Stabiles Bayern

„Stabilität“ sei jetzt das Wichtigste, ist dem Söder in den letzten Tagen vor der Landtagswahl eingefallen. Und gewarnt hat er vor einem „unregierbaren“ Bayern mit bis zu sieben Parteien im Landtag.

Wie er sich das vorstellt mit der Stabilität, ist dann auch gleich am Wahlabend deutlich geworden: Er bleibt natürlich Ministerpräsident, über Konsequenzen aus dem schlechten CSU-Wahlergebnis wird gesprochen, wenn er vereidigt ist. Damit Bayern stabil bleibt.

Dass Stabilität kein politischer Wert an sich ist, kann man zum Bespiel daran erkennen, dass die stabilsten Staaten die astreinen Diktaturen sind wie Nordkorea. Oder China oder solche Staaten. Eine Partei, die den Chef stellt, der dann durchregiert. Und zwar dauerhaft. Wie in Bayern bislang halt auch.

Hat nicht auch ein anderer deutscher Politiker vor rund 90 Jahren erfolgreich Stabilität versprochen und eine Beendigung des „Parteiengezänks“? Ist dem Söder und der CSU noch gar nicht aufgefallen, dass die Forderung nach stabiler (möglichst Allein-) Herrschaft irgendwie so gar nicht zu einer Vorstellung von Demokratie passen mag?

Eigentlich war vor der Wahl schwer vorstellbar, dass die CSU nach der Wahl noch unsympathischer rüberkommt als vorher. Aber sie kann das. Er nehme das Wahlergebnis „mit Demut“ hin, heuchelt es aus Söder heraus, unmittelbar, bevor er feststellt, dass er selbstverständlich stabil Ministerpräsident bleiben wird.

Zum Vorbild hat man sich die ganz besonders stabilen Staaten offensichtlich auch innerparteilich genommen: Ministerpräsident, Parteichef und Generalsekretär (alle CSU) äußern in allen Interviews nahezu wortgleich, dass es auf Stabilität ankomme und dass man einen eindeutigen Regierungsauftrag habe.

In Nordkorea darf immer nur einer sagen, was wichtig ist. In Bayern dürfen neuerdings drei CSU-Spitzen dasselbe sagen. Das nennt man innerparteiliche Demokratie oder auch Geschlossenheit oder so.

Nur dem Vollhorst ist das wieder nicht ganz gelungen. Brav hat er, wie abgesprochen, in der Pressekonferenz die CSU-Basis für den Wahlkampf gelobt – und den Söder Markus. Er konnte sich aber den Satz nicht verkneifen, dass alles, als er von fünf Jahren hier gestanden habe (als bayerischer Ministerpräsident), noch ganz anders ausgesehen hätte. Brav, Horsti! Da geht noch mehr! Gib’s ihm weiterhin!

Aber du kannst froh sein, dass du in Bayern lebst. In Nordkorea würdest du jetzt offiziell oder inoffiziell hingerichtet. Das wirst du in Bayern zwar auch (nach der Hessenwahl), bloß nicht so blutig.

Der schon selbst wiederernannte Ministerpräsident überlebt, hat aber ein „Problem“: Jetzt muss der mit den „Freien Wählern“ eine Koalition eingehen. Diese sind ursprünglich ein Sammelsurium von 1978 aus der CSU ausgetretenen Kommunalpolitikern, denen die CSU zu liberal geworden war. Seitdem sind sie beleidigt, dass sie in Bayern nicht mehr mitregieren dürfen und sind eine Mischung aus Bauernverband und Bayernpartei (intellektuelle Ausrutscher, die es in dieser Partei durchaus mal gibt, werden ziemlich zügig weggemobbt). Jetzt dürfen sie wieder mitregieren und ihre Lieblingsvorstellung vertreten: Macht Bayern wieder, wie es vor hundert Jahren war: Grüne Almwiesen, glückliche Kühe, schuftende, aber unerklärlicherweise genau aus diesem Grund auch kuhgleich glückliche Bauern, die alle CSU wählen (nachdem sich die Freien Wähler wieder mit der vereinigt haben – wegen der Stabilität). Und Kruzfixe nicht nur in Amtsstuben, sondern überall, wo technisch die Möglichkeit besteht, eines anzunageln.

Dazu braucht es vor allem: Grenzen dicht, dicht, dicht. Billigen Diesel für die christlichen Traktoren. Und Dialektunterricht in den Schulen, damit die bayerischen Kinder endlich auch mal „Opfelsoft“ ordentlich aussprechen können.

