Fleischhauers Faktenbiegen

Jan Fleischhauer darf alle 14 Tage im SPIEGEL einen Kommentar ablassen. Er ist ein bekennender Rechter (Titel seiner Kolumne: „Der schwarze Kanal“), und vielleicht war es sogar mal eine noble Idee, auch solche Meinungen in diesem Blatt an prominenter Stelle zuzulassen. Seine letzten (und besonders der wirklich allerletzte) Beiträge erfordern allerdings eine Reaktion:

Dass rechte Gesinnung und Anstand nicht leicht zueinanderfinden, kann man bei jeder Pegida-Demonstration beobachten. Da werden die kühnsten Behauptungen zu Tatsachen erklärt und echte Fakten so lange verdreht, bis sie in die eigene Ideologie passen.

Nicht besonders verwunderlich festzustellen, dass SPIEGEL-Kommentator Fleischhauer genau diese Methoden liebt („Spießerverachtung“, Spiegel 48/2018):

In einem bestimmten (unausgesprochen meint er wohl ein linksgrünversifftes) Milieu, kritisiert er, werde zwar akzeptiert, dass Berufspolitiker (er nennt Baerbock von den Grünen) ein Leben lang von Steuern anderer Leute gelebt haben, nicht aber (er meint Friedrich Merz) Menschen, die „mehr Steuern bezahlt“ hätten, als „viele in ihrem Leben verdienen“. Abgesehen davon, dass ihm die Obszönität dieses Gedankens gar nicht auffällt: Was Merz an Steuern bezahlt, weiß er offensichtlich. Dabei ist doch bekannt, dass Menschen, die für Firmen arbeiten, deren Hauptgeschäft die „Steuergestaltung“ ist, gerade in der Steuervermeidung äußerst kreativ sind (und nebenbei damit auch noch ihr vieles Geld verdienen).

Ein „Spitzenpolitiker 64 und weiblich“(!, er meint Angela Merkel), mäkelt er, werde in diesem Milieu akzeptiert, nicht dagegen ein männlicher Spitzenkandidat „über 60“. Damit diese Kritik auch nur einen Hauch von Sinnhaftigkeit ergibt, muss man natürlich weglassen, dass die 64-jährige Spitzenpolitikerin geht, der 62-jährige Spitzenkandidat dagegen „Aufbruch und Erneuerung“ verspricht.

Schon blöd, wenn die reinen Fakten so gar nicht taugen für die eigene Argumentation.

Die Untoten der Union

Friedrich „Bierdeckel“ Merz ist aus zwei Gründen bekannt geworden: Er war zwei Jahre lang Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag. In dieser Zeit hat er behauptet, er habe ein deutsches Steuerrecht entworfen, das auf einen Bierdeckel passe. Die herausragende Neuerung bei diesem Modell war ein Spitzensteuersatz von 34 % des Einkommens, was die Höchstverdiener mit jeder Menge zusätzlichem Geld zugeschüttet hätte.

Dann ist Angela Merkel Fraktionsvorsitzende geworden und der Bierdeckel-Merz hat die Politik hingeschmissen und sich sein Hauptbetätigungsfeld (neben gut einem halben Dutzend Aufsichtsratsjobs) in einer Firma gesucht, deren Schwerpunkt die „Steuergestaltung“ ist. So nennt man die (ja, teils durchaus legalen – wen wundert‘s?) Tricks, mit deren Hilfe das Großkapital einen fiskalischen Zugriff weitgehend vermeidet und dadurch oft deutlich unter dem Merzschen Spitzensteuersatz landet. Man kann das auch so formulieren: Tricks, mit deren Hilfe große Mengen Geld nicht in die Staatskasse fließen um z.B. Kindergärten, Pflegerinnen und Pfleger oder ein ordentliches Bildungssystem zu finanzieren, sondern in die wie auch immer gefärbten Kassen des Großkapitals.

