Werte Justiz!

Neben einigen kritischen Anmerkungen wurde in diesem Blog häufig darauf hingewiesen, wie wichtig eine von der Politik und von gesellschaftlichen Interessensgruppen unabhängige Justiz ist. Auch gegen den altehrwürdigen Grundsatz aus dem römischen Recht „in dubio pro reo“ ist prinzipiell nichts einzuwenden, auch wenn dieser gelegentlich extrem überstrapaziert wird:

So kann die sächsische Justiz an illegalen, da nicht genehmigten oder gar explizit verbotenen Demonstrationen irgendwie nichts Illegales finden. Die Würzburger und Bamberger Staatsanwaltschaft entblödet sich nicht, ein an einem Gartenzaun aufgehängtes Transparent mit der Aufschrift „Nimm dir fünf Minuten Zeit – schlage einen Grünen breit“ als legitimen Ausdruck von Meinungsfreiheit einzuschätzen, schließlich könne das ja auch als Diskussionsangebot an die Grünen verstanden werden. Dass der Besitzer des Grundstücks ein Auto mit Aufklebern gegen die „rot-grün-rote Pest“ spazierenfährt und man mit einer „Pest“ normalerweise ja eher nicht diskutiert, irritiert die Staatsanwälte nicht.

Mit dieser Denkweise könnte man die Ankündigung des Menschenrechtspreisträgers (!) Navalny, er werde „Putin und seine Gefolgschaft beseitigen“, als Hinweis auf deren zukünftige Verbringung z.B. in „Putins Hotel“ interpretieren.

Oder den Aufruf der Jakobiner, die Adeligen an Straßenlaternen aufzuknüpfen, als freundlichen Versuch, diesen bessere Lichtverhältnisse zu verschaffen.

Dennoch bleibt richtig, dass ein Richter nur verurteilen darf, wenn es eine eindeutige Beweislage gibt, die keinen Zweifel zulässt.

Ganz anders schaut es offensichtlich aus, wenn es um Prozesse mit politischen Implikationen geht wie dem sog. „Tiergartenmord“: Ein Georgier tschetschenischer Herkunft namens Changoschwili wurde im Tiergarten in Berlin ermordet, von einem Russen namens Krasikov, wie die Staatsanwaltschaft behauptet. Er selbst nennt sich Sokolov und hat auch einen Reisepass auf diesen Namen.

„Das war und ist nichts anderes als Staatsterrorismus (…) Die Zentralregierung der Russischen Föderation ist Urheberin der Tat, sie hat den Angeklagten beauftragt“ urteilt der Richter und behauptet, der Angeklagte habe „einen staatlichen Regierungsauftrag“ ausgeführt.

Leider, so der Staatsanwalt später, habe sich nicht feststellen lassen, wer konkret diesen Auftrag erteilt hat und natürlich gibt es dazu auch keine Unterlagen. Ausweis und Name des Täters seien eine „mit staatlicher Hilfe geschaffene Alias-Identität“. Dafür werden zwar keinerlei Beweise genannt; dennoch meint der Richter, „alleine diese Feststellung ist von Brisanz“.  Warum? Weil Krasikov schon mal als Mörder aktenkundig geworden ist und deshalb von den russischen Behörden per internationalem Haftbefehl gesucht wurde. Später löschte Russland diese Fahndungsmitteilung, was nach Auffassung des Gerichts dafür spricht, dass er fortan als russischer Auftragsmörder eingesetzt werden sollte. Soweit die „Beweislage“ zur Identität.

Die Tat selbst ist durch Zeugenaussagen und Indizien offenbar eindeutig belegt. Aber der Regierungsauftrag und seine Begründung, sprich, das Motiv für die Tat?

