Die e-Bär, wieder

Die e-Bär hat nachgedacht.

Was zunächst wie eine schlechte Nachricht klingt, ist auch eine – mit Einschränkungen:

Schüler bräuchten heute lediglich drei Dinge, so das Ergebnis ihres Nachdenkens laut Mainpost:

Sportsachen, Schulbrot und Tablet. Keinesfalls sollten sie zu schwere und veraltete Schulbücher mit sich herumschleppen.

Die Formulierung lässt vermuten, dass die e-Bär Bücher grundsätzlich für zu schwer und veraltet hält, sonst könnte man ja auch auf die Idee kommen, nur aktuelle und nicht zu schwere Bücher für den Unterricht zuzulassen und zu finanzieren.

Bei aller Kritik: So viel Übereinstimmung zwischen der e-Bär und dem Polplotblogger war dennoch noch nie: Sportsachen und Schulbrot – wie schön!

Doch wie soll man sich mit diesem Equipment einen Schultag vorstellen?

Man macht Sport, anschließend widmet man sich seinem „Schulbrot“. Und dann? Dann tatscht man den Rest des Tages mit seinen fettigen Wurstbrotfingern auf dem Tablet rum. So ein Tablet ist ja auch viel leichter zu reinigen als ein Buch! Und da findet man doch alles, was man so als Schüler braucht: Börsenkurse, Fake News, natürlich auch viele nützliche Informationen, vielleicht sogar mal einen veralteten literarischen Text von Heine oder Schiller (wenn auch häufig in übel entstellter Form, aber dafür wiegen sie schließlich nichts). Das alles guckt man sich dann kurz mal an wie ein Video.

Da in e-Bärs Ausstattung weder Hefte noch Stifte vorgesehen sind (Wer schreibt denn heute noch mit der Hand??), wird das Angeguckte vielleicht sogar in eine kleine Datenbank eingetippt – bis man merkt, dass es solche Datenbanken ja schon längst gibt und man sich das alles deswegen gar nicht selber aufschreiben oder merken muss. Man kann ja nachgucken.

Wenn man zum Beispiel gefragt wird, wie der Bundeskanzler von Deutschland heißt, tippt man‘s einfach in die Suchmaschine ein und kriegt zur Antwort einen Namen: „Merkel“. Und schon kann man sich melden und sagen: „Herr Merkel!“

Nachdenken kommt in dieser Schulvision natürlich nicht vor. Die e-Bär hat’s dennoch versucht. Sie hat nachgedacht.

Und jetzt kommt das Positive: Das interessiert doch keine Sau.

Gelesen: Melissa Broder: Fische

Blogeinträge können unterhaltsam, witzig, informativ, ja sogar wichtig sein. Manchmal taugen sie angeblich sogar dazu, in Buchform veröffentlicht zu werden. Bei der amerikanischen Autorin Melissa Broder soll das funktioniert haben.

Eine solche Buchveröffentlichung sollte aber nicht dazu verführen, sich als respektable Schriftstellerin oder Romanautorin misszuverstehen, auch wenn sie bei der Vermarktung eines noch so schlechten Romans natürlich hilfreich ist.

Der Ullstein-Verlag ist nicht dafür bekannt, besonders hochwertige Belletristik auf den Markt zu bringen. Die Dreistigkeit zu behaupten, Broders Machwerk „Fische“ sein ein „ehrlicher, trauriger und urkomischer Roman“ war ihm aber nicht unbedingt zuzutrauen.

Um dieses Urteil zu widerlegen, genügt eigentlich ein Überblick über den Inhalt:

Die Protagonistin Lucy entdeckt mit 38 Jahren, dass sie ein Beziehungsproblem hat und macht sich auf die Suche nach Liebe. Um ein paar Romanseiten zu füllen, werden auch noch die Beziehungsschwierigkeiten von einigen anderen Damen aus einer Frauengruppe erzählt; einen erkennbaren Bezug zur Romanhandlung haben diese nicht.

Vollends peinlich wird die alberne Geschichte, als Lucy sich in einen – natürlich ungemein hübschen – „Meermann“ verliebt. Ja, tatsächlich: Die ungeheuer originelle Idee einer männlichen Meerjungfrau. In ihrem Liebeswahn karrt sie diesen mit einem Bollerwagen über den Strand zu ihrem Domizil.

Den Verkaufserfolg sichern sollen genau so unglaubwürdige wie unappetitliche Kopulationsszenen.

Und natürlich darf der Hund nicht fehlen, der das Böse wittert und, kaum kommt der Meermann in die Nähe, nur noch mit Beruhigungsmitteln zu bändigen ist, an denen er schließlich eingeht. Das ist das Motiv der Schuld in diesem „Roman“, ist der Hund doch das abgöttisch geliebte Tier der Schwester.

Entgleiste Ausflüge ins Philosophische schaffen wenigstens Erheiterung im zunehmenden Leseärger: „Ich fragte mich, ob es überhaupt ein Leben gab, ob es jemals ein Leben gegeben hatte.“

Dass der Meermann letztlich als eine aus Liebesnot entstandene Fantasiegestalt entlarvt wird (obwohl das selbst der unbedarfteste Leser schon seit 70 Seiten weiß), ist der Höhepunkt von Broders literarischer Kunstfertigkeit.

Das Ganze kommt (zumindest in der deutschen Übersetzung von Eva Bonné) sprachlich recht gefällig daher. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gut verpackter Mist trotzdem Mist bleibt.

