Man erinnert sich: Vor der Bundestagswahl 2021 lagen die Grünen in Meinungsumfragen zeitweise bei knapp 23 Prozent, ein grüner Kanzler/eine grüne Kanzlerin schien durchaus im Bereich des Möglichen. Die Grünen entschieden sich für Annalena Baerbock als Kandidatin, der in der Bevölkerung deutlich angesehenere Robert Habeck hatte das Nachsehen. Das dürfte mit ein Grund dafür sein, dass das Wahlergebnis mit 14,8% für die Grünen eher ernüchternd ausfiel. Die für Außenstehende ohnehin manchmal befremdlich erscheinenden Entscheidungsprozesse bei den Grünen ergaben anschließend, dass Baerbock das Außen-, Habeck das Wirtschaftsministerium übernahm. Beides gerade in Krisenzeiten tatsächlich schwergewichtige Funktionen.
In den ersten Monaten der neuen Ampelkoalition passierte nun Erstaunliches: Baerbock verkündete eine „wertegeleitete, feministische Außenpolitik“. Bald zeigte sich, wie sie diese Attribute umzusetzen gedachte:
Laut, schrill, oft unangenehm schulmeisterlich und (vorsichtig ausgedrückt) wenig diplomatisch erklärte sie der Welt, dass sie und die Bundesrepublik Deutschland nichts mehr dulden würde, was nicht ihren Wertvorstellungen entspräche. Natürlich war Putin erstes Angriffsziel ihrer Politik, und natürlich inhaltlich korrekterweise. Ihre vorschnelle und auch vorlaute Forderung nach Lieferung einer großen Zahl von Kampfpanzern an die Ukraine zerschellte allerdings am besonnenen Bundeskanzler, den die Mehrzahl der deutschen Medien deshalb als „zögerlich“ oder „ängstlich“ abwertete.
Dieselben Medien zeigten sich sehr erfreut über die Außenministerin, die „klare Kante“ zeige und so die von ihr definierten Prinzipien von Außenpolitik konsequent verfolge.
Tut sie das wirklich?
Beim allgemeinen Rätselraten, wie man sich ihre „feministische Außenpolitik“ vorzustellen habe, konnte man doch zumindest erwarten, dass sie ihren außenpolitischen Furor nicht nur gegen Putin, sondern auch gegen Staaten richtete, bei denen Frauen systemisch unterdrückt, ausgebeutet, misshandelt werden. Zielobjekte gäbe es da auf der Welt genug. Nichts dergleichen passiert. Und selbst für die Frauen im Iran, die gerade unter Einsatz ihres Lebens versuchen, ein strukturell frauenverachtendes Regime zu stürzen, gibt es außer ein paar warmen Worten und halbherzigen Sanktionen gegen ein paar Köpfe der Regierung keine Unterstützung. Offensichtlich ist der Erhalt eines gegen alle vorgeblichen Zielen der neuen deutschen Außenpolitik verstoßendes, aber in Schach zu haltendes Mullah-Regime im Nahen Osten als „Stabilitätsfaktor“wichtiger als alle Frauen- und Menschenrechte.
Inzwischen häufen sich die Fälle, bei denen Baerbock lernt, dass Außenpolitik halt oft andere Aufgaben hat als die von ihr selbst gesetzten Leitlinien durchzusetzen, die Verfolgung von Staats- oder Bündnisinteressen zum Beispiel.
Allerdings gibt es auch Beispiele, wo es doch erfreulich wäre, die groß herausposaunten Werte erst einmal im eigenen Haus zu praktizieren:
Unter Merkel wurde mit Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika, in der zigtausende Menschen umgebracht, indigene Völker fast ausgerottet wurden, ein geradezu erbärmliches Abkommen zur „Wiedergutmachung“ ausgehandelt: Namibia soll im Verlauf von 30 Jahren (!) 1,1 Milliarden Euro erhalten. Macht 37 Millionen im Jahr (zum Vergleich: Der Jahreshaushalt der „kleinen Großstadt“ Würzburg mit seinen 127000 Einwohnern beträgt 2022 rund 600 Millionen Euro, also rund das 16-fache). Forderungen aus Namibia, über diese Frage neu zu diskutieren, wurden vom ach so wertegeleiteten Außenministerium mit der Aussage, das Abkommen sei „abschließend ausgehandelt“, kühl abgeschmettert.
