bei 22° Raumtemperatur über die „Hitze“ stöhnt, empfindet der andere 19 Grad in Wohnräumen als krankmachend. Und natürlich braucht ein dünner alter, sich nur noch wenig bewegender Mensch viel mehr Wärme als ein junger fitter. Babys und Kleinkinder übrigens auch.

Ein Verzicht auf Gasnachkäufe hätte mit Sicherheit erhebliche wirtschaftliche und damit auch gesellschaftliche Folgen: Neben der Unzufriedenheit wegen kalter Wohnungen trotz hoher Energierechnungen dürfte ein nicht zu vermeidender Anstieg der Arbeitslosigkeit für erhebliche Unruhen sorgen.

Nicht diskutieren muss man über den dümmsten Vorschlag aus den rechten gesellschaftlichen Kreisen: Man solle doch einfach Nordstream 2 aufmachen. Als ob Putin Deutschland dann wieder zuverlässig mit Gas beliefern würde…

Aber gerade diesen Gruppen könnte bei steigender Unzufriedenheit erhebliches und wirklich gefährliches Potential zuwachsen.

Bei allem Ärger über SPD und Grüne, die sich von Lindner am Nasenring herumziehen lassen und bei aller verständlichen Sorge, dass man sich doch wieder gemütlich mit dem neu gekauften Gas einrichtet, statt die Energiewende zu beschleunigen: Es gibt zurzeit zu Habecks Politik keine kurzfristige Alternative. Und wenn der Minister es schafft, Deutschland in seinen ersten eineinhalb Regierungsjahren einigermaßen unbeschadet durch diese schwere Krise zu bringen, hat er keinerlei Häme verdient. Sondern Lob.

Fichtners Welt

Er hat wieder mal zugeschlagen, der berüchtigte SPIEGEL-Autor Ullrich Fichtner, mit einem seiner zumindest äußerlich streng strukturierten Acht-Kapitel-Essays. Nach dem Ukraine-Krieg und der Rolle Deutschlands darin geht es diesmal um den Klimawandel (DER SPIEGEL 45/2022, S. 24-32)

Eine kritische Würdigung der Kernaussagen der einzelnen Kapitel:

Kapitel I

Wetterextreme habe es schon immer gegeben, zeigt Fichtner an einem scharfen Kälteeinbruch im 30-jährigen Krieg, in EINER Nacht. Die Obrigkeit, erklärt er, nämlich die betroffenen Erzbistümer, hätten daraufhin „große Hexenjagden“ veranstaltet, bei denen „Hunderte Menschen auf dem Scheiterhaufen starben“. Verblüffend seine Schlussfolgerung. Dies zeige, wie DER MENSCH (als ob die Erzbischöfe „die Menschheit“ wären) „zu allen Zeiten (…) das Wetter interpretiert (…) habe.“
Zwei Aussagen sind schon mal unterschwellig als Prämisse vorangestellt:
1. Wetterkrisen gab es schon immer (Dass ein Kälteeinbruch in einer Nacht so gar nicht zum Vergleich taugt mit der seit über 100 Jahren anhaltenden Erderwärmung, will ihm nicht auffallen).
2. DER Mensch hat auf die schon immer irrational reagiert.

Kapitel II:

Jetzt kommt die Anwendung der Prämissen auf die Gegenwart: „Reiche Leute, Vielflieger, SUV-Fahrerinnen“ usw. würden wegen ihres „Besitzes oder Lebensstils“ angefeindet. Ganz genauso wie die Hexen früher also… Und „wer nicht einstimmt in die Klage, dass die moderne Konsumgesellschaft ein verachtenswerter, tödlicher Irrweg ist, riskiert ( …) einen veritablen Shitstorm.“ Also ein bisschen sowas wie die Hexen auf ihrem Scheiterhaufen.
Damit ist auch klargestellt, was gar kein rationaler Umgang mit dem Klimawandel ist: Konsumverzicht oder wenigstens Konsumeinschränkung: „Zu meinen, der Verzicht auf ein Schinkenbrot würde an der Erderwärmung irgendetwas ändern“ führe nur wieder „in die Gedankenwelt früherer Jahrhunderte, in denen Askese als Weg ins Himmelreich galt.“ So geht das immer weiter, bis zu dem absurdesten aller „Argumente“: „Wer schließlich an der deutschen Debatte verzweifelt, die häufig so klingt (!), als könne Deutschland im Alleingang das 1,5-Grad-Ziel erreichen oder das Weltklima mit seinen Windrädern retten, steht schnell im Abseits“. Ja. Standen die Hexen auch. Zur Bekräftigung wird ein Klimaforscher (Hans von Storch) so zitiert: „Die Deutschen können allein die Welt nicht retten.“
Ich frage die Herren Fichtner und von Storch: Mit welchen Menschen unterhalten Sie sich? Ausschließlich mit volltrunkenen und unzurechnungsfähigen? Von wem konkret haben Sie jemals die Aussage gehört, Deutschland könne ALLEIN das Weltklima oder gar die Welt retten? Oder ist das nicht einfach eine Erfindung? Was für ein erbärmliches Argumentationsniveau: Einen Popanz aufbauen, auf den man dann genüsslich einschlagen kann.
Immerhin leugnet Fichtner nicht, dass das 1,5-Grad-Ziel schon lange nicht mehr erreichbar ist. Findet er aber nicht weiter schlimm: „Denn wie geht es dann weiter? Wer wird – und mit welchen Worten – vor allem den jungen Leuten erklären, dass davon die Welt trotzdem nicht untergeht?“

Kapitel III

Hier wird glaubhaft belegt, dass das 1,5-Grad-Ziel unerreichbar geworden ist und dass auch Deutschland gegen seine eigenen Klimaschutzgesetze verstößt. Aber zweifelt daran eigentlich noch jemand? Erschwerend kommt für Fichnter hinzu, dass wegen des Ukrainekriegs „auch noch Braunkohlekraftwerke wieder ans Netz gehen und weil die Atomkraft für die amtierende Regierung nicht als Brückentechnologie für ein paar Jahre infrage“ kommt.
Dabei gilt – vor allem für die Grünen in der Regierung – die Logik von Arbeitszeugnissen: ‚Hat sich bemüht‘ heißt: hat’s nicht geschafft.“
Herzlichen Glückwunsch! Auch noch völlig aus der Luft gegriffenen Dreck auf die Grünen geschmissen. Das durfte nicht fehlen.

