Die dritte FDP

Bis zum 13. Dezember diesen Jahres ist man im Polplotblog davon ausgegangen, dass es zwei FDPs gibt: Die eigentliche FDP (Lindner) und die stellvertretende FDP (Kubicki). Von anderen hat man ja auch nicht gehört. Bis zum 13. Dezember.

Da meldete sich der frischgekürte bayerische Landesvorsitzende, Daniel Föst, in der MAIN-POST zu Wort, und beeindruckt muss man sagen: Ja, es gibt sie, die dritte FDP. Und die passt.

„237 offene Punkte“ habe es nach über vier Wochen Jamaika-Sondierungen gegeben, weshalb das „Scheitern der Verhandlungen (…) richtig“ gewesen sei, erklärt Föst. Wir wollen uns nicht in so semantische Feinheiten verstricken, ob ein Scheitern richtig sein kann. Die erwähnte Zahl 237 verführt doch eher zu einem kleinen Ausflug in die Mathematik. Dazu braucht es ein längeres wörtliches Zitat aus dem Interview. Föst erklärt sein Programm – jetzt für die bayerische Landtagswahl:

„Wir wollen das Land modernisieren. Alleine schon, wie oft im Zug oder im Auto der Handy-Empfang abbricht. Es gibt in Bayern viel zu tun, auch bei der Bildungsgerechtigkeit oder der frühkindlichen Bildung.“

Das sind je nach Blickwinkel oder Wohlwollen zwei bis sechs Programmpunkte:

Zwei: Modernisieren, Bildung
Drei: Modernisieren, Bildung, Handy-Empfang
Vier: Modernisieren, Bildung, Handy-Empfang im Zug, Handy-Empfang im Auto
Fünf: Modernisieren, Bildungsgerechtigkeit, frühkindliche Bildung, Handy-Empfang im Zug, Handy-Empfang im Auto
Sechs: Modernisieren, Bildungsgerechtigkeit, frühkindliche Bildung, Handy-Empfang im Zug, Handy-Empfang im Auto, viel zu tun.

Macht zwischen 0,8 und 2,5% der Punkte, die zum „richtigen Scheitern“ geführt haben. Aber es geht ja jetzt um Bayern – und da sind die Probleme natürlich viel weniger als irgendwo.

Auch deshalb sehen die FDP-Zahlen in Bayern viel erfreulicher aus, hat man doch nach dem Neinmaika in der Rhön z.B. einen satten Zuwachs von 40% an Mitgliedern. In absoluten Zahlen: Fünf Neueintritte auf jetzt insgesamt elf.

Ziemlich genauso viele, wie Föst an Programmpunkten für Bayern aufzählt, also für jeden Neuen einer. Das schaffen die. Allerdings nur gut 2 % der Probleme, die man bei den Koalitionsverhandlungen für den Bund gezählt hatte. Das schaffen die nicht.

Oder vielleicht doch? So genau kann man das nicht wissen, denn eine Partei ist laut Föst „ein atmender Mechanismus“. Was in letzter Zeit nicht alles schnauft: Ein Flüchtlingsobergrenzendeckel, die Parteien…

Weshalb erinnert das alles an eine Orgel? Wegen der vielen Pfei… Aber wir wollen sachlich bleiben:

Das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen, so Föst, habe gezeigt: „Wer FDP wählt, bekommt FDP“. Man kann den Ausstieg der ersten FDP aus den Jamaika-Verhandlungen allerdings auch so sehen: Wer FDP wählt, bekommt – nichts.

Und das ist vermutlich auch gut so.

Gelesen: Irene Dische: Schwarz und Weiß

„Jo hier!“,

so mischt sich die Erzählerin zwischendurch in die Handlung ein, um mal einiges zurechtzurücken oder notwendige Hintergrundinformationen zu liefern. Zu Beginn des Romans stellt sie sich ausführlich vor, aber bis der Leser begreift, welche Rolle die Erzählerin selbst im Roman spielt, dauert es bis zum letzten Drittel dieses famosen Romans.

Man darf jetzt wegen des Titels „Schwarz und Weiß“ und weil der Roman überwiegend in Amerika spielt, nicht erwarten, dass hier ethnische Konflikte abgehandelt werden. In dieser Beziehung wird allenfalls aufs Fröhlichste mit Klischees gespielt.

Die männliche Hauptfigur ist ein Schwarzer mit ganz auffällig blauen Augen, der ununterbrochen in irgendwen verliebt ist. Lange Zeit in die weibliche Hauptfigur, die die Karikatur eines verwöhnten und verzogenen weißen Models ist und deren Eskapaden sich der blauäugige Schwarze nur leisten kann, weil er als Weinsommelier außergewöhnlich erfolgreich ist und sogar eine eigene Fernsehsendung bekommt.

Sie hingegen wird natürlich älter und schließlich wirtschaftlich erfolgreich als Vermarkterin einer dubiosen Privatkirche.

Dann gibt es eine junge Generation (schwarz und weiß), die höchst komplizierten Vater- und Mutterschaftsverhältnissen entspringt und deren Wurzeln bis in ein Königshaus aus Namibia reichen. Und in eine Berliner Weltkriegsruine, weshalb Jo eigentlich auch Lotte heißt.

Da wird kein Zufall und kein Vorurteil ausgelassen, da wird kühn dahinfabuliert, und was rauskommt, ist ein riesengroßer Spaß.