Wie hat die Schreiberin selbst so schön formuliert:

„Je angestrengter man sich nach dem Licht reckte, desto weiter klaffte hinterher das Nichts.“

Geschichte weglügen

Dass gefälschte Nachrichten und Informationen von Politikern und Ideologen eingesetzt werden, wenn dies ihren Interessen dient, ist keine Erfindung von Donald Trump. Er macht das nur besonders schamlos.

Nicht weit entfernt davon sind allerdings diejenigen, dies das – von wem auch immer erfundene – Mysterium einer „christlich-jüdischen Kulturtradition“ Deutschlands nachplappern und diese in Form eines Kreuzes (natürlich: NUR eines Kreuzes) symbolisch an die Wand nageln wollen.

Selbst wenn man unterstellt, dass manche glauben, damit ein – natürlich völlig berechtigtes – Zeichen gegen den (nicht nur von muslimischen Zuwanderern!) forcierten Antisemitismus setzen zu müssen: Der überwältigenden Mehrheit dieser Geschichtsklitterer gefällt daran vor allem die Abwehr- und Ausgrenzungsfunktion gegen den Islam.

Dabei sind alle drei Komponenten dieser absonderlichen Wortschöpfung falsch.

Genausowenig, wie es historisch ein „deutsches Volk“ gibt (Dieser Begriff wurde im Hochmittelalter erfunden für ein wildes Sammelsurium unterschiedlichster Stämme), gibt es eine deutsche Kulturtradition. Wie auch? Noch heute vermag (der Dauerstreit um die sog. Leitkultur verdeutlicht dies ja anschaulich) niemand zu sagen, was denn traditionell „typisch deutsch“ sei.

Neidvoll kann man da nach Frankreich schauen: Dieser ebenfalls bunt zusammengewürfelte Haufen hat ja wenigstens sein Baguette und seinen Rotwein.

Im modernen Deutschland herrscht laut Verfassung (und das ist so ziemlich das einzige, was für alle verbindlich sein sollte) Religionsfreiheit. Und diese musste (beginnend mit der Aufklärung) hart erkämpft werden – gegen die christlichen Kirchen. Wenn jetzt Söder das christliche Kreuz in ein Symbol für Freiheit und Toleranz umdeutet: Wie sieht’s denn aus mit der Freiheit, wenn ich als Nichtgläubiger immer noch mit der ewigen Verdammnis bedroht werde? Ist es etwa ein Zeichen von Toleranz, wenn ein Land, in dem weniger als die Hälfte der Bevölkerung aktive Christen sind, in seinen Behörden im Eingangsbereich (also dort, wo nun mal JEDER hinmuss) demonstrativ Kreuze aufhängt? Ist es etwa ein Zeichen von Freiheit, wenn in der katholischen Kirche Frauen immer noch als Menschen zweiter Klasse behandelt werden?

Ähnlich wie die Juden in Deutschland. Spätestens seit den christlichen Kreuzzügen, als die Stimmung in Deutschland den Juden gegenüber immer aggressiver wurde. Wenn es Toleranz christlicher Herrscher gegenüber den Juden gab, dann nur, weil man sie wirtschaftlich brauchte und – über Sondersteuern, Berufsverbote und Verweigerung von Bürgerrechten – prima ausnutzen konnte.

Erst Anfang des 20. Jahrhunderts bekamen die Juden in der „christlich-jüdischen Kulturnation“ Rechtsgleichheit. Wie lange die bestanden hat, weiß  hoffentlich jeder.

Die Zahl der in Deutschland lebenden Juden dürfte übrigens zu keiner Zeit erkennbar über einem Prozent gelegen haben. Selbst die „großen“ deutschen Juden wie Marx und Heine hat man verfolgt und ins Ausland gejagt.

Was also will man mit der Lüge von der „christlich-jüdischen Kulturtradition“ eigentlich aussagen? Dass Juden und Christen in Deutschland prima gemeinsam Kultur gemacht haben? Dass es also gar nicht wahr ist, dass die Geschichte der Juden in Deutschland bis 1945 eine Geschichte der Ausgrenzung, Unterdrückung, Verfolgung, Ermordung war?

Moderne Staaten haben ihre Basis in den Werten der Aufklärung wie Menschenrechten und Meinungsvielfalt und –toleranz. Man möchte den Heuchlern von der gemeinsamen christlich-jüdischen Tradition zurufen:

Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen – wenn dein Populismus ihn dir nicht weggefressen hat!

Ergänzung: Am 11.5. erschien in der Mainpost ein Gastbeitrag vom Sprachwissenschaftler Prof. Norbert-Richard Wolf, in dem dieser ebenfalls darauf hinweist, „dass das herrschende Christentum mit großer Brutalität das Judentum jahrhundertelang daran gehindert hat, kulturprägend zu wirken.“

Hier der Link zum ganzen Artikel:

https://www.mainpost.de/ueberregional/meinung/leitartikel/Wer-oder-was-gehoert-zu-Deutschland;art9517,9957548

liTrio

Es ist etwas still geworden im Polplotblog. Das liegt aber nicht daran, dass der Blogger eingeschlafen ist.
Am 3.5. und 4.5. ist er mit liTrio unterwegs, und für die neue Jahreslesung gab es viel vorzubereiten und neue Texte zu schreiben.
Genaue Termine sind am 3.5. um 19.30 in der Disharmonie in Schweinfurt und am 4.5. um 19 Uhr im Kunsthaus Michel in Würzburg.
Vielleicht schaut ja mal einer von den Polplotlesern vorbei.
Die neuen Texte gibt es ab Sonntag, 6.5. nachzulesen auf www.textbruch.de

Und dann geht es hier zügig weiter, es gibt einiges aufzuarbeiten.