Ganz selbstlos hat er das natürlich nicht gemacht, er hat sich seine „Arbeit“ ordentlich bezahlen lassen und ist so – nach eigener Einlassung – in den „oberen Mittelstand“ aufgestiegen. Eine Million Jahreseinkommen und der Besitz von gleich zwei Privatflugzeugen (eines lässt sich immer gut vermieten) sind für ihn Merkmale, sich in dieser sozialen Schicht zu verorten.

Bei seiner Bewerbungsrede für den CDU-Vorsitz hat Friedrich „Mittelstand“ Merz erklärt, die Union müsse jünger und weiblicher werden. Als 62-jähriger stockkonservativer Mann voller Ideen aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Seine eigene Grabrede zu halten macht Friedrich „Mittelstand“ Merz eindeutig zum überlebenden Untoten Nummer eins der Union.

Nummer zwei ist zweifellos Horst „Rücktritt“ Seehofer. Es ist bewundernswert, wie es dieser Mann schafft, sein Ansehen bis zur Lächerlichkeit zu ruinieren.

Irgendwann konnte man den Eindruck haben, er sei ein gestandener Mann mit den in der CSU gar nicht so seltenen sozialen Anwandlungen.

Aber schon als stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender im Bundestag (ab 1988) legte er den Grundstein für seinen Ruf als Wendehorst und Rücktrittsweltmeister: Seinen ersten Rücktritt als Fraktionsvize schaffte er 2004 wegen eines Streits um die Gesundheitspolitik. Es war einer seiner beliebten Halb-Rücktritte: Als Fraktionsvize, nicht aber als CSU-Vize und Bundestagsabgeordneter.

Als er 2008 bayerischer Ministerpräsident wurde, beschwor er die Einheit seines Amtes mit „dem Volk“, sprich, er erklärte sich offen zum Populisten. Und wenn er heute vorgibt, mit seiner ach so christlichen migrationsfeindlichen Politik die AfD bekämpfen zu wollen, sollte man sich an einige seiner politischen Vorhaben und Äußerungen aus früheren Zeiten erinnern:

Schon 1987 forderte er, Aidskranke in zentralen Heimen zu isolieren.
2011 tat er kund, „bis zur letzten Patrone“ gegen die Einwanderung in „die deutschen Sozialsysteme“ zu kämpfen. Da gab es die AfD noch gar nicht. Seehofer hat bis heute nicht begriffen, dass er mit seinen Positionen Vorreiter der AfD war und ist, nicht deren Bekämpfer.

In den letzten Monaten ergibt er sich ganz seinem Rücktrittshobby: Im Juli 2018 kündigte er seinen Rücktritt vom Ministerposten und CSU-Vorsitz an, um einige Tage später vom Rücktritt zurückzutreten. Dabei hatte er sich mit der frauenfreien Organisation seines „Superministeriums“ und den ständigen Affronts gegenüber Merkel nicht nur außerhalb seiner Partei unmöglich gemacht. Nach dem schwachen Ergebnis der CSU bei der Landtagswahl in Bayern drohte er mit seinem Rücktritt als Parteivorsitzender. Diese Drohung wurde innerhalb der Union mit ähnlicher Zuversicht aufgenommen wie die Hoffnung eines Zahnkranken, dass der kaputte und schmerzende Eiterzahn doch endlich von selbst ausfallen möge.

Aktueller Stand ist die Ankündigung des Rücktritts als Parteivorsitzender der CSU zum Januar 2019 (da bleibt noch viel Zeit für den Rücktritt vom Rücktritt). Vorsitzender der Staatssketretärenversammlung in seinem Innenheimatministerium möchte er allerdings bleiben. Er will halt doch nicht von selber raus, der alte Zahn.

Rang drei mit echten Aufstiegsschancen gehört Jens „Orbanfreund“ Spahn. Weil diese Wiedergängermischung aus Helmut Kohl und Franz Joseph Strauß eigentlich nur als politische Totgeburt erträglich wäre.

Dann wären da noch Scheuer, Dobrindt und Bär.

Aber die hatten wir schon.

 

Die neue Demut der CSU

„Wir haben verstanden“, populisierte der damals noch nicht Heimathorst rum, nach der Schlappe der CSU bei der Bundestagswahl. Und hat selbst darunter offensichtlich verstanden, dass er ab sofort ein widerliches Selbstdarstellungs- und Selbstbehauptungsprogramm, das tatsächlich allen schadet, selbst ihm – aber das glaubt er ja bis heute nicht – abzuziehen habe.