Der Sozialismus der SPD

Von den aktuell spürbar aktiven politischen Parteien in Deutschland ist die SPD historisch gesehen die respektabelste. Historisch gesehen.

Seit Helmut Schmidt, Reichswehroffizier und Aufrüstungsfan, tut sie alles, um diesen Respekt – und ganz folgerichtig auch die Zahl ihrer Wähler – abzubauen. Spätestens seit Schröders „Agenda“ weiß natürlich auch jeder Arbeiter, dass er von der SPD nichts Gutes zu erwarten hat, außer vielleicht einen Mindestlohn, der direkt in die Altersarmut führt.

Irgendwie verständlich, aber doch ohne Not hat man sich nach der Bundestagswahl ziemlich in die Bredouille gebracht mit der sehr schnellen und sehr öffentlichen Absage an eine erneute Große Koalition. Nach Lindners Neinmaika wird alles, was man jetzt tun kann, falsch. Verweigert man sich einer Neuauflage der Großen Koalition, wird Stoppel-Lindner der sein, der der SPD am lautesten staatspolitische Verantwortungslosigkeit vorwirft. Stimmt man ihr zu, hat man ein Problem mit der Glaubwürdigkeit, der Basis, Rüpel Dorbrindt und allem anderen.

Zum großen sozialdemokratischen Streitpunkt für einen Beitritt zur Großen Koalition hat die SPD die Zweiklassen-Medizin in Deutschland ernannt. Die gibt es und die ist ein Problem. Die SPD will dem mit einer „Bürgerversicherung“ beikommen, die CDU/CSU will nicht, was, wenn man sich anschaut, wie diese sog. Bürgerversicherung laut SPD aussehen soll, verwundert:

Alle sollen in eine einheitliche Krankenversicherung einzahlen, so der Plan, auch Selbstständige und Beamte. Soweit Bürgerversicherung.

SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach hat allerdings Folgendes ausgeheckt: NICHT einbezogen werden in die Beitragspflicht sollen Miet- Zins- und Kapitaleinkünfte, wozu u.a. auch Aktiengewinne zählen. Die wirklich großen Einkunftsarten bleiben also außen vor. Und der Clou: Es sollen zwar alle anderen Einkommen beitragspflichtig werden, aber die sog. Beitragsbemessungsgrenze von z.Zt. 4350 Euro im Monat soll bleiben. Das heißt konkret: Verdient jemand 4350 Euro im Monat, zahlt er die derzeitigen 7,3% Arbeitnehmeranteil in die Krankenkasse ein, das sind rund 317 Euro. Verdient jemand aber 100 000 Euro im Monat, zahlt er in die Krankenkasse ein: rund 317 Euro. Einkommen bis zu 4350 Euro im Monat sind zu 100% beitragspflichtig. Von den 6 Millionen Jahreseinkommen eines DAX-Vorstandes sind ca. 0,8% (!) beitragspflichtig.

Bürgerversicherung? Oder doch wieder Arbeiter- und Kleinbürgerversicherung, bei der die einkommensschwächere Hälfte der Gesellschaft das gesamte Gesundheitswesen finanzieren muss?

Die Union wird sich gute Argumente überlegen müssen, warum sie dem nicht zustimmen will. Denn unsozialer hätte es auch die FDP nicht hingekriegt.

Gelesen: Arundhati Roy: Das Ministerium des äußersten Glücks

Zweite Romane haben’s schwer. Ihnen geht’s wie zweiten Kindern in einer Familie, wenn das erste so richtig toll gelungen ist. Man stellt unheimlich hohe Erwartungen an sie, verlangt, dass sie mindestens so gut werden wie der Vorläufer, am besten ähnlich, aber noch besser.

So leiden die zweiten Kinder am ungeheueren Anspruch und am übergroßen Vorbild. Dem zweiten Roman geht’s kaum anders (nur dass er nicht leiden kann): Die Erwartungshaltung des Lesers ist riesig, nicht nur, was die Qualität betrifft. Man möchte doch auch Vieles, was beim ersten Roman so gut gefallen hat, wiederfinden.

Und so werden ordentliche und vernünftige zweite Kinder genauso schlecht und falsch beurteilt wie gute zweite Romane.

Wer Arundhati Roys ersten Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ zum Maßstab nimmt, wird enttäuscht sein: Die Wucht der sprachlichen Bilder trifft einen wesentlich seltener, die teils überwältigende Empathie, die man zwangsläufig mit den Figuren aus „Der Gott der kleinen Dinge“ empfand, ahnt man zwar beim Lesen des „Ministeriums des äußersten Glücks“ wieder, aber sie wiederholt sich eben nicht.

Die bereits oben erwähnte Rezensentin des SPIEGEL hat insofern Recht, als sich die politischen Verhältnisse in Indien und in Kaschmir doch etwas in den Vordergrund drängen. Seitenweise Pamphlete der Kommunistischen Partei von Kaschmir ermüden schon. Meist sind die politischen Erläuterungen aber hilfreich, notwendig – und auch lehrreich. Und ehe man sich’s versieht, entwickelt man doch wieder viel Verständnis und Sympathie für die kuriose, bunte Gesellschaft, die sich da am Rande dieser, auf einem Friedhof, eine wenigstens erträgliche Existenz zusammenbastelt.

Als erster Roman wäre „Das Ministerium des äußersten Glücks“ ein ganz ausgezeichneter…