„Fest steht, dass der ermordete Changoschwili von der russischen Regierung als Staatsfeind betrachtet wurde“, behauptet die taz, die bei allen Vorgängen, die sich gegen Putin oder die russische Regierung richten, reflexartig jegliche Kritikfähigkeit zu verlieren scheint. Denn Putin habe geäußert, dieser sei „ein brutaler und blutrünstiger Mann, der für viel (sic!) Todesopfer“ verantwortlich sei. Das soll ein Beweis dafür sein, dass er als „Staatsfeind“ betrachtet wird? Warum nicht z.B. als schwerkrimineller Mafiosi, deren es in Russland ja hinreichend viele gibt?

Nachweislich wurden auf Changoschwilli zwei Mordanschläge verübt, jeweils von unbekannten Tätern in seiner Heimat Georgien; 2016 ist er nach Deutschland geflohen, wo er laut Staatsanwalt politisch nicht mehr aktiv war. „Die Tat wurde durch in Berlin stationierte Helfer akribisch vorbereitet“, weiß der Richter. Typisch Russen, dass der Möder trotzdem erwischt wurde – aber solche Pannen passieren denen ja immer bei ihren missglückten Mordanschlägen. Oder war vielleicht doch eine mäßig gut organisierte Mafia zugange?

Bleibt noch die Frage nach dem Motiv. „Nichts anderes als Rache und Vergeltung“, urteilt der Richter. Changoschwili habe nämlich im Tschetschenien-Krieg auf Seite der Tschetschenen gegen die Russen gekämpft (was angesichts seiner Herkunft ja nicht so ganz verwunderlich ist).

Der Aufwand darf verwundern: Zigtausende Krieger haben in diesem Krieg gegen Russland gekämpft, der brutal war, von beiden Seiten. Kann man sich wirklich vorstellen, dass der russische Staat einen solchen Aufwand betreibt, um sich an einem einzelnen davon zu „rächen“? Oder kennt man solche Racheaktionen nicht doch eher von der Mafia?

„Menschenrechtskriegerin“ (Friedrich Küppersbusch, auch in der taz) Baerbock, die ihre Putin-Phobie ja schon jahrelang pflegt, kämpft gleich einmal mit harten Bandagen und weist zwei russische Diplomaten aus. Kommentator Dominic Johnson in der taz versteigt sich sogar zu der Aussage, eine Regierung, der Deutschland (!) Staatsterrorismus vorwirft, „kann nicht zugleich Partner sein“. Was dann? Kriegsgegner vielleicht? Und das alles auf Grund eines Urteils, das nicht einmal auf tönernen, das eigentlich auf gar keinen Füßen steht!

Bleibt die Frage nach dem Motiv hierfür: Seit US-Präsident Reagan angekündigt (und auch weitgehend durchgezogen) hat, er werde die Sowjetunion zu Tode rüsten, vor allem aber, seit Präsident Obama Russland mit der Bezeichnung „Regionalmacht“ demütigte, versucht Putin, der Russischen Föderation einen Platz im Reigen der Weltmächte zu sichern oder wiederzugewinnen. Das missfällt vor allem dem Westen und der NATO, glaubte man doch schon, mit Russland fertig zu sein. Schließlich stehen mit China und Indien die nächsten großen Aufgaben an.

Und so stürzt man sich in der westlichen Welt auf alles, was man eventuell gegen Putin vorbringen könnte. „Wertegeleitete“ Außenpolitik nennt Baerbock das. Man darf gespannt sein, ob sie diese Politik auch gegen so Hochwertländer wie Ägypten, Saudi-Arabien oder Katar durchziehen wird. Während man dort über hunderte von an unmenschlichen Arbeitsbedingungen umgekommenen „Gast“-Arbeitern großzügig hinwegsieht und sich auf die Fußball-WM freut, droht man Russland wegen eines extrem zusammenkonstruierten Gerichtsurteils mit massiven Konsequenzen.

Auf die Unterstützung durch die Werte-Justiz scheint man sich dabei verlassen zu können: In dubio contra Putin!

