Mähliche Gewöhnung

Es ist deutlich stiller geworden um den Ukraine-Krieg, und das war auch zu befürchten:

Putin verfolgt offensichtlich die Strategie, die Welt an den Krieg zu gewöhnen, trotz allen Gemetzels, und baut wohl auch (zu Recht) auf zunehmende Uneinigkeit in der Welt angesichts der wirtschaftlichen Probleme, die die Sanktionen mit sich bringen.

Dass Russland trotz gegenteiliger Propaganda im Westen wieder Gas liefert, wenn auch in reduziertem Umfang (und damit übrigens auch ein bisschen dazu beiträgt, die deutsche Rüstungsindustrie am Laufen zu halten), dürfte zu dieser Strategie gehören: Sich als einigermaßen verlässlicher Partner zu erweisen und gleichzeitig der Kriegs- und Sanktionssituation Rechnung zu tragen. Natürlich gibt es dabei auch das Signal: Wenn der Westen massive Sanktionen verhängt, wird Russland nicht brav weiterliefern wie vorher. Ob diese ominöse Turbine da ein Vorwand ist oder wirklich eine Rolle spielt, ist eigentlich egal.

Ins selbe Bild passt der Getreide-Kompromiss: Russland präsentiert sich als kooperativ und verantwortungsbewusst, weniger als Kriegspartei.

Aber auch die westliche Politik trägt zur Sedierung der Weltöffentlichkeit bei:

Der Westen liefert weiterhin Waffen an die Ukraine, allerdings keine, die Putin wirklich Angst machen. Nur solche, die ihn ärgern und ihn zwingen, einen Verschleißkrieg zu führen – also einen, der Russland schwächt, aber sicher nicht davon abhalten wird, den Donbass und weitere Regionen der Ukraine (die amerikanischen Raketen mit längerer Reichweite sind da natürlich ein willkommener Vorwand) zu besetzen – auch wenn die britischen Geheimdienste in „nie vorher erlebter Offenheit“, wie sich die westlichen Medien freuen, seit Wochen den Zustand der russischen Armee als dermaßen marode schildern, dass man den Eindruck bekommt, Putin könne nur noch Greise, Volltrunkene oder erwischte Fahnenflüchtige für den Kriegseinsatz rekrutieren. Die „nie erlebte Offenheit“ ist wohl eine Propagandalüge von wahrhaft (sic!) Johnsonschen Ausmaßen.

Der ukrainische Schauspieler-Präsident hat inzwischen ebenfalls seine Strategie geändert. Sein bisheriges Ziel, die NATO in diesen Krieg hineinzuziehen, das er mit diversen Forderungen verfolgt hat (Sperrung des Luftraums, Waffenlieferungen bis kurz vor der Atombombe, Sicherung von Exportschiffen im Schwarzen Meer ausschließlich durch NATO-Schiffe) hat er offensichtlich aufgegeben, was die Entlassung seiner härtesten Lautsprecher wie u.a.den ehemaligen deutschen Botschafter Melnyk zeigt. Nach dem Propaganda-Erfolg, sich „Beitrittskandidat zur EU“ nennen zu dürfen, hat er sehr schnell auch die Taktik, sich dem Westen anzunähern oder zumindest anzubiedern fallengelassen: Nach der Gleichschaltung von Politik und Medien nimmt er sich jetzt offensichtlich den Staatsapparat vor und besetzt die Schlüsselstellen mit eigenen Gefolgsleuten.

Nach der Legende, die Ukraine verteidige als demokratischer Staat nicht nur die Werte, sondern gleich die ganze Europäische Union und habe es deshalb „verdient“, dort aufgenommen zu werden (ein spannendes neues Aufnahmekriterium) wird die neue Fassung demnächst lauten, dass nur eine starke Ukraine unter einer starken Führung Putin in die Schranken weisen könne und man da schon mal auf die eine oder andere demokratische Gepflogenheit verzichten müsse…

Mit dieser innenpolitischen Ausrichtung eröffnen sich der Ukraine natürlich auch andere Partnerschaften. Vor allem solche, die an den zuerst verschämt, allmählich aber immer deutlicher zur Kenntnis genommenen ukrainischen Kriegsverbrechen („aber nicht so schlimm wie die russischen“) kaum Anstoß nehmen.

Das ist bitter: Putin wird Erfolg haben. Er wird davon absehen, die Ukraine ganz zu besetzen (als „Zeichen guten Willens“) und auf den Energiehunger und den Egoismus der kapitalistischen Staaten bauen können.

Und während der unsägliche SPIEGEL-Autor Ullrich Fichtner in einem Beitrag, in dem er sich allen Ernstes auf Bertolt Brecht beruft, von sich gibt, den Deutschen sei durch ihren Wohlstand die „Kriegslust“ (!) abhanden gekommen, ist nicht zu erwarten, dass die Deutschen oder irgendwer sonst wenigstens die Maßnahme, die B. Brecht wirklich empfiehlt, bereit sind durchzuhalten.

Nachzulesen in B.Brecht: „Maßnahmen gegen die Gewalt“.