Kapitel IV

erzählt, dass man trotz der radikaleren Protestgruppen „Begriffe wie ‚Öko-Diktatur‘ oder ‚grüne RAF‘ (…) als Geraune abtun“ könnte. Echt jetzt? Aber mitnichten: Denn diese Aktionen ließen die „Demokratien dieser Welt (…) wie impotente Gurkenstaaten“ aussehen. Und da diese sich als unfähig zur Problemlösung erwiesen, gerate man ganz schnell in die „Sphäre, in der das Legale oder Illegale eben scheißegal wird“. Also doch grüne RAF.
Die von ihm behauptete Wirkungslosigkeit der Aktivisten der „Letzten Generation“ erkläre sich laut Fichtner „vor allem aus dem Umstand, dass sie vermutlich die ersten Revolutionäre der Weltgeschichte sind, die offene Türen einrennen“. Schließlich sei das Problem weltweit bewusst und „prominent und konstant auf allen Kanälen in Schrift, Bild und Ton verbreitet“.
Das haben die Mädels und Jungs von der Letzten Generation offensichtlich noch gar nicht gemerkt. Oder Fichtner nicht, dass die ihre Aktionen gar nicht als Beitrag zum WISSEN um die Problematik ansehen, sondern als drastische Aufforderung zum HANDELN – über permanente mediale Präsenz hinaus.
Das Kapitel stellt am Ende die großen Fragen, was angesichts des weltweit bekannten Problems zu tun ist. Auf Antworten darf man sich freuen in

Kapitel V

Dort bekommt man aber zunächst ausgeführt, was, wie schon in Kapitel I angedeutet, NICHT zu tun ist:
Es bringe gar nichts, wenn sich „jeder Einzelne nur ordentlich Mühe gebe“. Und „ob die Deutschen weiter nach Mallorca fliegen oder nicht, tut für die Bilanz im Großen und Ganzen nicht viel zur Sache“.
Wie praktisch. Dann kann man ja fröhlich einfach weitermachen wie bisher. Und das ganz ohne schlechtes Gewissen, denn: „Selbst wenn es ganz Deutschland gelänge, seinen gesamten Kohlendioxidausstoß (…) über Nacht auf null herunterzufahren, hätte das auf die (…) Weltbilanz keinen entscheidenden Effekt“. Der Rest der Welt bliese ja weiterhin bis zu 40 Milliarden Tonnen Kohlendioxid jährlich in die Luft.

Nimm das, Popanz (auch wenn es noch so absurd ist)!

Obacht: Jetzt kommt die Lösung (vom oben erwähnten Hans von Storch, von Fichtner zustimmend referiert): Die wohlhabenden Länder könnten „die Entwicklung und Produktion emissionsarmer Technologien (…) beschleunigen und diese dann weniger entwickelten Ländern (…) überlassen.“  „Emmissionsfreie Schiffsantriebe, klimaneutrale Stahlschmelzen, solche Sachen“, meint von Storch, „das könnten wir entwickeln, testen, produzieren – und dann verschenken wir das in den Rest der Welt“. WIR verschenken das dann in den REST DER WELT. Was für eine gruselige Termiologie.
Wie bereitwillig die Industrienationen sind, Hochtechnologie an arme Länder „zu verschenken“, kann man tagtäglich beobachten. Und wann käme der rettende Effekt? In 30, 40 Jahren? Ein paar Seiten zuvor in derselben Ausgabe des SPIEGEL wird berichtet, dass die Bevölkerung Somalias wegen des Klimawandels vom Aussterben bedroht ist. Ein somalischer Aktivist fragt sich angesichts möglicher Technologiehilfen aus den Industrienationen: „Was nützen mir Solarpaneele auf dem Dach, wenn mein Haus weggeflogen ist?“. Genau so viel wie „emmissonsfreie Schiffsantriebe“ in 40 Jahren den jetzt Verhungernden helfen werden.

Kapitel VI

ruft in Erinnerung, dass es schon viele Weltuntergangs-Ankündigungen gegeben habe, aber noch nie einer eingetreten sei und dass jede Generation „ihre Untergangsfantasie“ habe. Diesmal könne es aber tatsächlich ernst werden. Deshalb werden in

Kapitel VII

weitere Lösungsansätze zitiert: „Zukunftsanwälte“ sollten in allen Staaten mit am Kabinettstisch sitzen, Unternehmen sollten „1,5% ihres Gewinns für effizientes Spenden einsetzen“ (nur nicht übertreiben!) usw. In der Zukunft. Andere Wissenschaftler befürchten angesichts solcher Vorschläge natürlich, dass Lösungen nicht „rechtzeitig“ entstünden. Aber: „Andererseits lasse sich ‚die Gewissheit des Untergangs‘ nicht feststellen“. Wie beruhigend.

Kapitel VIII

beinhaltet Fichtners zusammenfassende Sicht auf das Problem: Die Welt werde trotz des Verfehlens des 1,5-Grad-Ziels nicht untergehen (Wer hat das eigentlich behauptet?). Die Menschheit müsse sich auf allerdings auf „Stürme, Hitze, Hagel, Dürre“ gefasst machen. Es sei denn, es kommen „technologische Sprünge“ (Lindner lässt grüßen!), die „die Probleme auf unerwartete Weisen beherrschbar machen.“
Eine Katastrophe ist das alles für ihn nicht, ungemütlich halt. Und die Schuldigen hat er schnell und mühelos ausgemacht: die G7-Staaten mit ihrer „Unfähigkeit (…) ihre zugesagten Beiträge zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels zu leisten“.
Nur: Wie sollen die das auch, wenn in jedem Staat vorgerechnet wird wie hier, dass selbst ein Nullausstoß von Kohlendioxid nichts bringt? Und solange die alten weißen  Männer immer nur Vorschläge haben, die ihnen ein gemütliches „Weiter so“ erlauben, statt persönlich Verantwortung zu übernehmen?

Abschließende Anmerkung: Es darf schon verwundern, dass Fichtner Deutschland nahezu jede Fähigkeit abspricht, einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels zu leisten. Im Ukraine-Krieg sah er vor ein paar Wochen Deutschland als Welt- und Führungsmacht, die die entscheidende Wende vorantreiben könnte. Darüber nachzudenken, wieviel Kohlendioxid-Ausstoß die von ihm dort befürwortete massenhafte Produktion von Kampfpanzern für die Ukraine verursachen würde, hält Fichtner für unnötig. Denn auf die paar Millionen Tonnen kommt’s sicher eh nicht an.