Dennoch genießt Baerbock zumindest in den deutschen Medien einen hervorragenden Ruf. Kann es sein, dass das an der derzeitigen, in Politik und Gesellschaft festzustellenden egoistischen Durchsetzungs- , fast möchte man sagen „Haudrauf“-Mentalität liegt, zu der Baerbocks Politikstil recht gut passt?
Den nachgerade gegenteiligen Stil praktiziert Wirtschaftsminister Robert Habeck und erntet dafür in den Medien und in der Öffentlichkeit von allen Seiten Prügel. Sicher, die Entwürfe aus seinem Ministerium z.B. zur Gaspreisbremse waren, sowohl was den Bürokratieaufwand wie auch die soziale Gerechtigkeit betrifft, suboptimal. Dabei wird aber übersehen, dass es Finanzminister oder, hier besser gesagt, FDP-Vorsitzender Lindner ist, der eine sozial gerechte Politik aus einem Guss geradezu penetrant verhindert. Wie soll eine vernünftige Politik gelingen, wenn der Vorsitzende dieser 8%-Partei regelmäßig darauf besteht, dass bei allen staatlichen Maßnahmen Reiche und Superreiche proportional zu ihrem Vermögen genauso profitieren wie die ärmsten in der Gesellschaft, also um ein Vielfaches mehr?
Ähnlich wie Außenministerin Baerbock sah sich Wirtschaftsminister Habeck als Kabinettsneuling vor echte Jahrhundertaufgaben gestellt: Nach den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie galt und gilt es, die Energieversorgung zu sichern.
Habeck hat sich dafür entschieden, die ausfallenden Gaslieferungen aus Russland kurzfristig zu kompensieren – durch Sparmaßnahmen und durch Gaskäufe überall in der Welt, auch bei fragwürdigen autoritären Regimen in der arabischen Region. Besonders die angedeutete Verbeugung vor dem Handelsminister von Katar wurde als „Schmach“, „Unterwürfigkeit“ usw. getadelt.
Prügel für Habeck kommen von vielen Seiten, ernstzunehmende Vorschläge für Alternativen nicht:
Die natürlich richtige Forderung nach beschleunigtem Ausbau der erneuerbaren Energien wird dem Mangel in den nächsten ein, zwei Jahren nicht abhelfen können. Und auch der Vorschlag der Dreifachpullover- und Waschlappenfraktion, einfach die Heizungen runterzudrehen, ist doch arg oberflächlich: Zwar wird immer hübsch verschleiernd erklärt, dass 60% der Energie im privaten Bereich für das Heizen benötigt werden, wieviel das aber vom gesamten Energieverbrauch unter Einbeziehung von Verkehr, Industrie, Handel etc. ausmacht, ist kaum zu eruieren. Dazu kommt, dass auch im privaten Bereich das Heizung-Sparen nur teilweise umsetzbar ist: Menschen haben ein sehr unterschiedliches Wärmebedürfnis: Während der eine bei 22° Raumtemperatur über die „Hitze“ stöhnt, empfindet der andere 19 Grad in Wohnräumen als krankmachend. Und natürlich braucht ein dünner alter, sich nur noch wenig bewegender Mensch viel mehr Wärme als ein junger fitter. Babys und Kleinkinder übrigens auch.
Ein Verzicht auf Gasnachkäufe hätte mit Sicherheit erhebliche wirtschaftliche und damit auch gesellschaftliche Folgen: Neben der Unzufriedenheit wegen kalter Wohnungen trotz hoher Energierechnungen dürfte ein nicht zu vermeidender Anstieg der Arbeitslosigkeit für erhebliche Unruhen sorgen.
Nicht diskutieren muss man über den dümmsten Vorschlag aus den rechten gesellschaftlichen Kreisen: Man solle doch einfach Nordstream 2 aufmachen. Als ob Putin Deutschland dann wieder zuverlässig mit Gas beliefern würde…
Aber gerade diesen Gruppen könnte bei steigender Unzufriedenheit erhebliches und wirklich gefährliches Potential zuwachsen.
Bei allem Ärger über SPD und Grüne, die sich von Lindner am Nasenring herumziehen lassen und bei aller verständlichen Sorge, dass man sich doch wieder gemütlich mit dem neu gekauften Gas einrichtet, statt die Energiewende zu beschleunigen: Es gibt zurzeit zu Habecks Politik keine kurzfristige Alternative. Und wenn der Minister es schafft, Deutschland in seinen ersten eineinhalb Regierungsjahren einigermaßen unbeschadet durch diese schwere Krise zu bringen, hat er keinerlei Häme verdient. Sondern Lob.