Gesundheit!

Es bleibt recht unklar, wann die Medien jemanden als „großes politisches Talent“ bezeichnen. Strauß wurde so bezeichnet, auch Helmut Schmidt. Merkel nie. Kohl auch nicht.

Das jüngste „große politische Talent“ der Medien ist Jens Spahn. Ein „großes politisches Talent“ ist also offensichtlich jemand, der eine große Klappe hat und sich auch sonst gerne wichtig macht. Im konkreten Fall sich als der „größte Merkel-Kritiker“ aufbaut und äußerlich daherkommt wie eine Dünnfassung von Helmut Kohl.

Dieser seltsame Zwitter aus Rechtskonservativismus und Neoliberalismus gefällt der Bildzeitung und all den rechten Merkel-Kritikern in der Union, die genau so denken wie er, sich das aber nicht sagen trauen. Und talentiert, wie er ist, hat er sich zum Wortführer der Feigen Rechten gemacht und besitzt dadurch eine sog. Hausmacht in der CDU. Denn es sind viele in der CDU, die so denken und sich nicht trauen.

Jemand wie Spahn hat natürlich auch großen Ehrgeiz und traut sich alles zu. Zumindest einen Ministerposten – übergangsweise.

Auftritt Angela Merkel, der man unterstellen muss, dass ihr Spahn politisch wie persönlich ein Greuel ist. Und den sie zum Gesundheitsminister macht.

Genial.

Das Großmaul ist jetzt einbezogen in die Kabinettsdisziplin und muss Kabinettsbeschlüsse mittragen, ob sie ihm passen oder nicht. Oder kann man sich Pressemeldungen vorstellen wie „Gesundheitsminister Spahn kritisierte Merkel nach der Kabinettssitzung heftig…“?

Und dann das Ministerium. Es gibt zwei Ministerien, die zwingend die Endstation für politische Karrieren sind, weil jeder Minister an ihnen scheitern muss: Das Verteidigungsministerium (da wurde von der Leyen hin entsorgt) und das Gesundheitsministerium.

Dieses Ministerium hat noch jeden politisch zu Grunde gerichtet, Seehofer ist sogar ernsthaft krank dran geworden.

Weil man es irgendwann für weise hielt, die Verantwortung für die Gesundheit der Menschen in die Hände privater Geschäftemacher zu legen, hat es der Gesundheitsminister mit den (nach den Autoschraubern) mächtigsten Lobby-Verbänden Deutschlands zu tun: Den Ärzteverbänden, den Krankenkassen, den Klinikkonzernen und der Pharmaindustrie. Da kann man als Politiker einer wirtschaftsliberalen Koalition eigentlich nichts richtig machen.

Am wenigsten beschädigt wurden die Minister, die sich da einfach rausgehalten haben, was natürlich Schule gemacht hat. Mit dem Ergebnis, dass in den privaten Kliniken operiert wird auf Teufel komm raus, weil das Geld bringt, und die Alten zum Sterben auf die Flure geschoben werden. Dass die Krankenkassen Vermögen anhäufen und immer größere Paläste bauen, Pflegekräfte für einen Hungerlohn ausgebeutet werden. Dass die Pharmaindustrie für primitive Kopfschmerztabletten in Deutschland immer noch zehn Mal so viel verlangen darf wie im Ausland, für die Medikation weniger häufiger (und damit auch weniger lukrativer) Krankheiten seit zig Jahren nichts Neues zuwege gebracht hat.

Ein Neoliberaler wie Spahn wird versuchen, die Reichen und Mächtigen zu bedienen, was schon allein deswegen nicht gelingen kann, weil die selbst starke Interessenskonflikte haben. Das Volk wird (richtiger- und verständlicherweise) seinen Unmut deutlicher äußern. Und in der eigenen Partei kann man weder einen Kurs gegen die Lobbyisten durchsetzen noch mit einem Kurs für sie Punkte machen. Und den Koalitionspartner hat man inklusive des salz-, zucker- und auch sonst freudlosen Herrn Lauterbach auch noch gegen sich.