Kriegsregelungen

Schon in der Steinzeit gingen, was „Kriegslustige“ (die Formulierung von SPIEGEL-Fichtner sitzt tief!) gerne als Argument anführen, Menschen mit Knüppeln aufeinander los, um sich gegenseitig Ressourcen abzunehmen.

Im Mittelalter war das kaum anders, statt Knüppeln verwendete man jetzt Schwerter oder auch Mistgabeln. In den „gehobenen“ Gesellschaftsschichten zivilisierte man den Konflikt allerdings und gab sich allerlei Regeln für „ritterlichen“ Kampf.

Die wurden spätestens im 30-jährigen Krieg vergessen und man metzelte wild und ungezügelt drauflos.

Bei diversen „Friedenskonferenzen“ in Den Haag und Genf rund um 1900 herum begann man absurderweise, Regeln für den Krieg aufzustellen, z.B. im 1899 verabschiedeten Zweiten Haagener Abkommen „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs“, das u.a. das Verbot des Einsatzes von Giftgas festschrieb.

Schon im ersten Weltkrieg haben die Kriegsparteien alle diese Regeln gebrochen, sobald sie dazu technisch in der Lage waren: im zweiten kam dann die gezielte Barbarei gegenüber Zivilpersonen dazu, welche durch die Genfer Konventionen von 1949 „verboten“ wurde.

In ALLEN Kriegen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Regeln gebrochen, besonders im Vietnamkrieg durch die Amerikaner und teilweise aktuell durch die Russen in der Ukraine.

Es war und ist nichts anderes zu erwarten: Es ist kaum denkbar, dass man Menschen, die man z.B. in den vietnamesischen Dschungel schickt mit dem Auftrag, möglichst viele Vietnamesen (korrekter: vietnamesische Soldaten – aber macht das wirklich einen so großen Unterschied?) zu töten und damit dem höchsten Wert jeder Zivilisation, dem Respekt vor dem menschlichen Leben, abzuschwören, gleichzeitig dazu bringen kann, andere moralische oder rechtliche Regeln strikt zu befolgen. Ein Mensch, den man dazu zwingt, die Achtung vor menschlichem Leben aufzugeben und der natürlich weiß, dass sein Leben genauso missachtet wird, kann schwerlich ein moralisch handelndes Wesen bleiben.

Darum geht es den Staatsfunktionären, die solche Abkommen treffen, auch gar nicht, sonst würden sie sich keine solchen „Gebrauchsanleitungen“ für die Kriegsführung ausdenken. Es geht darum, Kriege, von denen man sich ja immer erhofft, dass etwas für die eigene Seite herausspringt, ideologisch führbar zu machen, indem man sie mit einem Mäntelchen aufklärerischer Humanität schmückt – wohl wissend, wie verlogen das ist.

Die moralische Befriedigung, Kriegsverbrecher auf völkerrechtlicher Grundlage verurteilen zu können, ergibt sich ohnehin nur auf der Seite des Siegers und erst dann, wenn das menschenverachtende Gemetzel vorbei ist. Theoretisch könnte natürlich ein siegreiches Land auch die Kriegsverbrecher in den eigenen Reihen so zur Verantwortung ziehen. Theoretisch. Der amerikanische Massenmörder Calley, der in Vietnam das Dorf My Lai niederbrennen ließ und zusammen mit nie angeklagten Kollegen hunderte von Frauen und Kindern umbrachte, wurde ein Jahr nach seiner „offiziellen“ Verurteilung begnadigt und führte anschließend ein unbehelligtes großbürgerliches Leben als Manager.

Die Lüge selbst wird im Krieg nicht als moralische Verfehlung gesehen, sondern als kluges taktisches Instrument. Die Regel heißt hier: Die Lüge ist dann gut, wenn sie der „richtigen“ Seite dient.

Und diese Entscheidung, das Einstehen für die „richtige“ Seite mit allen Mitteln, wird ja nicht nur von militärischen Strategen gefordert. Dieser Anspruch wird tief in die Gesellschaft der Staaten hineingetragen, die sich auf eine Seite zu stellen haben: Bundesdeutsche Medien produzieren gnadenlos einseitige Beiträge. Wagt es jemand, vorsichtig drauf hinzuweisen, dass auf der „richtigen“ Seite vielleicht auch nicht alles richtig ist, hat er mit einem gewaltigen Shitstorm zu rechnen – auch die Öffentlichkeit weiß, was ihre Aufgabe ist. Selbst von Kultur und Kunst wird gefordert, sich bedingungslos der Tragödie anzunehmen – Gebrauchskunst als moralischer Beistand auf der richtigen Seite.

Und so kommt es zu folgender grotesk-verlogenen Konstellation:

Mit Empörung reagiert die veröffentlichte Meinung in Deutschland auf den Sendedirektor des russischen Fernsehsenders RT, der fordert, man solle ukrainische Kinder in Flüssen ertränken. Die Empörung ist so berechtigt, dass selbst die russische Senderchefin sich genötigt sieht, ihn zu feuern.

Auf der richtigen Seite steht der ukrainische Autor Serhij Zhadan. Er beschreibt in seinem Buch „die Russen“ als „Verbrecher“, „Tiere“ und „Unrat“ und wünscht: „Brennt in der Hölle, ihr Schweine“.

Und bekommt dafür den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

German Angst

Ein prägender Wesenszug der Deutschen ist nach Meinung mancher Nichtdeutscher und mancher deutscher Journalisten die „German Angst“, was offensichtlich ein Brite erfunden haben muss. Der anscheinend noch nie in München beim Oktoberfest war.

Sich dort in Zeiten der Pandemie zwischen tausenden eng aufeinander gedrängter Menschen volllaufen zu lassen, zu singen, zu grölen, zu schwitzen zeugt doch von einer regelrechten Angst-Resistenz. Und ist gleichzeitig ein schönes Beispiel dafür, wo Angst ausgeschaltet wird: Genau da, wo, aus welchen Gründen auch immer, der Verstand ausgeschaltet wird. Beim Oktoberfest funktioniert das besonders effektiv: Mit jeder Maß schwindet der Verstand mehr und die Angst auch.

Eine „ruhige Wiesn“ mit im Schnitt polizeilich aufgenommenen 260 Körperverletzungen (an einem Ort in 15 Tagen!) sind die Folge dieses Angstabbaus.

