Der Schnörpfl

Was für ein seltsames und außergewöhnlich hässliches Wort, werden jetzt die meisten von euch denken und selbst diejenigen, die sich an der lexikalischen Vielfalt des fränkischen Dialekts normalerweise erfreuen, müssen zugeben: Schön ist das nicht.

Schön ist auch nicht, dass es für dieses Wort nur eine höchst unpräszise Inhaltsseite, sprich, eine nur vage definierte Bedeutung gibt:

Ein Schnörpfl ist im Fränkischen immer etwas, das zwar mit seinem Stammkörper fest verbunden ist, aber immer von ihm wegstrebt und irgendwie instabil, beweglich ist. Einen Schnörpfl aus Eisen z.B. gibt es meines Wissens nicht:

Hat ein Beutel eine Schlaufe als Griff, ist das eine Schlaufe oder ein Griff. Hat er aber nur einen Stoffstreifen, kann man ihn an diesem Schnörpfl fassen. Eine Metallstange an einem Topf bleibt ein Griff und ist nie ein Schnörpfl.

Ein typischer Schnörpfl ist auch das Mundstück am Luftballon. Man kann ihn da fassen und es bleibt ein Schnörpfl, selbst wenn es heftig verknotet ist.

Auch ein bestimmtes männliches Körperteil kann ein Schnörpfl sein, solange es die Kriterien der großen Instabilität und Beweglichkeit erfüllt.

Man sieht: Immer taugt ein Schnöpfl zum Anfassen. Man kann seinen Stammkörper daran hochheben, wegziehen, durch die Luft schleudern etc.

Dass aus einem Schnörpfel unter bestimmten Umständen etwas anderes wird, zeigt das Beispiel vom männlichen Körperteil. Dass aus etwas anderem auch ein Schnörpfl werden kann, dafür hat eine dieser tief durchdachten EU-Richtlinien gesorgt:

Irgendein gelangweilter Europa-Politiker muss einen der ganz seltenen Fälle beobachtet haben, in dem ein Mensch den Schraubverschluss einer Flasche abgedreht, die Flasche leergetrunken und dann die leere Flasche und den abgedrehten Schraubverschluss an verschiedenen Orten abgelegt hat.

Das muss unterbunden werden, dachte sich der Politiker, drohe doch die Gefahr, dass sich der Verschluss ob seiner Unscheinbarkeit – getrennt von der Flasche – dem eigentlich auch für ihn vorgesehenen Recycling-Prozess entzöge.

Flugs entwarf er das Schnörpfelschöndranbleibgesetz, das Flaschenabfüller verpflichtet, den auch abgedrehten Schraubverschluss mittels eines Plastikbandes untrennbar mit dem Flaschenkörper zu verbinden, wo er nun rumhängt oder -wippt und zusammen mit seinem Plastikband einen 1A Schnörpfl bildet.

So weit, so gut. Allerdings erhoben sich alsbald landauf, landab Klagen über den nun europaweit sein Unwesen treibenden neuen Schnörpfl.

Da ist die Rede von unschönen und schmerzhaften Kratzern an der Wange beim Versuch, aus der Flasche zu trinken, von sabbernden Bartträgern, weil sich der Flaschenschnörpfl in den Barthaaren verheddere und so die Flaschenöffnung vom aufnahmebereiten Mund reiße, von Nasenbluten gar, weil sich ein hervorstehendes scharfkantiges Plastikteilchen in der Nasenscheidewand verhakt habe.

Erzählt wird von mit Milch überschwemmten Frühstückstischen, weil der Tetrapack-Schnörpfl direkt in den Strom der ausgegossenen Milch gerutscht sei und von safttriefenden Kühlschränken, weil es fast niemandem gelänge, den an arg kurzer „Leine“ fixierten Flaschenverschluss wieder korrekt aufzusetzen.

Vermutlich wurde durch dieses Gesetz erheblicher, durch achtlos weggeworfene Flaschenverschlüsse verursachter ökologischer Schaden abgewendet. Allerdings fielen in den Ländern, in denen es in Kraft gesetzt wurde, die Menschen im Glücklichkeitsranking um etliche Plätze zurück.

Deswegen, wird in üblicherweise gut informierten Kreisen gemunkelt, arbeiten Küchenutensilienhersteller wie Fa**elmann bereits an einer unauffälligen Flaschenöffnungshilfe, die beim Aufdrehen des Verschlusses ganz zufällig das Fixierungsband durchtrennt und so aus dem Schnörpfl wieder einen freien, dreh- und wegwerfbaren Flaschenverschluss macht. Die Nachfrage nach Patent und Produktionsmaschine soll riesig sein.

