Schon in der Steinzeit gingen, was „Kriegslustige“ (die Formulierung von SPIEGEL-Fichtner sitzt tief!) gerne als Argument anführen, Menschen mit Knüppeln aufeinander los, um sich gegenseitig Ressourcen abzunehmen.
Im Mittelalter war das kaum anders, statt Knüppeln verwendete man jetzt Schwerter oder auch Mistgabeln. In den „gehobenen“ Gesellschaftsschichten zivilisierte man den Konflikt allerdings und gab sich allerlei Regeln für „ritterlichen“ Kampf.
Die wurden spätestens im 30-jährigen Krieg vergessen und man metzelte wild und ungezügelt drauflos.
Bei diversen „Friedenskonferenzen“ in Den Haag und Genf rund um 1900 herum begann man absurderweise, Regeln für den Krieg aufzustellen, z.B. im 1899 verabschiedeten Zweiten Haagener Abkommen „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs“, das u.a. das Verbot des Einsatzes von Giftgas festschrieb.
Schon im ersten Weltkrieg haben die Kriegsparteien alle diese Regeln gebrochen, sobald sie dazu technisch in der Lage waren: im zweiten kam dann die gezielte Barbarei gegenüber Zivilpersonen dazu, welche durch die Genfer Konventionen von 1949 „verboten“ wurde.
In ALLEN Kriegen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Regeln gebrochen, besonders im Vietnamkrieg durch die Amerikaner und teilweise aktuell durch die Russen in der Ukraine.
Es war und ist nichts anderes zu erwarten: Es ist kaum denkbar, dass man Menschen, die man z.B. in den vietnamesischen Dschungel schickt mit dem Auftrag, möglichst viele Vietnamesen (korrekter: vietnamesische Soldaten – aber macht das wirklich einen so großen Unterschied?) zu töten und damit dem höchsten Wert jeder Zivilisation, dem Respekt vor dem menschlichen Leben, abzuschwören, gleichzeitig dazu bringen kann, andere moralische oder rechtliche Regeln strikt zu befolgen. Ein Mensch, den man dazu zwingt, die Achtung vor menschlichem Leben aufzugeben und der natürlich weiß, dass sein Leben genauso missachtet wird, kann schwerlich ein moralisch handelndes Wesen bleiben.
Darum geht es den Staatsfunktionären, die solche Abkommen treffen, auch gar nicht, sonst würden sie sich keine solchen „Gebrauchsanleitungen“ für die Kriegsführung ausdenken. Es geht darum, Kriege, von denen man sich ja immer erhofft, dass etwas für die eigene Seite herausspringt, ideologisch führbar zu machen, indem man sie mit einem Mäntelchen aufklärerischer Humanität schmückt – wohl wissend, wie verlogen das ist.
Die moralische Befriedigung, Kriegsverbrecher auf völkerrechtlicher Grundlage verurteilen zu können, ergibt sich ohnehin nur auf der Seite des Siegers und erst dann, wenn das menschenverachtende Gemetzel vorbei ist. Theoretisch könnte natürlich ein siegreiches Land auch die Kriegsverbrecher in den eigenen Reihen so zur Verantwortung ziehen. Theoretisch. Der amerikanische Massenmörder Calley, der in Vietnam das Dorf My Lai niederbrennen ließ und zusammen mit nie angeklagten Kollegen hunderte von Frauen und Kindern umbrachte, wurde ein Jahr nach seiner „offiziellen“ Verurteilung begnadigt und führte anschließend ein unbehelligtes großbürgerliches Leben als Manager.
Die Lüge selbst wird im Krieg nicht als moralische Verfehlung gesehen, sondern als kluges taktisches Instrument. Die Regel heißt hier: Die Lüge ist dann gut, wenn sie der „richtigen“ Seite dient.
Und diese Entscheidung, das Einstehen für die „richtige“ Seite mit allen Mitteln, wird ja nicht nur von militärischen Strategen gefordert. Dieser Anspruch wird tief in die Gesellschaft der Staaten hineingetragen, die sich auf eine Seite zu stellen haben: Bundesdeutsche Medien produzieren gnadenlos einseitige Beiträge. Wagt es jemand, vorsichtig drauf hinzuweisen, dass auf der „richtigen“ Seite vielleicht auch nicht alles richtig ist, hat er mit einem gewaltigen Shitstorm zu rechnen – auch die Öffentlichkeit weiß, was ihre Aufgabe ist. Selbst von Kultur und Kunst wird gefordert, sich bedingungslos der Tragödie anzunehmen – Gebrauchskunst als moralischer Beistand auf der richtigen Seite.
Und so kommt es zu folgender grotesk-verlogenen Konstellation:
Mit Empörung reagiert die veröffentlichte Meinung in Deutschland auf den Sendedirektor des russischen Fernsehsenders RT, der fordert, man solle ukrainische Kinder in Flüssen ertränken. Die Empörung ist so berechtigt, dass selbst die russische Senderchefin sich genötigt sieht, ihn zu feuern.
Auf der richtigen Seite steht der ukrainische Autor Serhij Zhadan. Er beschreibt in seinem Buch „die Russen“ als „Verbrecher“, „Tiere“ und „Unrat“ und wünscht: „Brennt in der Hölle, ihr Schweine“.
Und bekommt dafür den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.