Eine ähnlich berauschende Wirkung wie die Wiesn-Maß scheint der neu entdeckte Heroismus bei zahlreichen Politikern und Journalisten in der Konfrontation mit Russland zu haben. Und da auch hier der Verstand nicht weiterhilft, bestärkt man sich mit einer kreuzdummen, weit verbreiteten Sentenz: Angst sei ein schlechter Ratgeber.

Meistens ist das anders. Angst ist ein offensichtlich überlebenswichtiges Gefühl in der belebten Welt; alle Tierarten, die sich durch Flucht am Leben erhalten, wären ohne sie längst ausgestorben. Und wer an Davids Erfolg gegen Goliath glaubt, muss auch an die unmittelbare Unterstützung Gottes glauben oder an einen gottserbärmlichen Zufall. Am Verstand kann’s jedenfalls nicht gelegen haben.

Bundeskanzler Scholz wird immer wieder gefragt, warum er die Lieferung moderner Kampfpanzer in die Ukraine nicht forciere. Er erklärt ebenso immer wieder, dass er nichts tun werde, was Deutschland oder die NATO in eine direkte Konfrontation mit Russland bringen würde und dass die anderen westlichen Staaten das alle genauso handhaben würden.

Das wird ihm als Angst vorgehalten.

Die Bellizisten aus FDP, Grünen, sogar teils der taz tun im Gegenteil so, als ob Deutschland die Pflicht hätte, diese Panzer zu liefern, auch wenn kein anderer westlicher Staat daran ernsthaft denkt.

Deutschland müsse (!) endlich seine Führungsrolle (!) in Europa einnehmen, es solle endlich seiner Stärke entsprechend (!) auftreten. Seltsame Erinnerungen drängen sich auf: Trumps „Make America great again“ oder die Ambitionen eines ehemaligen deutschen Führers, Deutschland wieder zur Weltmacht hochzurüsten und zu -bomben (was bei den Deutschen damals auch ziemlich gut ankam…).

Unterstützend schwärmt man im ehemaligen „Sturmgeschütz der Demokratie“, dem SPIEGEL, wieder von den Sturmgeschützen des Westens in der Ukraine, von einer „strategischen Meisterleistung“ der Ukraine , von „einer der besten Gegenoffensiven seit dem Zweiten Weltkrieg“, jubelt über die Erfolge der „14. und 92. mechanisierten Brigaden, der 3. und 4. Panzerbrigade“ usw. Endlich darf da jemand wieder seine Begeisterung für Schlachtpläne ausleben und bemüht gar den preußischen General von Clausewitz (dessen Theorien, wie man weiß, Deutschland im Ersten Weltkrieg ja zu grandiosen Erfolgen geführt haben). Alle Zitate tatsächlich nachzulesen in SPIEGEL 38/2022 S. 84ff.

Offensichtlich kehrt die von SPIEGEL-Autor Fichtner beklagte fehlende „Kriegslust“ ziemlich rasant zurück – in einer geradezu besinnungslosen Kriegsverherrlichung. Ein bisschen mehr Verstand – und ein bisschen mehr Angst – wären hier wohl angebrachter.

Wie war das? Selensky hat zwei Tage vor dem Überfall (ja, das hatten wir schon mehrfach, muss aber immer wieder wiederholt werden) keine Anzeichen für eine militärische Aggression gesehen. Das würde Putin nie wagen, war man sich (auch in den Reihen der Waffenlieferungsfans!) absolut sicher.

Er hat es gewagt, obwohl Russland offensichtlich strategisch sehr schlecht vorbereitet war, und rund ein Fünftel der Ukraine besetzt. Nach ein paar Geländegewinnen mit westlicher Militärhilfe träumt man in der Ukraine (und in Teilen der westlichen Welt) gleich davon, die russischen Besatzer aus der Ukraine „rauswerfen“ und alle besetzen Gebiete einschließlich der Krim zurückerobern zu können. Manche halten das unerklärlicherweise tatsächlich für realistisch.

Natürlich weisen die rumpeligen Aktionen Putins (Teilmobilmachung, Referenden) darauf hin, dass Russland tatsächlich in der Defensive ist. Beruhigend ist das nicht.

Mehrfach wurde Putin – zuletzt wieder von Selensky – mit Hitler verglichen. Wenn dieser Vergleich zutreffend ist, wäre es angebracht, sich zu verdeutlichen, wie Hitler mit seiner sich abzeichnenden Niederlage umgegangen ist: Volkssturm, Kampf „bis zum letzten Blutstropfen“ usw. statt Verhandlungsbereitschaft. Rational war das nicht. Und wenn die deutsche Atombombe rechtzeitig fertig geworden wäre, hätte Hitler sie auch eingesetzt.

Putin hat die Atombombe. Aber, da sind sich alle Kriegsbefürworter einschließlich der obersten taz-Strategin Irina Hartwich einig, er wird sie nicht einsetzen. Weil er, so Hartwich, selber Angst davor hat.

Das wäre schon ein erstaunlich rationales Verhalten, das man da dem russischen Führer mit seinen verrückten imperialistischen Weltmachtambitionen aus dem 19. Jahrhundert und angeblichem Hitler-Nachfolger unterstellt.

Aber vermutlich ist es einfach nur die „German Angst“, die solche Überlegungen hervorruft.

80 Millionen Kurzduscher für Lindner und seine Freunde

Alle einzelnen Fakten sind natürlich bekannt. Aber in der Zusammenschau ergibt sich ein gleichermaßen kurioses wie empörendes Bild:

Den Deutschen wird vom (grünen) Wirtschaftsminister empfohlen, sich beim Duschen wie weiland beim Telefonieren „kurz zu fassen“, höchstens einen „Habeck“ (ein „Habeck“ ist 3,5 Minuten) dürfe das Duschen dauern. Der (grüne) Ministerpräsident von Baden Württemberg empfiehlt gar, statt zur Brause zur „guten Erfindung“ des Waschlappens zu greifen.

Regelrecht peinlich wird es, wenn plötzlich allerhand Politiker ihr privates Duschverhalten über die Medien einer breiten Öffentlichkeit nahebringen. Muss man demnächst damit rechnen, über die Einstellung des Wasserverbrauchs ihrer Klospülung aufgeklärt zu werden?

Allen Ernstes: Ausgerechnet die Körperhygiene soll das große Thema beim Energiesparen sein?

