Eine kurze Pandemiezeitlang konnte man sich als Pädagoge verwundert die Augen reiben: Was genoss Schule plötzlich für eine Wertschätzung in der Gesellschaft! Selbst SPIEGEL-Redakteure, deren Blick auf die Schule bislang stets durch Verachtung oder nachhaltig verletzte Schülerseelchen geprägt war, ergingen sich in Lobeshymnen.
So auch jetzt: Bars und Gaststätten sind zu, sogar Theater dürfen nicht mehr arbeiten, aber Kitas und Schulen „sollen als letztes geschlossen werden“, sagt die Familienministerin und macht dabei ihr frommes Gesicht. Wirtschaftsminister Altmaier schiebt nach: „Kitas und Schulen müssen geöffnet bleiben, solange es geht!“.
Beide Formulierungen wie auch die Tatsache, dass sich ausgerechnet der Wirtschaftsminister für zuständig erklärt, sollten hellhörig machen: Wird hier doch eindeutig suggeriert, dass auch Schulen und Kitas früher oder später um eine Schließung nicht herumkommen werden. Nur halt als letzte oder wenn es gar nicht mehr geht? Nur, wann geht es eigentlich nicht mehr?
- Wenn der letzte Kultusminister festgestellt hat, dass man nicht mal bei der Hälfte seiner Schulen die Fenster ordentlich aufmachen kann und er vergessen hat, im Sommer einen Schlosser zu bestellen?
- Wenn man sich bundesweit darauf geeinigt hat, dass Luftreinigungssysteme für Klassenzimmer zu teuer sind?
- Wenn sich in der Öffentlichkeit nicht mehr verheimlichen lässt, dass Klassen zum Unterricht kommen dürfen, obwohl Mitschüler positiv getestet wurden?
- Wenn sich so viele Lehrer mangels zur Verfügung gestellter Schutzausrüstung angesteckt haben, dass der Schein eines regulären Unterrichtsbetriebs nach außen nicht mehr aufrechterhalten werden kann?
- Wenn sich die Kultusministerkonferenz darauf einigt, dass man gemeinsam im Sommer verpasst hat, Konzepte zu entwickeln, wie man mit Hilfe der joblos gewordenen Lehramtsstudenten Kleingruppenunterricht unter Anleitung von Vollpädagogen organisieren könnte?
Oder „geht es“ einfach nicht mehr, wenn es wieder zu einem echten Lockdown kommt, bei dem auch die Eltern zu Hause bleiben müssen und ihre Kinder wieder selbst beaufsichtigen können? Die Tatsache, dass den ganzen Sommer über offensichtlich NICHTS konzipiert wurde, was einen „pandemie-gerechten“ Unterricht im Sinne von Schülern und Lehrern erlauben würde, lässt dies befürchten. Die Anschaffung von „Endgeräten“ ohne Anleitung, ordentliche Software und Kommunikationsplattformen (und damit ist nicht das berüchtigte bayerische Mebis gemeint, das schon in Vorcoronazeiten regelmäßig zusammengebrochen ist), bringt niemandem etwas – außer den Hardwareverkäufern. Dass man Lehrern, die das zweifelhafte Vergnügen haben, gehandicapt durch Maske in einem mit 30 Schülern, gehandicapt durch Masken, vollgepfropften Raum zu stehen und nach dem Schulgong zuzusehen, wie sich ihre Schützlinge mangels Maskenpflicht vor der Schultüre abknutschen, zumutet, neben ihrem Präsenzunterricht auch immer noch Material für einen plötzlichen Umstieg auf Online-Unterricht parat zu halten, dass man diese Lehrer nebenbei immer noch zusätzliche zeitraubende Hilfsarbeiten wie Schulaufgabensortieren und Geldeinsammeln erledigen lässt, spricht auch nicht für allzu große Wertschätzung und Interesse an erfolgreicher Bildungsvermittlung.
Pflegerinnen und Pfleger wurden beklatscht, wovon sie wenig hatten. Die viel gerühmten 10% Lohnerhöhung für die untersten Einkommensgruppen – gestreckt auf drei Jahre! – sind angesichts der vollmundigen Ehrfurchtsbekundungen eigentlich ein Hohn – kaum zu toppen.
Doch! Lehrer werden nicht beklatscht. Immerhin werden sie unter dem jetzigen bayerischen Kultusminister Piazolo nicht mehr beschimpft und schikaniert, wie das bei seinen CSU-Vorgängerinnen und Vorgängern durchaus die Regel war. Aber was Piazolo sich für die Lehrer als „Belohnung“ ausgedacht hat, macht einfach nur sprachlos:
4000 Direktoren und 14 000 Lehrer, die sich während der Pandemie besonders engagiert hätten, sollen 500 Euro „Leistungsprämie“ bekommen.
In Bayern gibt es ca. 6000 Schulen mit 120 000 Lehrern. Heißt: Zwei Drittel der Schulleiter haben sich nach Auffassung des Ministeriums „besonders engagiert“. Dabei sind zumindest in den höheren Schulen die Direktoren diejenigen, die selten bis nie in einem virengeschwängertem Klassenzimmer stehen, und die Hygienepläne lassen sie sich in der Regel von ihren Mitarbeitern ausarbeiten.
Dagegen scheinen gerade mal gut 10 Prozent der Lehrer prämienwürdig, dreieinhalb pro Schule/Direktor, die natürlich von den selbst prämierten Direktoren ausgesucht werden (denn dass sich in einer Schule ein Direktor nicht, seine Lehrer aber durchaus engagieren, ist in einem Schulsystem wie in Bayern ja völlig ausgeschlossen!).
Diejenigen, die sich Tag für Tag darum bemühen, in und neben ihren Klassenzimmern ihren Schülern ein guter Lehrer zu sein, werden wie immer nicht dazugehören. So lobt das Ministerium Leistungsprämien für seine Funktionsträger aus. Diese Form von Wertschätzung brauchen die Kollegien im Augenblick ganz bestimmt nicht, wenn man ihnen durch vollständige administrative Untätigkeit gleichzeitig deutlich macht, dass sie zurzeit halt nur die letzten Kindergärtner sind, damit Arbeit und Wirtschaft möglichst unbehelligt weiterlaufen können.