Es fällt wirklich nicht leicht, der deutschen Politik zurzeit irgendwelchen Respekt zu zollen. Am ehesten tatsächlich noch der Bundeskanzlerin, die die Verantwortung für eine verunglückte Beschlussvorlage aus ihrem Haus auf sich nimmt und um Entschuldigung bittet – ohne darauf hinzuweisen, dass dieser Vorlage alle 16 MinisterpräsidentInnen zugestimmt haben.
Jetzt, nachdem die Kanzlerin die Vorlage zurückziehen musste, kommen die peinlichen Erklärungen dieser Damen und Herren, sie hätten von Anfang an Zweifel an der Vorlage gehabt, nur angesichts der späten Stunde zugestimmt. Sieht so Verantwortung aus? Waren sie halt ein bisschen müde, die Landesfürsten und – fürstinnen. Kann ja mal passieren, auch in der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Wach waren sie bisher immer nur, wenn es darum ging, sinnvolle Vorlagen zu zerreden, aufzuweichen, oder auch, sie mitzubeschließen, um sich dann selbst im eigenen Bundesland nicht daran zu halten.
Als die Sitzung am Montag wegen heilloser Streiterei für Stunden unterbrochen werden musste, was machen die „FürstInnen“ da? Setzen sie sich hin und machen sich Gedanken, welchen Beitrag zur Lösung sie vielleicht leisten könnten? Beraten sie in der Pause (vielleicht im kleinen Kreis) untereinander, ob es nicht doch Möglichkeiten zu einem tragfähigen Kompromiss geben könnte? Nein. Wie pubertierende Rotzlöffel lassen sie das Leitungsquartett beraten und posten stattdessen gelangweilt große Ä’s in die Welt.
Wenn man schon so stolz ist, endlich mal was zu sagen zu haben und wirklich die Macht im eigenen Bundesland ausüben zu können: Könnte man die nicht vielleicht auch ein bisschen sinnvoll nutzen? Man wusste doch, um was es in der Ministerpräsidentenkonferenz gehen würde. Und wenn man selbst juristisch schon erschreckend ahnungslos ist: Reicht die Macht oder das diplomatische Geschick der Länderchefs nicht einmal dazu, für eine Nacht EINEN Verfassungsrechtler und vielleicht noch EINEN Wirtschaftswissenschaftler zu organisieren, mit dem man sich in den Verhandlungspausen beraten und anschließend fundierte Beiträge in die Diskussion einbringen kann? Wird man seiner Verantwortung wirklich gerecht, wenn man da einfach nichts tut oder blöde Spielchen treibt? Man könnte so ein Verhalten durchaus als unterlassene Hilfeleistung mit zigtausendfacher Todesfolge bezeichnen.
Von der AfD war ja nichts anderes zu erwarten. Aber dass sich auch noch Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken, zu der parteipolitischen Posse hinreißen lässt, die Kanzlerin zur Vertrauensfrage nötigen zu wollen, enttäuscht schon sehr. Ihm müsste doch bewusst sein, was eine abgelehnte Vertrauensfrage bedeuten würde:
a) ein konstruktives Misstrauensvotum. Nur gibt es weit und breit niemanden, auf den sich der Bundestag als neuen Kanzler einigen könnte. Also gäbe es als weitere Möglichkeit:
b) Die Kanzlerin bleibt – politisch schwer beschädigt und ohne eigene Mehrheit – im Amt oder es gibt
c) Neuwahlen (innerhalb von 60 Tagen!), mitten in der Pandemie.
Das sind im Augenblick alles destruktive und widersinnige Szenarien.
Nahtlos fügt sich übrigens in diesen Haufen an Verantwortungslosigkeit ARD-Journalist Oliver Köhr ein: Im Bericht aus Berlin insistiert er ebenfalls darauf, dass die Kanzlerin die Vertrauensfrage stellen müsste. Und auf den Vorschlag der Grünen, politische Entscheidungen auch zur Pandemie wieder mehr in den Bundestag zu verlegen, fällt ihm als Gegenfrage ein, wie man denn, wenn sich schon 16 Ministerpräsidenten nicht einig würden, darauf hoffen könne, dass sich 709 Abgeordnete einigen würden.
Dümmer kann man als politischer Journalist eigentlich nicht fragen.