Dass sich Politiker von FDP und CDU nicht am hygienischen Moralaposteln beteiligen, wundert nicht. Dem CDU-Vorsitzenden Merz, der mit seinem Privatjet zur Hochzeit seines Freundes und Parteivorstandskollegen Linder auf Sylt einfliegt, würde man es kaum abnehmen, dass er beim Duschen spart, ebensowenig wie letzterem, der gerne mal mit seinem alten Porsche über tempolimitfreie deutsche Autobahnen brettert.

Von solchen Menschen hört man eher die Kritik, dass die Senkung der Mehrwertsteuer auf die Gasumlage den Anreiz zum Energiesparen aufweiche. Als ob sich ein Mensch, der sich die Energiepreise schon jetzt kaum leisten kann, weniger an Heizung sparen würde, wenn seine zukünftige Gasrechnung „nur“ das Dreifache statt das Dreikommafünffache betragen wird. Noch deutlicher kann man seine Abgehobenheit, ja seine Missachtung der armen Schichten in Deutschland kaum demonstrieren.

Die einkommensschwächere Hälfte der Gesellschaft, der man schon die Finanzierung des Sozialsystems aufbürdet, soll jetzt die Abhängigkeit von russischem Gas beseitigen und die Energiekonzerne retten – und nicht diejenigen, die sich jahrzehntelang an genau diesem russischen Gas dumm und dämlich verdient haben.

Leider ist (der Gerechtigkeit wegen!!) es den Konzernen, die gar keine Rettung brauchen, weil sie wegen der Krise ihre Gewinne vervielfacht haben, nicht zu verwehren, sich auch ein ordentliches Stück von dieser neuen Art der Gewinnmaximierung abzuschneiden, selbstverständlich auch keine Übergewinnsteuer. Das wäre (im Gegensatz zur Gasumlage??) ein „staatlicher Eingriff in den Markt“.

Andere staatliche Eingriffe in den Markt gehen dagegen ziemlich problemlos: Dass der Staat beschlossen hat, Kapitalerträge, so hoch sie auch sein mögen, nicht mit dem üblichen Satz für Einkommen zu besteuern sondern höchstens mit 25%, ist ja ein erheblicher Eingriff ins Steuersystem. Kein Eingriff wäre dagegen eine Vermögenssteuer, sondern eher von der Verfassung gefordert: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Gemeinschaft dienen“ (Art. 14/2 GG). Aber mit diesem Verfassungsgrundsatz ernst zu machen, würde ja die „Leistungseliten“ scharenweise ins Ausland treiben (wenn sie bald auch nur noch in die Schweiz, nach Liechtenstein oder Monaco können, da wird’s langsam eng). Dieselbe Folge hätte (laut FDP) eine durchaus systemangemessene Erbschaftssteuer, die den schönen Nebeneffekt hätte, dass sich die Quandts und Flicks usw. nicht mehr völlig lastenfrei in ihren von der Nazi-Generation hinterlassenen Erben suhlen könnten.

Sehr beliebt ist der staatliche Eingriff des „Dienstwagenprivilegs“. Was hat man sich da Tolles einfallen lassen: Firmen stellen ihrem Führungspersonal Dienstwagen zur Verfügung, in der Regel auch für den privaten Gebrauch. Diese werden natürlich als Betriebsausgaben steuerlich abgesetzt. Die Inhaber dieser Gefährte müssen diese „geldwerte Leistung“ ihres Arbeitgebers zwar versteuern, aber zu einem Satz, der allenfalls die Hälfte dessen beträgt, was auf eine entsprechende Einkommenszulage fällig wäre. Den Rest trägt „der Steuerzahler“. Gleichzeitig nützt das der deutschen Autoindustrie, die den weitaus größten Teil ihrer SUVs und „Premium“-Wagen in diesen Marktsegment loswird. Und natürlich den Energiekonzernen, denn diese Autos schlucken nach wie vor kräftig.

Einen solchen win-win-win-win-Eingriff in den Markt kann man doch nicht einfach abschaffen!

Nur über Lindners Leiche (was dieser Gedanke beim Verfasser auslöst, soll hier nicht Thema sein) ginge offensichtlich der GAUF (Größtmöglicher Angriff auf die Freiheit), das Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Das könne man, so die FDP-Spitze, schon allein deshalb nicht machen, weil es nicht im Koalitionsvertrag steht. Nur gut, dass man damals schon in weiser Voraussicht eine Gasumlage reingeschrieben hat…

Aber man muss ja auch gar nichts nicht ändern, schließlich hat man doch die bessere Lösung:

Das Volk soll zum Waschlappen greifen und kürzer duschen.

Der Markt und das Recht

Das Gas wird knapp, der Strom wird knapp, äh, teuer. Aber weil man hierzulande davon ausgeht, dass, was knapp ist, teuer ist, dreht man die Rechnung auch gerne um und schließt, dass, was teuer ist, knapp sein muss. Mit einer Miene, die nur noch unrasierte Bekümmernis ist, gibt der Wirtschaftsminister täglich Sparappelle heraus: Geduscht werden soll nach der neuen Maßeinheit „Habeck“ (3,5 Minuten), Hände sollen nur noch mit kaltem Wasser gewaschen werden, überhaupt soll der Bürger an allem sparen, was Ressourcen verbraucht. Wen will der Wirtschaftsminister damit eigentlich ansprechen? Die überwältigende Mehrheit der Deutschen, denen angesichts einer Verdreifachung des Gaspreises und einer Inflation von über 7 Prozent doch gar nichts anderes übrigbleibt? Oder glaubt er wirklich, dass Christian Lindner jetzt seinen Porsche stehen lässt, seine neue Gattin kalt abduscht und zu seiner nächsten Hochzeit nach Sylt radelt?

Nein, ein kleiner Teil der Gesellschaft wird auch weiterhin die Pools beheizen, mit Privatjets in der Welt umherfliegen und Zwei-Tonnen-Autos mit 240 Sachen über die Autobahn jagen. Um die geht es ja auch nicht. Die Masse an Einsparungen müssen die tragen, die ohnehin schon sparen müssen. Und das tun sie offensichtlich. Großer Jammer in der Aktionärssendung „Wirtschaft vor acht“ in der ARD: Der Konsumklima-Index sinkt! Die Leute wollen weniger einkaufen! Das ist aber ganz arg schlecht für die Wirtschaft!