Viele Leute erklärten auf Befragung, sie hätten den Flaschenverschluss nach Entleeren der Flasche bewusst abgedreht, weil sie befürchteten, er würde beim Reinigen oder Recyclen Probleme machen. Vielleicht hätte eine kleine Aufklärungsbroschüre ja auch gereicht, um das Problem zu beseitigen. Aber das wäre nur die zweitbeste Lösung gewesen: Schließlich gäbe es dann die vielen neuen Arbeitsplätze nicht und auch nicht das neue wohllautende Gesetz (das ehrlicherweise in Analogie zum „Gute-Kita-Gesetz“ und „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ frei erfunden wurde).

Kein Scherz, aber ein schlechter

Natürlich denkt man zuerst, jetzt habe der FDPler mit dem größten Schaden an der Waffel auch mal was sagen dürfen und das vermutlich in volltrunkenem Zustand:

Kostenlose Autoparkplätze in den Innenstädten, weniger Fußgängerzonen und Fahrradstraßen, so der „Zukunftsplan“ der FDP.

So voll zurück in die 60er, dass selbst der immer abgasbenebelte ADAC sich mit den Vorschlägen nicht richtig anfreunden kann: Radfahrer und Fußgänger sollten natürlich AUCH ihre Berechtigung in den Innenstädten haben.

Ansonsten hielten die meisten Kommentatoren diesen „Plan“ entweder für einen schlechten Witz oder eine individuelle Entgleisung, wohl auch verleitet durch die eigenartige Scheinlogik in der Begründung: Dem Einzelhandel ginge es besser, wenn Autos umsonst in den Innenstädten parken dürften. Richtig. Den Autobauern ginge es theoretisch auch besser, wenn sie für ihre Verbrenner nicht so lästige – und nur teuer zu umgehende – Umweltauflagen erfüllen müssten und die Bauern hätten es auch leichter, wenn sie tonnenweise Pestizide legal auf ihren Feldern ausbringen dürften.

Vermutlich aber glaubt diese Logik noch nicht einmal die FDP selbst: Man mag sich die von Autos verstopften Innenstädte am Samstagmorgen ja gar nicht vorstellen, und sowohl den Auto- wie auch den Rübenbauern liefe wohl letztlich die Kundschaft weg.

Dass der „Plan“ jetzt kurz vor den Landtagswahlen im Osten und vom Generalsekretär verkündet wurde, dürfte allerdings wohlkalkuliert – und Ausdruck der puren Verzweiflung der FDP sein:
Die Umfragewerte der Partei im Osten sind eine Katastrophe und man kann nicht damit rechnen, liberaldemokratisch denkende Menschen zur Stimmabgabe für sie zu bewegen. Also hat man offensichtlich beschlossen, verstärkt in ganz trüben Gewässern zu fischen, im Wählerpotential der AfD. Dort tummeln sich neben Nationalisten (was Teilen der FDP ja auch ganz nahe liegt) besonders viele Klimaleugner und Grünen-Feinde. Anders als im Westen sieht sich die FDP hier auch genötigt, die Politik „für den kleinen Mann“ zu entdecken, kurz, sich als die bessere AfD zu verkaufen.

In denselben Gewässern fischt neuerdings ja auch das BSW. Traurigerweise reicht das Stimmenpotential eigentlich für alle drei, aber es ist nicht zu erwarten, dass die Menschen im Osten der FDP ihr neu entdecktes soziales Bewusstsein abkaufen – zumal diese auf Bundesebene ja weiter eine erhebliche Kürzung des Bürgergelds fordert.

Für die Parteien des demokratischen Spektrums kann die Lehre aus diesem Vorstoß nur sein: Es ist nicht klug, sich auf Koalitionen mit einer Partei einzulassen, deren einziger politischer Programmpunkt das eigene Überleben ist, koste es, was es wolle.

Auch auf Bundesebene scheint ein wahltaktisches Manöver eingeleitet zu sein: Mit Vorschlägen, die auf direkte Konfrontation mit den Koalitionspartnern aus sind, entzweit man die Koalition bewusst immer mehr, um sie (möglichst kurz vor der Wahl, dann steht man auch nicht als „Kanzlermörder“ da) platzen zu lassen. Dann kann man aus der Opposition heraus die „verantwortungslose“ Politik von SPD und Grünen anprangern und als vermeintlicher Retter der „bürgerlichen Freiheiten“ wahlkämpfen.

Wie war das noch einmal? Lieber nicht regieren als schlecht regieren? Die FDP 2024 ist einen Schritt weiter, das muss man erst einmal hingekommen: Gleichzeitig schlecht UND nicht zu regieren…