Da kann man nur sagen: „Chapeau!, Frau Merkel.“

und

„Gesundheit!, Herr Spahn.“

Gruselig

ist er, der neue Hoffnungsträger der CSU, der Nürnberger Markus Söder. Am politischen Aschermittwoch wirft er einen sehr bayerischen Trachtenjunker über, zwängt seine Frau in ein Dirndl und redet die ganze Zeit von dahoam und Heimat. Und nochmal Heimat. Und immer noch Heimat. Gute Güte, gibt es eigentlich nichts Wichtigeres auf der Welt?

Glaubt der im Ernst, mit diesem Heimat-Getue AfD-Wähler zurückzubekommen? Vermutlich weiß er ganz genau, dass diese mit „Heimat“ nicht Dirndl und Bergeshöhen meinen, sondern schlicht Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit. „Heimat“ ist deren und Söders Ersatzbegriff dafür, und ganz offensichtlich genießt er es, wenn er gerade bei den Redepassagen, in denen er Furcht vor Ausländern schürt, den lautesten Beifall bekommt. Was Söder vorhat, ist die Vereinigung der Altkonservativen mit den Ultranationalisten. Erinnert irgendwie fatal an den „Tag von Potsdam“ (im Zweifelsfalle googeln).

Mal schauen, ob er in Zukunft immer Urlaub in Nemberch am Dudzndeich macht, wenn ihm Heimat so wichtig ist. Allerdings ist er da nicht „dahoam“, sondern daham.

CSU-Generalsekretär und Chefhetzer Scheuer übrigens hat es ein bisschen einfacher, er muss sich nicht hinter verschwurbelten Begriffen verstecken. Der fordert unverhohlen „Identität statt Wischiwaschi und Multikulti“.

Die rechtextremen Rassisten von den „Identitären“ sollten ihm einen Aufnahmeantrag schicken.

Gelesen: Charlotte Brontë: Jane Eyre, die Waise von Lowood

Es gibt mehrere Verfilmungen dieser Autobiografie aus dem 19. Jahrhundert – und alle triefen sie vor Kitsch. Das darf man den Filmen aber nicht anlasten, denn das Buch trieft genauso.

Es ist die Aschenputtel-Geschichte von Jane Eyre, die als ungeliebtes Waisenkind aufwächst, sich in einem Erziehungsheim erst als Schülerin, dann als Lehrerin durch Fleiß und Intelligenz allmählich Achtung verschafft.

Das hat alles die Anmutung der Lesebuch-Moral aus den 50er Jahren: „Arm, aber sauber“. Als gelegentlich kecke, oft auch Widerworte gebende Gouvernante erregt sie die Aufmerksamkeit und Achtung ihres Arbeitgebers, was damals wohl als Ausdruck von reichlich unerhörter Emanzipation interpretiert wurde. Einigermaßen zu Unrecht, denn schon verliebt sie sich mit Haut und Haar in den knorrigen Adeligen, dessen Leben in die verwickeltsten Verwicklungen verwickelt ist, die man sich nur vorstellen kann. Und natürlich sieht sie ihre Rolle dabei als eine dienende. So widersteht sie dem heftigen Ansinnen eines Vetters trotz aller Moralkeulen, ihn als Missionarsgattin zu begleiten.

Eines Tages findet sie den wegen diverser Unbilden lange verschollenen ehemaligen Geliebten wieder, wenn auch schwer gebeutelt: wegen eines Unfalls erblindet und verkrüppelt. Was die Liebe nur noch heftiger macht, da sie jetzt ganz im Dienen aufgehen kann.

Aber jetzt mal ehrlich: Wer lässt sich denn nicht gerne mal von allerliebstem Kitsch entführen aus der Welt, noch dazu, wenn der wirklich sehr geschickt in Szene gesetzt ist? Ein Glas Rotwein passt übrigens prima dazu. Und spätestens beim zweiten wird auch die Rührung kommen – na und?

Zusätzliches Vergnügen bereitet die Übersetzung von Maria von Borch, zum Beispiel so schöne Sentenzen wie

„Aber jetzt hielt er jede Empfindung fest in seinem Herzen verschlossen: ich ward nicht mehr gewürdigt, sie in Worte gekleidet zu hören.“

Also: Mal Mut zu Muße – und zum Kitsch!