Auf die Erklärung der Kapitalismus-Freunde in Politik und Wirtschaft, wie die „große Masse“ das denn hinkriegen soll, gleichzeitig zu sparen und weiterhin fröhlich draufloszukonsumieren, darf man sich freuen.

Dafür, dass die von der Krise nicht Betroffenen nicht betroffen sind, sorgen die nicht Betroffenen übrigens selbst. Die Energiekonzerne melden Rekord-Gewinne, weil sie von den hohen Gas- und Kraftstoffpreisen profitieren. Shell macht z.B im zweiten Quartal fünf Mal so viel Gewinn wie im letzten Jahr. Eine staatlich veranlasste Deckelung von Gas- und Benzinpreisen wäre allerdings, laut Finanzminister Lindner, ein „unzulässiger Eingriff in den Markt“. Der regelt das nämlich alles. Drum kann man inzwischen sein Brennholz im Baumarkt auch kiloweise kaufen. Das Kilo zu knapp einem Euro.

So regelt das der Markt .

In Slowenien und Kroatien wird inzwischen der Benzinpreis von den Regierungen festgesetzt: Man nimmt den aktuellen Einkaufspreis, rechnet eine „angemessene“ Gewinnspanne für die Energiewirtschaft dazu und kommt auf einen Benzinpreis von 1,50 Euro pro Liter. Das Benzin, auf demselben Markt eingekauft, kostet bei uns 1,95 Euro.

Nun fragt man sich natürlich: Was machen die Energiekonzerne eigentlich mit diesen Gewinnen? Rücklagen bilden für Krisenzeiten? Vorsorge treffen, um ihr „unternehmerisches Risiko“ (ja, so lehren das die Ökonomen an den Universitäten heute noch) tragen zu können? Nein. Shell, RWE u.a. erhöhen stattdessen die Dividenden, die sie an ihre Aktionäre ausschütten.

Aber da ist doch auch noch was mit Uniper? Die Firma, die aus der Abspaltung der konventionellen Energieerzeugung von EON entstanden ist (das sich immerhin noch 49 Cent Dividende leistet), zahlt nur noch 7 Cent pro Aktie. Im Mai 2021 allerdings, als man noch gute Gewinne machte, betrug die Dividende satte 1,37 Euro. Das und aberwitzige Vorstandsbezüge: Da ist man schnell schon mal pleite, wenn es ein Problem gibt und/oder man sich einfach wirtschaftlich verzockt hat. Macht aber nichts: Man ist ja systemrelevant und lässt sich vom Bürger, ausschließlich vom Bürger über die Gasumlage und Steuergelder mit rund 35 Milliarden „retten“.

So regelt das der Markt.

Falls jemand auf die Idee kommen möchte, dennoch in diesen „Markt“ einzugreifen, z.B. indem man die krisen- und kriegsbedingten Zusatzgewinne extra besteuert, hat seine Rechnung ohne den wichtigsten Helfer des Kapitalismus gemacht: das Recht. In Deutschland muss Gleiches gleich behandelt werden, wird man belehrt. Möchte man die „Übergewinne“ der Energieriesen besteuern, müsste man das auch mit den Gewinnen von Biontech, Wärmepumpenherstellern usw. tun, erklärt Lindner spitzfindig. Ohne das Problem zu erklären: Glaubt er, dass die die Lust am Weiterarbeiten verlieren würden, wenn sie nur noch ihre „normalen“ Milliardengewinne einstreichen können?

Interessant ist dieser Grundsatz auch in einem anderen Zusammenhang:

Wenn Banker, die den Staat um 47 Millionen betrügen, diese nicht einmal zurückzahlen müssen, während eine Kassiererin, die ihr nicht gehörende Getränkebons im Wert von 1,30 Euro einlöst, fristlos gefeuert werden darf, erklärt sich das so, dass die beiden Fälle wirklich nicht zu vergleichen sind.

Mähliche Gewöhnung

Es ist deutlich stiller geworden um den Ukraine-Krieg, und das war auch zu befürchten:

Putin verfolgt offensichtlich die Strategie, die Welt an den Krieg zu gewöhnen, trotz allen Gemetzels, und baut wohl auch (zu Recht) auf zunehmende Uneinigkeit in der Welt angesichts der wirtschaftlichen Probleme, die die Sanktionen mit sich bringen.

Dass Russland trotz gegenteiliger Propaganda im Westen wieder Gas liefert, wenn auch in reduziertem Umfang (und damit übrigens auch ein bisschen dazu beiträgt, die deutsche Rüstungsindustrie am Laufen zu halten), dürfte zu dieser Strategie gehören: Sich als einigermaßen verlässlicher Partner zu erweisen und gleichzeitig der Kriegs- und Sanktionssituation Rechnung zu tragen. Natürlich gibt es dabei auch das Signal: Wenn der Westen massive Sanktionen verhängt, wird Russland nicht brav weiterliefern wie vorher. Ob diese ominöse Turbine da ein Vorwand ist oder wirklich eine Rolle spielt, ist eigentlich egal.

Ins selbe Bild passt der Getreide-Kompromiss: Russland präsentiert sich als kooperativ und verantwortungsbewusst, weniger als Kriegspartei.

Aber auch die westliche Politik trägt zur Sedierung der Weltöffentlichkeit bei:

Der Westen liefert weiterhin Waffen an die Ukraine, allerdings keine, die Putin wirklich Angst machen. Nur solche, die ihn ärgern und ihn zwingen, einen Verschleißkrieg zu führen – also einen, der Russland schwächt, aber sicher nicht davon abhalten wird, den Donbass und weitere Regionen der Ukraine (die amerikanischen Raketen mit längerer Reichweite sind da natürlich ein willkommener Vorwand) zu besetzen – auch wenn die britischen Geheimdienste in „nie vorher erlebter Offenheit“, wie sich die westlichen Medien freuen, seit Wochen den Zustand der russischen Armee als dermaßen marode schildern, dass man den Eindruck bekommt, Putin könne nur noch Greise, Volltrunkene oder erwischte Fahnenflüchtige für den Kriegseinsatz rekrutieren. Die „nie erlebte Offenheit“ ist wohl eine Propagandalüge von wahrhaft (sic!) Johnsonschen Ausmaßen.