Neben diesem „Problempartner“ (ärgerlich freilich, dass die auch ein paar Ministerien und einiges von dem Staatsgeld wollen, das doch bislang so gut bei der CSU aufgehoben war), hat der Söder in Zukunft auch noch mit fulminanter Opposition zu rechnen:

Mit der AfD wird er sich streiten müssen, wem rechtspopulistische Ideen als erstem eingefallen sind.

Von den 12 FDP-Abgeordneten, die nach Aussage des bayerischen FDP-Vorsitzenden Kennichnicht „nicht mit den linken Parteien“ (wen meint der ??) konkurrieren, wird sich die neue Regierung anhören müssen, dass sie weiterhin alle kriminellen Machenschaften der Industrie gehörig zu fördern habe. Und dass Einwanderung nur erlaubt werden dürfe, wenn der einzelne Antragsteller handverlesen der bayerischen Industrie nutzt, sprich, ordentlich ausbeutbar ist.

Die bayrischen Grünen erklären, sie hätten jetzt die „bürgerliche Mitte“ übernommen. Richtig, so gewinnt man Wähler. Aber war die ursprüngliche Idee nicht eine andere???

Jemanden vergessen? Ach ja, die SPD. Die Partei, die seit ihrer Gründung immer am intensivsten daran arbeitet, sich selbst zu zerstören, weil sie sich nie entscheiden wollte, ob sie eigentlich wirklich links sein will. Die Partei, die mitgemacht hat, dass ihr damaliger Auto-, Armani- und Zigarrenkanzler Schröder 20 Prozent der Menschen in die Armut und weitere 20 Prozent in die Angst vor der Armut gejagt hat. Die Partei, die sich nicht traut, trotz seit Jahren brummender Wirtschaft und irrer Unternehmensgewinne eine ordentliche Vermögenssteuer oder wenigstens eine angemessene Finanztransaktionssteuer auch nur zu fordern.

Politisch erbärmlich, aber wenigstens nicht ganz unsympathisch sind Positionen innerhalb der SPD, die immerhin ein bisschen Brosamen von den Unternehmergewinnen für die Armen einfordern. Eine brauchbare Wohnung für alle zum Beispiel. Die Spitzenkandidatin der bayerischen SPD, Natascha Kohnen, hat das im Wahlkampf versucht. Und in Diskussionen wurde sie immer wieder genötigt zu erklären, dass sie diese Positionen im Gegensatz zu ihrer Parteiführung vertritt. So viel zur „Oppositionspartei“ SPD. Kohnen wurde vom SPD-Rechtspopulisten Ude (Ex-Münchner OB) gleich zum Rücktritt aufgefordert. Vermutlich findet auch die Mehrheit ihrer Rumpffraktion im Landtag, dass sie zu links ist.

Fazit: Gut 37% CSU (alle stramm rechts, die sozialen und liberalen sind ja die Weggelaufenen), gut 11% Freie Wähler, gut 10% AfD und 5% FDP macht allein 64% rechte Abgeordnete im Landtag. Von den Rechten innerhalb der SPD und den Grünen mal abgesehen.

Die 64% hatte die CSU mal alleine. Jetzt muss sie sich diese teilen – mit anderen Rechtsparteien.

Klingt schlimm stabil.

Geschäftsmodell Erbsünde

Natürlich mag man es kaum glauben, aber die katholische Kirche fordert immer noch von ihren Mitgliedern / Anhängern, regelmäßig zu einem Pfarrer zu gehen und dem irgendwelche „Sünden“ zu beichten. Nein, nicht irgendwelche. Alle. Und wenn man nicht so recht weiß, was so eine „Sünde“ eigentlich ist, gibt es in den Kirchen dazu schriftliche Handreichungen, was zu beichten sei. Das ist vor allem für Kinder hilfreich, denen partout keine „Sünde“ einfallen mag, die aber doch welche beichten müssen, da nach Auffassung der Kirche jeder Mensch grundsätzlich ein Sünder ist. Deswegen gilt jemand, der nichts zu beichten hat, als verstockt und gleich besonders „sündig“. So ein Bub erfährt dann schon auch mal, dass sein Streit mit der Schwester – wo er Recht behalten wollte – eine beichtfähige Sünde sei, oder gar Widerspruch gegen mütterliche Anordnungen.