Söder, Markus, sein Nachfolger als bayerischer Ministerpräsident, toppt ihn in Sachen populistische Anbiederung deutlich. Mit „Demut“ akzeptiere er das Wahlergebnis, wobei bei ihm selbst die Demut arg breitbeinig daherkommt. Und noch am Wahlabend erklärt er, dass er mit der zweitstärksten Partei, den Grünen, keine Koalitionsverhandlungen zu führen gedenke, sondern sich in aller Demut mit dem rechten Wurmfortsatz der CSU, den Freien Wählern herumzuplagen gedenke.

Die CSU-Basis, liest man, murrt und ist unzufrieden. Nicht mit Söder, der macht doch alles richtig. Seehofer ist das Problem. Nicht moralisch, nicht politisch, da ist man sich doch einig. Aber persönlich und wahltaktisch kostet der Typ einfach Stimmen.

Dass die Basis das mit der Demut von Söder auch eher als einen taktischen Trick sieht, der einem ja nun nicht wirklich das politische Geschäft beeinträchtigen darf, sieht man an einem beispielhaften Fall in Würzburg.

In Würzburg gibt es eine Wohnungsbaugesellschaft, die zu 100% der Stadt gehört, die „Stadtbau“. Die hat jede Menge Wohnungen und Ladengeschäfte, eines davon ein ehemaliger Friseursalon im Stadtteil Grombühl, seit Monaten leerstehend. Den wollte die neugewählte Bundestagsabgeordnete der Linken, Simone Barrientos, mieten, um dort ein Wahlkreisbüro zu eröffnen. Denkste!

CSU-Stadtrat Roth, stellvertretender Kreisvorsitzender der CSU und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtbau, lehnte die Vermietung mit seinem rechten Gefolge im Aufsichtsrat ab. Eine Vermietung von Stadtbauräumen an Parteien könne er sich zwar vorstellen, aber nicht an Linke oder (raschel, raschel, Feigenblatt) AfD. Zur Vermietung an Parteien müsste aber erst ein Grundsatzbeschluss des Aufsichtsrates her. Im Oktober fällt dieser Beschluss, grundsätzlich auch an Parteien vermieten zu können, nicht aber an Barrientos (das Feigenblatt ist inzwischen runtergefallen).

Begründung: Die Abgeordnete habe die Bonitätsprüfung nicht bestanden…

Es ist anzunehmen, dass Herr Roth und seine Amigos wissen, dass eine Landtagsabgeordnete rund 10 000 Euro im Monat verdient und eine Aufwandspauschale u.a. für die Einrichtung und den Betrieb eines Wahlkreisbüros in Höhe von ca. 4300 Euro bekommt, die selbst bei einer Privatinsolvenz unter keinen Umständen gepfändet werden darf. Dafür könnte man drei solcher Stadtbau-Schuppen mieten.

Mit diesen Fakten konfrontiert erklärt der Geschäftsführer der Stadtbau, er habe geglaubt, dass Barrientos die Räume als Privatperson mieten wollte, obwohl diese doch angegeben hatte, die Immobilie als Wahlkreisbüro nutzen zu wollen.

Auf einen Mietvertrag wartet Barrientos bis heute.

Die CSU-Basis ist offenbar in erster Linie empört, dass sie nicht mehr schalten und walten kann wie gewohnt, sondern sich mit politischer Konkurrenz auseinanderzusetzen hat.

Da trickst, lügt und manipuliert man lieber  – in aller Demut.

Dass im unterfränkischen Bezirkstag sich gerade eine „Koalition“ aus CSU und SPD gebildet hat, um trotz massiver Stimmenverluste der beiden Parteien einen Vizepräsidenten der Grünen zu verhindern, obwohl diese zweitstärkste Fraktion im Gremium sind, ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur neuen Demut.

Wann endlich sagen auch die restlichen Bayern: „Wir haben verstanden“?