Der ukrainische Schauspieler-Präsident hat inzwischen ebenfalls seine Strategie geändert. Sein bisheriges Ziel, die NATO in diesen Krieg hineinzuziehen, das er mit diversen Forderungen verfolgt hat (Sperrung des Luftraums, Waffenlieferungen bis kurz vor der Atombombe, Sicherung von Exportschiffen im Schwarzen Meer ausschließlich durch NATO-Schiffe) hat er offensichtlich aufgegeben, was die Entlassung seiner härtesten Lautsprecher wie u.a.den ehemaligen deutschen Botschafter Melnyk zeigt. Nach dem Propaganda-Erfolg, sich „Beitrittskandidat zur EU“ nennen zu dürfen, hat er sehr schnell auch die Taktik, sich dem Westen anzunähern oder zumindest anzubiedern fallengelassen: Nach der Gleichschaltung von Politik und Medien nimmt er sich jetzt offensichtlich den Staatsapparat vor und besetzt die Schlüsselstellen mit eigenen Gefolgsleuten.

Nach der Legende, die Ukraine verteidige als demokratischer Staat nicht nur die Werte, sondern gleich die ganze Europäische Union und habe es deshalb „verdient“, dort aufgenommen zu werden (ein spannendes neues Aufnahmekriterium) wird die neue Fassung demnächst lauten, dass nur eine starke Ukraine unter einer starken Führung Putin in die Schranken weisen könne und man da schon mal auf die eine oder andere demokratische Gepflogenheit verzichten müsse…

Mit dieser innenpolitischen Ausrichtung eröffnen sich der Ukraine natürlich auch andere Partnerschaften. Vor allem solche, die an den zuerst verschämt, allmählich aber immer deutlicher zur Kenntnis genommenen ukrainischen Kriegsverbrechen („aber nicht so schlimm wie die russischen“) kaum Anstoß nehmen.

Das ist bitter: Putin wird Erfolg haben. Er wird davon absehen, die Ukraine ganz zu besetzen (als „Zeichen guten Willens“) und auf den Energiehunger und den Egoismus der kapitalistischen Staaten bauen können.

Und während der unsägliche SPIEGEL-Autor Ullrich Fichtner in einem Beitrag, in dem er sich allen Ernstes auf Bertolt Brecht beruft, von sich gibt, den Deutschen sei durch ihren Wohlstand die „Kriegslust“ (!) abhanden gekommen, ist nicht zu erwarten, dass die Deutschen oder irgendwer sonst wenigstens die Maßnahme, die B. Brecht wirklich empfiehlt, bereit sind durchzuhalten.

Nachzulesen in B.Brecht: „Maßnahmen gegen die Gewalt“.

Kriegs-, Geld- und Parteihelden

In Russland werden reihenweise Oligarchen umgebracht oder bringen sich, so liest man, selbst um. Sie werden ihre Gründe haben. Schließlich wissen sie, wie sie in der postsowjetischen Zeit ihre Milliarden angehäuft haben.

Derweil drängt die Ukraine heftig in die EU. Die Ukraine ist Opfer eines spätimperialistischen Überfalls durch Russland. Das kann und muss Vieles erklären.

Taugt das aber wirklich als Rechtfertigung, dass der ukrainische Präsident und besonders der ukrainische Botschafter in Deutschland die ganze Welt mit weniger diplomatischen als mit rüpelhaften Worten abkanzeln wie dumme Schulbuben, wenn die Waffenlieferungen nicht so rollen, wie sich die Ukraine das wünscht?

Taugt das wirklich als Rechtfertigung dafür, das ukrainische Fernsehen gleichzuschalten (es gibt nur noch einen Sender unter Aufsicht der Regierung)?

Taugt das wirklich als Rechtfertigung dafür, „russlandfreundliche“ Parteien verbieten zu können (insbesondere die größte Oppositionspartei), und das von EINEM Gericht innerhalb von vier Wochen?

In Deutschland, dem so mittigen Land der EU, in die die Ukraine so dringend möchte, stricken Schulkinder Schals für Ukraine-Basars, jeder Sportverein führt Sammelaktionen durch, da kommen insgesamt doch ein paar hunderttausend Euro zusammen.

Gänzlich unberührt von all dem ist eine soziale Gruppe, die es schafft, auch medial außen vor zu bleiben: Die ukrainischen Oligarchen. Das sind Leute, die, genauso wie die russischen, deren Jachten man jetzt beschlagnahmt, Milliardengeschäfte unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gemacht haben. Die Forbes-Liste führt gut ein Dutzend mit einem persönlichen Vermögen von mehreren Milliarden auf.

Dass diese die Politik der Ukraine seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion maßgeblich bestimmen, mag ja nicht einmal die ukrainische Regierung bestreiten. Entweder im Hintergrund oder direkt an der politischen Front. Ein paar Beispiele:

Ein Herr Juschtschenko, streng antirussisch und von den USA unterstützt, zerstritt sich zunächst mit seiner Ministerpräsidentin Julia Tymoschenkow (Man erinnert sich? Das war die Dame, die mit ihrem blonden Zopfkranz auftrat wie die Unschuld vom Lande, allerdings einen dreistelligen Millionenbetrag mit „Ölgeschäften“ zusammengeklaut hatte). Eingeknastet und angeblich oder wirklich vergiftet (man weiß es ja wirklich nicht) gab sie den ukrainischen Nawalny.

Darauf folgte bei immer dubioseren Wahl-Inszenierung ein von Russland gestützter Herr Janukowytsch, der abgelöst wurde von dem direkten Milliardärsgauner Poroschenko, der seine Milliarden mit Öl, Rüstung und vor allem Schokolade gemacht hat und die Ukrainer hoffen ließ, er würde mit seinem persönlichen Vermögen für ihren Wohlstand sorgen. Der war in den USA sehr gemocht…

Aktuell mag es ja sein, dass Selensky wegen seiner Beliebtheit als Schauspieler und Komödiant gewählt wurde. Ohne gewaltige finanzielle Unterstützung wird das aber auch nicht funktioniert haben.

Wenn in dieser Situation jetzt Populisten wie Ursula von der Leyen oder der polnische Ministerpräsident Morawiecki fordern, man müsste den Aufnahmeprozess der Ukraine in die EU beschleunigen, kann man Olaf Scholz für seine „Zögerlichkeit“, die ihm so rundum vorgeworfen wird, nur danken. Mitglieder, die die EU bei fast jeder Frage praktisch handlungsunfähig machen, hat diese doch schon genug – vor allem im Osten.

