Flexibilität

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland:
Art. 6/1: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“

Innenminister de Maizière:
Dies gilt nicht für ausländische Familien, insbesondere nicht für afghanische und syrische.

Der Artikel 6 des Grundgesetzes lässt eine solch flexible Auslegung allerdings gar nicht zu. Der Erlass, Familiennachzug weiterhin zu verbieten, ist auch falsch, weil er dafür sorgt, dass zigtausende alleinstehende (und meist auch junge) Männer in Sammelunterkünften leben müssen, verständlicherweise mit ihrem Leben dort unzufrieden sind und diese Unzufriedenheit sich immer öfter auch in unschönen Aktionen äußert.
Dass Wahlkampftaktik Verstand außen vorlässt, ist nicht neu. Dass Wahlkampftaktik einen Artikel aus dem Verfassungskern außer Kraft setzen kann, ist bemerkenswert.

 

Bairisch first!

Als die Bayern so ungefähr im 6. Jahrhundert das Licht der historischen Öffentlichkeit erblickten, wusste niemand so recht – und weiß eigentlich auch bis heute keiner – wo die eigentlich herkamen. Die aktuelle Forschung vermutet ein Gemisch von im Alpen- und im Alpenvorland Gestrandeten aus verschiedensten Stämmen mit übriggebliebenen Römern und Kelten.

Vielleicht ist gerade dieser Mangel an eigener Geschichte die Ursache für eine umso lautstarker vorgetragene ethnische Identität, die ihren bekanntesten Ausdruck im berüchtigten „Mia san mia“ findet, mit dem gleichzeitig die Obergrenze bayerischer Intellektualität markiert ist.

Trump könnte auch eine bayerische Erfindung sein.

Im Ausland verhalten sich Bayern und Amerikaner, jetzt gar nicht mehr so verwunderlich, ebenfalls sehr ähnlich: Amerikaner gehen grundsätzlich davon aus, dass der Rest der Welt ihr karamellisiertes Englisch zu verstehen habe. Der Bayer sieht das bei seiner „Sprache“ genauso.

Als Beleg eine Episode aus einem Speiselokal in einem südosteuropäischen Land:

Ein Herr gesetzteren Alters, vom Erscheinungsbild her fast eine Karikatur des typischen Bayern (Man stelle sich eine abgemilderte Ausgabe von Uli Hoeneß vor) war offensichtlich mit seinem Mahl zufrieden und schnipst, um es nach seiner Landessitte ordentlich abzurunden, energisch die Bedienung herbei.

„Einen Obstler!“

„Obst?“, fragt die bemühte Kellnerin nach und wartet offensichtlich auf Präzisierung.

„Kein Obst! Obst-ler!“, barscht der Bayer, vorwurfsvoll die zweite Silbe betonend.

Die Bedienung, die diese Obstsorte nicht kennt, sucht das Wort in der mehrsprachigen Speisekarte. „Schnaps!“, springt ihr der Bayer nach längerem angestrengtem Nachdenken bei.

„Schnaps!“, freut sich die Kellnerin und eilt davon, den Auftrag zu erledigen.

Wenn ich in Würzburg am Imbissstand „Eine Geknickte mit“ bestelle, funktioniert das.

Schon in Nürnberg würde ich von dieser Wortwahl Abstand nehmen, und erst recht in München.

Der Bayer in Südosteuropa hat übrigens, wie ich vom Nebentisch beobachten konnte, einen mindestens dreifachen Slivovic bekommen.

Geholfen, befürchte ich, hat das nicht.

Gelesen: Irvin D. Yalom: Das Spinoza-Problem

Schön, wenn einem ein Buchtitel verrät, womit man es zu tun bekommt bei der Lektüre. Wer einfach oder auch gut unterhalten werden will, liegt bei einem Buch wie „Das Spinoza-Problem“ von Irvin D. Yalom, auf Deutsch erschienen 2012 bei btb, also ziemlich falsch. Was auf dem Titel steht, ist auch drin.

Das „Spinoza-Problem“ in diesem Roman ist ein doppeltes:

Zum einen das Problem, das die traditionelle jüdische Religion mit ihrem recht bald exkommunizierten Glaubensbruder und – und vor allem: aber auch – Vorvater der Aufklärung, „Bento“ Spinoza hat, der, so viel sei an Vorwegnahme erlaubt, jedes Phänomen auf rationale Ursachen zurückführen will und somit Irrationales wie Jenseitsglaube und Rituale ablehnt und als Ziel einer „Einheitsreligion“ das zufriedene Leben mit und in der Natur propagiert.

Zum anderen das Problem, das ein dümmlicher Jungnazi am Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Vorstellung hat, dass Goethe, einer seiner deutschen Nationalheiligen, ein Verehrer des Juden Spinoza war. Es handelt sich um Alfred Rosenberg, den späteren Chefideologen der NSDAP, der sich gerne als Philosoph gesehen hat, in Wahrheit aber eine Mut-Blut-Boden-Führer-Religion etablieren wollte.

Beider Leben wird parallel erzählt, teils sehr konkret auf historischen Quellen basierend, teils, z.B durch frei erfundene Figuren, in manchmal auch wirklich anrührende Erzählform gebracht.

Dennoch: Von diesem Buch hat nur der etwas, der bereit ist, sich auf die philosophisch-politisch-ideologischen Auseinandersetzungen einzulassen. Anders als bei Gaarders „Sophies Welt“, an das man sich gelegentlich erinnert fühlt, bei dem allerdings die spannende Rahmenhandlung die philosophischen Inhalte doch oft erschlägt, gibt die Rahmenhandlung in „Das Spinoza-Problem“ tatsächlich nur einen, nicht einmal besonders kunstvollen, Rahmen.

Mehr braucht es aber auch gar nicht und mehr will der auch nicht sein.