Das Modell (man hatte ja auch 2000 Jahre Zeit, es zu perfektionieren) ist clever. Man redet arglosen Menschen Schuldgefühle ein und bietet sich dann sofort selbst als Nothelfer an. Die auferlegten Bußen sind immateriell: Ein paar dutzend Vaterunser oder so. Aber nie vergisst die Kirche (auch nach Abschaffung des Ablasses), darauf hinzuweisen, dass sehr materielle Spenden segenstechnisch auch hilfreich sind: „Haben Sie heute schon daran gedacht, im Rahmen Ihrer finanziellen Möglichkeiten die katholische Kirche…“ (Originalzitat aus einer im Kölner Dom ausliegenden Schrift, direkt unter der Sündenauflistung).

Ziemlich genial: Für liebe Menschlein, die tatsächlich noch nie jemandem etwas Böses getan haben, gibt es die Idee der „Erbsünde“. In den Augen der Kirche zieht man sich die bei Geburt irgendwie gleich zu wie in anderen Denkmodellen die Menschenrechte. Weil Adam und Eva.

Und deswegen hat man zu beichten und, besser noch, zu spenden.

Nebenbei: Gibt es da eine gewisse Parallele zum Geschäftsmodell der Autoindustrie? Man baut wissentlich betrügerische Abschaltvorrichtungen für die Abgasmessung ein und empfiehlt dann den Betrogenen, das Problem durch Kauf eines neuen Autos zu beseitigen?

Die Kirche verweist gerne darauf, dass sie mit dem ergaunerten Geld (so sagt sie das natürlich nicht…) doch tolle Sachen finanziere, kirchliche Kindergärten und so. Diese Lüge sollte sie mal bei sich selbst beichten, denn auch die Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft werden zum allergrößten Teil vom Staat (also auch von den nichtgläubigen Steuerzahlern) finanziert, genauso wie das Führungspersonal, die Bischöfe.

Der jüngst ernannte Würzburger Bischof – ja, Jung – hat in einem Interview mit der Lokalzeitung, angesprochen auf eine sehr schmuddelige Finanzaktion seines Bistums, erklärt, die Aufklärung dieses Falles, der lange vor seinem Amtsantritt passiert sei, gehöre in neutrale Hände, nämlich in die der Staatsanwaltschaft.

Dass dahin auch der unsägliche massenhafte Kindesmissbrauch durch Kirchenleute gehört, statt in die Hände von von der Kirche selbsternannter „Sonderermittler“, hat er nicht gesagt.

Fast möchte man, wenn man sich ansieht, wie viele Menschen diese Organisation durch Kirchensteuer, Spenden, Klingelbeutel usw. noch immer reicher werden lassen, an ein Wunder denken, glaubenstechnisch.

Auch angesichts der Umfragen in Bayern, die der CSU immer noch über 30 Prozent Wählerstimmen bei den nächsten Sonntag stattfindenden Landtagswahlen prophezeien.

Denn zumindest wahrheits-, finanz- und amtstubenkreuztechnisch ist da zusammen, was zusammengehört.

Wir doch nicht. Nie nicht!

Natürlich gibt es die von Trump und Pegida heraufbeschworene „Lügenpresse“ nicht, zumindest nicht in der Form einer Verschwörung zur Verbreitung falscher Nachrichten. Was es gibt, sind in immer größerer Zahl völlig kritiklose Journalisten bis in die großen Nachrichtenagenturen hinein, die alles, was ihnen von sehr dubiosen Quellen auf den Tisch gelegt wird, als Fakten ungeprüft und unreflektiert weiterverbreiten.

Besonders dubiose Quellen sind Geheimdienste, da diese grundsätzlich keine Belege für ihre Behauptungen vorlegen (sonst wären diese ja nicht mehr geheim) und von diesen gefütterte Regierungen, die britische zum Beispiel.

Amerikanische Geheimdienste machen sich im Halbjahresrhythmus auf der ganzen Welt lächerlich und unglaubwürdig (Hoffentlich vergisst man nie, dass auf Grund bewusst gefälschter „Belege“ im Irak ein furchtbarer Krieg begonnen wurde), werden aber immer noch als seriöse Informationsquelle zitiert, selbst wenn sie sich, wie zurzeit, überwiegend damit beschäftigen, belastendes Material gegen Trump oder einen seiner zahllosen Kandidaten für führende Positionen umzuschreiben, verschwinden zu lassen oder eben für „geheim“ zu erklären.