Wie hat die kluge Taz-Journalistin Ulrike Hermann so treffend formuliert:

„Die Ukraine hat Anspruch auf Solidarität und Unterstützung, aber nicht auf Verherrlichung!“

Eine besonders üble Form von Parteipopulismus betreibt inzwischen die neue CDU-Hoffnung Merz: Deutschland solle viel schneller schwere Waffen in die Ukraine liefern, auch das verzögere Scholz absichtlich.

Hat Merz in seiner langen politischen Auszeit als Finanzmanager nicht mitgekriegt, dass (schon vor dem Ukraine-Krieg) die Ausrüstung der Bundeswehr – nach eigener Aussage – allenfalls zu 50% einsetzbar war? Der Rest war Schrott oder in der Werkstatt. Nach 16 Jahren CDU-geführtem Verteidigungsministerium. Das lag übrigens nicht daran, dass man, wie oft zu lesen ist, die Bundeswehr in dieser Zeit „kaputtgespart“ hätte – im Gegenteil: Man hat sie doch förmlich mit Geld zugeschüttet, nur hat sie es nicht geschafft, mit diesem Geld Vernünftiges (so man das bei Waffen überhaupt sagen kann) anzuschaffen. Kam ja offensichtlich nicht so drauf an…

Da werden die 100 Milliarden Sonderschulden so wenig daran ändern wie die zwei Nato-Prozent. Man darf sich schon fragen, ob es eine sinnvolle Strategie ist, einem Unternehmen, das es nicht schafft, mehr als die Hälfte seiner sündhaft teueren Ausrüstung in Schuss (blödes Bild!) zu halten, nochmal mengenweise Geld nachzuwerfen.

Merz Forderung müsste man ehrlicherweise so beantworten: Die Bundeswehr hat nichts Funktionierendes zum Hergeben (außer alten DDR-Beständen!).

Ob es besonders verantwortungsvoll ist, Scholz dazu aufzufordern, in dieser Frage öffentlich schnell Klarheit zu schaffen?

 

Gelegentlich sei hier der Hinweis erlaubt, dass es im benachbarten Literaturblog deutlich entspannter zugeht. Ist auch wichtig:

http://www.textbruch.de

Hätte man nicht sehen können…? Nein, hätte man nicht.

Es ist, mit Verlaub, zum Kotzen, wie jetzt vor allem bestimmte Journalisten und Politiker mit dem Ukraine-Desaster umgehen. Alle haben es schon immer gewusst, alle haben schon immer gewarnt und suchen jetzt sehr pointiert nach den Schuldigen, die diese Warnungen in den Wind geschlagen hätten: Die SPD, Steinmeier und Merkel besonders.

Das ist, wieder mit Verlaub, eine widerliche Heuchelei. War es nicht die CDU, die schon Helmut Kohl auf seinen Reisen als oberster deutscher Handelsvertreter nach Moskau begleitet hat, unterstützt von der FDP? Und nach Peking! Wo waren denn die großen Warnungen vor den verstärkten Wirtschaftsbeziehungen? Im SPIEGEL etwa, der jetzt natürlich auch schon alles gewusst hat?

Nordstream 2 wurde doch auch im ganz großen Konsens unterstützt – bis massive Kritik aus den USA kam, der sich dann sich aufwärmende kalte Krieger plötzlich nur zu gerne anschlossen.

Selbst der hier als heldenhafter Verteidiger von Freiheit und Demokratie gefeierte ukrainische Präsident Selenskyj hat noch ZWEI Tage vor dem russischen Einmarsch erklärt, er sehe dafür keine Anzeichen und keinen Grund zu besonderer Beunruhigung.

Dass der inzwischen die gesamte ukrainische Presse gleichgeschaltet hat und zum Kriegsdienst verpflichtete männliche „Republikflüchtlinge“ erschießen lässt („Es wurden männliche Leichen in grenznahen Gewässern aufgefunden“) wird immer mal online in diesen demokratischen Medien berichtet – bis es sehr schnell wieder gelöscht wird. Mit viel Mühe kann man das noch aus der Kriegssituation heraus begreifen. Im Krieg geht es halt nicht um Menschenrechte. Und die Fiktion eines „sauberen“ Krieges unter Einhaltung der kriegsrechtlichen Vorschriften ist ohnehin völlig absurd.

Nun reagiert die NATO erstaunlich besonnen und lässt sich nicht, wie Selenskyj das immer wieder gefordert hat, in einen Weltkrieg hineinziehen. Seitdem gefällt der sich in der Pose des Retters des Abendlandes und glaubt, nahezu uneingeschränkte Forderungen an den Rest der Welt stellen zu können. Und das sogar mit einem gewissen Recht: Der Westen hält sich aus der direkten Konfrontation mit Russland heraus – also muss tatsächlich die Ukraine, d.h. vor allem die ukrainische Bevölkerung diese ganze Sauerei ausbaden. Also soll der Westen wenigstens zahlen und Waffen liefern. Wobei zu befürchten steht, dass das den Krieg nur endlos verlängert und die Zahl der Opfer fürchterlich in die Höhe treibt, denn das ist mangelnder Realitätssinn: Zu glauben, dass sich der Durchgeknallte im Kreml von Verlusten in den eigenen Reihen zu ernsthaften Friedensgesprächen drängen ließe, bevor er nicht mindesten den gesamten Donbass an Russland gebunden hätte. Andererseits, und da hat Habeck ja auch Recht, kann man natürlich tatsächlich nicht zusehen, wie Putin mit diesem irrsinnigen Vorhaben Erfolg hat.

Eine tatsächlich ziemlich ausweglose Situation.

Die nicht besser wird dadurch, dass jetzt die große Welle der Selbstbezichtigungen und Entschuldigungen durch die deutsche Politik läuft (Steinmeier, Kubicki, von dem man nicht einmal erwarten konnte, dass der diesen Begriff überhaupt in seinem Wortschatz hat.) Ex-Kanzlerin Merkel weigert sich, sich dieser Entschuldigung anzuschließen. Und sie hat Recht:

Was hätte man denn alternativ nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion tun sollen? Weitere 40 Jahre Kalter Krieg, Hochrüstung, Leben auf dem Pulverfass? Es war doch richtig, auf Zusammenarbeit und partnerschaftlichen Austausch zu setzen. Dass irgendein Wahnsinniger das dann alles platzen lässt, macht doch diese Politik im Kern nicht falsch.

Trotz dieses Fehlschlags muss auch in Zukunft das Prinzip der Politik bleiben:

Kriege müssen nicht geführt, sie müssen verhindert werden.