(Alle Zitate aus der taz, Ausgabe vom 16.12.2021)

Gelesen: Eva Menasse, Dunkelblum

Eva Menasse lebt zwar seit längerem in Berlin, ist aber gebürtige Wienerin und hat sprachlich nichts vergessen. Nicht nur, dass sie leidenschaftlich Austriazismen verwendet (für die es immerhin ein Glossar gibt), auch der insgesamt dem österreichischen Alltagsdeutsch angenäherte Stil und die oft derben dialektalen wörtlichen Reden (da „safteln“ schon mal Leichen im „Holzpyjama“) machen das Lesen für einen „Piefke“ nicht einfach. Doch gerade diese Sprache verleiht dem Roman die gewünschte Aura zwischen „Schmäh“ und Gruseligkeit.

Dunkelblum ist eine österreichische Kleinstadt, fast eher ein Dorf an der ungarischen Grenze. Angesichts der eindringlichen Milieuzeichnungen hätte der Ort dieses symbolisch überlasteten Namens eigentlich nicht bedurft.

Man lebt in Dunkelblum in überwiegend kleinbürgerlicher Spießigkeit, trinkt den selbst produzierten Wein und beäugt alles Neue und Fremde außerordentlich misstrauisch. Schnell wird klar, dass dieser Argwohn Fremden gegenüber auch mit der Angst verbunden ist, Fremde könnten sich für die Geschichte Dunkelblums interessieren – die sich die Dunkelblumer gegenseitig beharrlich verschweigen.

Mit der Grenzöffnung 1989 endet die Abgeschiedenheit des Örtchens im Niemandsland; alte, durch den eisernen Vorhang getrennte Beziehungen werden wieder möglich und rufen Erinnerungen hervor. Eine neugierige studierende Tochter eines alteingesessenen Winzers, der sich mit modernen Weinbautechniken unbeliebt macht, möchte mehr über die Familiengeschichte ihrer Männerbekanntschaften erfahren; einer der vielen Juden, die „damals ihren Koffer aus der Stadt tragen mussten“, kehrt zurück und wird eher gegen seinen Willen in die einsamen Versuche eines der überlebenden Juden, jetzt Inhaber eines Reisebüros, verwickelt, eine Ortschronik zu schreiben. Der große, längst von Gestrüpp überwucherte Judenfriedhof weckt plötzlich das Interesse von Studenten und Studentinnen aus der Hauptstadt.

Und so wird sich erinnert, wie der Besitz, vor allem die Ländereien der ausgewiesenen Juden, noch ehe sie den Ort verlassen hatten, schon dem Eigentum der Dunkelblumer zugeschlagen wurde; wie sich Intellektuelle die Gewaltbereitschaft ungebildeter Jugendlicher zunutze machten,  um einen durchaus einträglichen Herrschaftsterror (ganz im Sinne  der Partei) in dem Städtchen zu errichten.

Als der kurz vor der Pensionierung stehende Landarzt, der durch seine über 30-jährige Hausarzt-Praxis Dunkelblum kennt wie kaum ein anderer, erfährt, dass auf einem Gelände, auf dem jüngst ein Skelett gefunden wurde, die Fundamente für einen Wasserspeicher in die Erde gelegt werden sollen, erbleicht er.

Natürlich ist Dunkelblum ein symbolischer Ort, es gibt tausende Dunkelblums, erst recht in Deutschland. Orte, in denen über die Vergangenheit geschwiegen wurde und wird. Orte, in denen man genauso schweigend hinnahm, dass ortsbekannte Nazigrößen später als Bürgermeister und Lehrer reüssierten. Orte, die große Judensiedlungen und –friedhöfe besaßen, in denen nach dem Krieg aber kein einziger Jude mehr lebte. Dafür wenige Bauern mit erstaunlich großem Landbesitz, die dann im Kirchenvorstand und dem Gemeinderat saßen, um (zusammen mit dem Herrn Bürgermeister und dem Herrn Pfarrer) über die Vergangenheit zu schweigen.

Empfohlen nicht nur für Menschen, die sich erinnern wollen, sondern gerade auch für jüngere, die hier einen tiefen und authentischen Einblick in diesen Teil der deutschen Geschichte erleben können.