Es ist anzunehmen, dass Lindner spätestens während der Koalitionsverhandlungen gemerkt hat, dass er mit seiner Ein- bis Eineinhalbmannshow ziemlich zerrieben werden wird. Es gab ja Medien, die berichteten, der berühmte Ausstiegssatz mit dem „Lieber gar nicht regieren als schlecht“ sei schon in einer Mail Tage vor seiner Äußerung aufgetaucht.
Man darf sogar vermuten, dass Lindner nie vorhatte, einer Koalition beizutreten, aus mehreren Gründen:
- Wie oben beschrieben: Die FDP hat keine Leute, mit denen man im wahrsten Sinn des Wortes „Staat machen“ kann. Selbst Lindner hatte ja noch nie ein Regierungsamt inne, die gesamte Regierungserfahrung beschränkt sich auf Landesminister Kubicki.
- Offensichtlich hat die FDP aber auch kein Programm. Sogar Merkel hat vergeblich nachgefragt, was denn nun eigentlich der Grund für den Ausstieg aus den Verhandlungen gewesen sei. Sehr vage hat man zu wenig Bereitschaft zu „Modernität“ vorgeschoben, zu „Digitalisierung“. Dabei hatten doch die anderen Parteien behauptet, sie seien der FDP hier weit entgegengekommen. Konnten sie auch: Hat doch weder die FDP noch eine andere Partei bislang erklärt, was sie unter Digitalisierung verstünde. Wenn niemand sich darüber im Klaren ist, ist fein Entgegenkommen…
- Natürlich werben Parteien im Wahlkampf mit der Behauptung, regieren zu wollen. Wenn das aber in der Form passiert, dass eine Person auftritt wie eine Mischung aus Motivationsguru und Versicherungsverkäufer, sprich mit viel Pathos und Eloquenz und mit null Inhalten, dann kann man allein dadurch schon an der Ernsthaftigkeit zweifeln. Es würde tatsächlich für die FDP ja auch gar keinen Sinn machen, in ihrem derzeitigen Zustand als kleiner Partner in eine Koalition einzutreten, in der man plötzlich nicht nur Fortschrittsvisionen predigen darf, sondern konkrete Arbeit leisten müsste. Erfolgsaussichten (auch in der Öffentlichkeit) gleich null.
Nicht weniger interessant ist das Auftreten der Grünen: Nachdem man in Windeseile alle Positionen aufgegeben hat, die im Wahlkampf noch als absolut unverhandelbar dargestellt wurden, verkauft man das jetzt als Ausdruck von staatspolitischer Verantwortung und, man höre, von Patriotismus! Die Grünen als heimatliebende Patrioten! Der Scholle so nah! Da wundert es nicht, dass man Merkel sogar eine Schwarz-Grüne Minderheitsregierung andienert. Im Kampf um die AfD-Stimmen könnte man da die CDU locker rechts überholen und die FDP, die genau dieselben Stimmen will, wäre dann ja draußen.
Dabei wäre eine Minderheitsregierung aus verschiedenen Gründen politisch spannend und demokratisch positiv: Man müsste wieder diskutieren über politische Vorhaben, Minderheiteninteressen berücksichtigen, alle am Gesetzgebungsprozess jedes Mal beteiligen. Der Politik könnte das nur guttun.
Entlarvend die Gegenargumente: Am geschmacklosesten das von CDU-Frau Klöckner („Deutschland ist nicht Dänemark“, bravo!), am verlogensten das Argument, eine Minderheitsregierung in Deutschland würde Europa schaden, am ehrlichsten das von CDU-Fraktionsvorsitzendem Kauder, es sei nicht „billiger“ (!), bei jedem Gesetzesvorhaben einen Partner finden zu müssen, als mit der SPD eine Koalition einzugehen.
Mit einer Minderheitsregierung wird allerdings schwerer, was man eigentlich will: In Deutschland ordentlich durchregieren und Europa wieder zeigen, wo der Bartel den Most holt.
Die SPD wird’s schon richten.
Dabei (siehe Grüne, siehe Seehofer) regiert die AfD doch längst mit: Plötzlich, wie gruselig, wollen alle die besten Patrioten sein. Sogar Peter Unfried von der taz (!), der an den nationalen Positionen Lindners entdeckt, dass es „für die (…) demokratischen Bedarf gibt“ (Leitartikel am 25.11. S. 2).
Wenn man’s recht betrachtet, hat es für die nationalen Positionen um 1930 auch reichlich „demokratischen Bedarf“ gegeben.