Neueste „Information“: Westliche Geheimdienste hätten „herausgefunden“, dass russische Geheimdienste spionieren, gar Computer ausspähen! Und kein Journalist wundert sich darüber, dass die sich dabei immer so außerordentlich doof anstellen, indem sie zum Beispiel „ein Auto voller Technik zum Eindringen in Computer- und WiFi-Netzwerke“ (taz) direkt vor dem auszuspähenden Objekt parken, so dass das jedem Straßenkehrer auffallen muss. Und dass sie (Spione!) mit dem Taxi von der Geheimdienstzentrale zum Moskauer Flughafen fahren und dann auch noch ihre Taxiquittungen aufheben. Das sind schon arge Dödel!

Aber man verbreitet die „Informationen“ bedenkenlos – die Reaktionen sind entsprechend, auch entsprechend lächerlich: Der britische Verteidigungsminister erklärt, Russland verhalte sich wie ein „Pariastaat“, was immer er damit meint. Der Nato-Generalsekretär fordert, Russland müsse sein „rücksichtsloses Verhalten“ stoppen. EU-Präsident Tusk wirft Russland vor, „das Völkerrecht und die internationalen Institutionen (zu) untergraben“.

Konkret ging es um einen Cyberangriff auf die OPCW-Zentrale, deren „Integrität“ dadurch untergraben werde, empören sich die Spitzenpolitiker der EU.

Die OPCW? Das ist eine Organisation zum Verbot von Chemiewaffen, die den „Fall Skripal“ untersucht – und die „Ergebnisse“ ihrer Untersuchungen den westlichen Regierungen mitgeteilt hatte, die diese sofort zur Geheimsache erklärten. Bis heute weigert sich die OPCW (und warum erwähnt das kein einziger Journalist?), auch Russland über die „Ergebnisse“ zu informieren. So viel zur Integrität – und insofern ist auch vorstellbar, dass die Russen halt wirklich rauskriegen wollten, was es da eigentlich für Ergebnisse gibt.

US-Verteidigungsminister Mattis versprach laut taz, afp und reuters, „Cyber-Beiträge bereitzustellen, um der Nato zu helfen, in diesem wichtigen Bereich zu kämpfen“.

Wie jetzt? „Wir“, der Westen, wollen auch spionieren? Cybertechnisch? Das muss ein Versprecher gewesen sein.

Wir doch nicht. Nie nicht!

Gelesen: Kazuo Ishiguro: Alles, was wir geben mussten

Eine Dystopie des Inhalts schreiben zu wollen, dass junge Menschen geklont werden, um später gezielt als Organspender (vier Spenden pro Person sind vorgesehen) zu fungieren, kann eigentlich nur schiefgehen, sollte man meinen.

Dass es bei Nobelpreisträger Ishiguro trotzdem funktioniert, hat im Wesentlichen zwei Gründe:

Einer ist die ausgesprochen unpathetische Darstellung. Die Akteure, in Heimen aufgezogen, wissen um ihre Rolle und akzeptieren sie. Der einzige Wunsch, der gelegentlich aufkommt, ist der nach ein paar Jahren Aufschub, um echte oder vermeintliche Liebe ausleben zu können. Die persönlichen Entwicklungen, Beziehungen, Empfindsamkeiten der Jugendlichen vor diesem Hintergrund fast schon analytisch zu erzählen bewahrt das Buch davor, ein reiner Teenie- oder Pubertätsroman zu sein.

Der zweite Grund, warum man das Buch mit Vergnügen liest, ist ausgerechnet die sehr traditionelle, fast ein wenig hausbackene Erzählweise Ishiguros: Der Erzähler spricht seine Leser (in der pluralen Höflichkeitsform) an und führt sie straff auktorial (aber keineswegs olympisch!) durch die Handlung. Das geschieht allerdings so geschickt und beiläufig, dass der Leser den erzählerischen Kniff zwar jederzeit durchschaut, sich an dessen Eleganz aber durchaus erfreut, wenn er z.B. mit einem einfachen „Aber das können Sie ja noch gar nicht wissen“ in der Zeit herumgeschickt wird.

Ein nicht ganz neues Thema, ein sehr traditioneller Erzählstil, beides aber wirklich sehr gekonnt ausgeführt.

Zwar nicht nobelpreisverdächtig, aber angenehm zu lesen.